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PolitikAsien

Amtsantritt eines ungeliebten Präsidenten

5. August 2021

Mit der Vereidigung Ebrahim Raisis hat der Iran einen neuen Präsidenten. Der konservative Kleriker steht vor großen Herausforderungen. Aber in seinem Umfeld fehlen erfahrene Fachleute.

Iran Präsident Ebrahim Raisi
Bild: Fatemeh Bahrami/AA/picture alliance

An diesem Donnerstag wird der 60-jährige Ebrahim Raisi als 6. Präsident der Islamischen Republik vereidigt. Im Iran selbst prägen Hoffnungslosigkeit und Resignation die alltägliche Stimmung.  

"Raisi und seine Regierung stehen vor großen nationalen sowie internationalen Herausforderungen", sagt Iran-Experte Sina Azodi von der Washingtoner Denkfabrik Atlantic Council im DW-Interview. Der Großteil des Irans leidet aktuell unter der schlimmsten Dürre seit mehr als 50 Jahren. Das Wasser ist knapp, der Strom fällt häufig aus. Das Coronavirus breitet sich weiter rasant aus. Unter dem Druck der US-Sanktionen galoppierte die Inflation. Viele Iraner sind erschöpft und zermürbt.  

In verschiedenen Teilen des Landes flammen immer wieder Proteste gegen die Regierung auf, zuletzt in der Provinz Chusestan im Südwesten des Irans. Viel Hoffnung auf einen Wandel durch den neuen Präsidenten Raisi gibt es nicht. Die Wahlbeteiligung bei den Präsidentschaftswahlen am 18. Juli lag nach offiziellen Angaben bei gerade mal 48,8 Prozent, so niedrig wie nie zuvor.  

Rettung des Atomabkommens

"Ebrahim Raisi hatte in seinem Wahlkampf viel versprochen, unter anderem die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation. Dafür müssen zuerst die US-Sanktionen aufgehoben werden", sagt der Iran-Experte Azodi. Raisi, der bis zu seinem Wahlsieg Irans Justizchef war, bringe aber keinerlei außenpolitische Erfahrung mit. "Die Gespräche um die Wiederbelebung des Atomabkommen können zu einer großen Baustelle für ihn werden. Unter Präsident Hassan Rohani war Mohammad Javad Sarif als Außenminister zuständig für die Gespräche. Sarif hatte mehr als 20 Jahre in den USA gelebt und war lange als Diplomat bei den UN in New York tätig. Er kennt die USA und die US-Politik sehr gut. Ein erfahrener Außenpolitiker wie Sarif fehlt in Raisis Umfeld. Ich fürchte, das wird ein ernsthaftes Problem."  

Die US-Regierung unter Präsident Trump stieg 2018 einseitig aus dem Atomabkommen mit dem Iran aus und verhängte die härtesten Sanktionen aller Zeiten. Ein Jahr später zog sich auch der Iran schrittweise aus seinen vertraglichen Verpflichtungen zurück. Mittlerweile verstößt er gegen fast alle technischen Vorgaben des Deals, der den Bau einer iranischen Atombombe verhindern soll.

Der Iran will zum Atomabkommen von 2015 zurückkehren. Das hat das politische und religiöse Oberhaupt Ayatollah Chamenei bestimmt. Er hat im Iran das letzte Wort. Die Verhandlungen bei der Internationalen Atomenergieorganisation IAEO in Wien über die Rettung des Atomabkommens, die nach dem Amtsantritt von US-Präsident Joe Biden begannen, sollen nach dem Regierungswechsel in Teheran fortgesetzt werden.     

Ideologe als Außenminister?    

Experten glauben, Aki Bagheri Kani wird der neue Außenminister des Irans werden. Der 54-Jährige war bis jetzt Vizejustizchef und Stellvertreter des neuen Präsidenten. Nach dem Wahlsieg von Raisi wurde er als dessen Vertreter ins Außenministerium geschickt. In den letzten Wochen war er bei Sitzungen des scheidenden Außenministers Sarif anwesend.

Im Außenministerium ist Bagheri Kani kein Unbekannter. Während der Präsidentschaft des Hardliners Mahmud Ahmadinedschad war Bagheri Kani Stellvertreter des Außenpolitikers Said Dschalili. Dschalili wiederum war Vizeaußenminister und von 2007 bis 2013 Irans Chefunterhändler bei den Atomgesprächen mit der EU. Die Gespräche unter dem kompromisslosen Ideologen Dschalili blieben erfolglos. Erst 2015 kam es unter dem moderaten Präsidenten Rohani zur Beilegung des Atomstreits. Der Iran habe zu viele Zugeständnisse gemacht und zu wenig erreicht, kritisiert Dschalili bis heute.

Ali Bagheri Kani Bild: Tasnim

Auch sein ehemaliger Stellvertreter Bagheri Kani gilt als scharfer Kritiker des Atomabkommens. Viel diplomatisches Fingerspitzengefühl kann man von ihm also nicht erwarten.

Bagheri Kani hatte Wirtschaftswissenschaft an der Imam Sadgh Universität in Teheran studiert. Diese Universität ist eine private islamische Hochschule; die Studenten werden streng nach religiösen Kriterien ausgewählt. Dort werden ideologisch treue Führungskräfte ausgebildet, die später als Vertreter konservativer Kreise wichtige Ämter bekleiden. 

Unterdrückung der Regimekritiker     

Unter der neuen Präsidentschaft von Raisi wird auch keine Verbesserung der Bürger- und Menschenrechte erwartet. International hoch angesehene Aktivisten und Fachleute, die auf Missstände im Iran aufmerksam machen, leben weiterhin gefährlich, zum Beispiel die Umweltaktivisten. Sie werden schnell zum Schweigen gebracht oder eingekerkert, wenn sie neue Skandale ans Tagelicht bringen, wie sieben bekannte Umweltaktivisten, die seit Januar 2018 hinter Gitter sitzen, wegen angeblicher Spionage für die USA. Beweise gegen sie wurden nie vorgelegt.

Unter ihnen Kavous Seyed Emami, der renommierte Umweltschützer und Leiter der "Persian Wildlife Heritage Foundation" starb im Februar 2018 unter mysteriösen Umständen in Einzelhaft.

Seit Ebrahim Raisi vom Religiösen Führer 2019 zum Justizchef ernannt wurde, wuchs der Druck auf Umweltaktivisten und Aktivisten der Zivilgesellschaft weiter. Irans größte Nichtregierungsorganisation, die sich vor allem um die Rechte der Kinder und Alleinerziehenden kümmert, musste ihre Arbeit einstellen. Die Unabhängigkeit der NGO und ihr umfangreiches und einflussreiches Netzwerk in den benachteiligten Schichten am Rande der Gesellschaft war den Hardlinern, die alles im Iran kontrollieren wollen, ein Dorn im Auge.   

Versöhnung mit der Zivilgesellschaft      

"Raisi hat keine Glaubwürdigkeit in der Zivilgesellschaft," sagt die Frauen- und Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi aus Teheran im Gespräch mit der DW. "Die Mehrheit der Wähler wollte Raisi nicht als Präsident haben: Sie weiß um seine entscheidende Rolle bei den massiven Menschenrechtsverletzungen in den letzten vier Jahrzehnten." Der 60-jährige Raisi ist seit der Revolution von 1979 Mitglied der Justiz. Bereits als 20-Jähriger machte er eine steile Karriere. Damals gehört er dem sogenannten "Todes-Komitee" an, das für die Hinrichtung tausender politischer Gefangener verantwortlich gemacht wurde.     

"Die Lage der Menschenrechte im Iran wird ganz sicher bald eine große Herausforderung für Raisi und seine Regierung sein", glaubt Narges Mohammadi. "Viele Iraner sind unzufrieden und wütend. Sie werden sich wieder auf den Straßen versammeln. Es ist nicht schwer zu ahnen, wie die nächste Regierung damit umgeht. Ich glaube nicht, dass Raisi uns unsere Bürgerrechte gewährt, die in der Verfassung des Landes verankert sind: das Recht auf friedliche Versammlungen oder die Gründung von NGOs. Er und die Leute in seinem Umfeld haben kein Verständnis für Menschenrechte oder Dialog mit der Zivilgesellschaft." 

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