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PolitikAsien

Iran: Familien von Demonstranten unter Druck

3. November 2022

Tausende Menschen wurden im Iran bei Demonstrationen verhaftet. Ihre Angehörigen erfahren oft nicht einmal den Aufenthaltsort. Für ihre Freilassung werden Kautionen in Höhe von mehreren Tausend Euro verlangt.

Iranische Bereitschaftspolizisten führen einen Mann auf der Straße ab
Iranische Bereitschaftspolizisten im Einsatz auf der StraßeBild: SalamPix/ABACA/picture alliance

Viele Angehörige inhaftierter Demonstranten im Iran wollen nicht mit ausländischen Medien sprechen. Sie lassen die Anfragen unbeantwortet oder bestätigen in Hintergrundgesprächen mit der DW, dass sie befürchten, von den Sicherheitskräften und der Justiz beschuldigt werden, als "Spione" Informationen an ausländliche Journalisten weitergegeben zu haben. "Die Angehörigen stehen unter enormem psychischem Druck. Sie fürchten um das Leben ihrer Angehörigen und werden gleichzeitig selbst massiv eingeschüchtert", bestätigt der Journalist Masoud Kazemi im Gespräch mit der DW. "Viele Familien wissen nicht einmal, wo sie nach ihren verschleppten Kindern suchen müssen. Sie stehen täglich Schlange vor den Gefängnissen und sind völlig verzweifelt." 

Masoud Kazemi ist ehemaliger Chefredakteur des iranischen Politmagazins "Seda ye Parsi"; seit über einem Jahr lebt er in der Türkei. Im Iran darf er nicht mehr als Journalist arbeiten. Zuletzt wurde er 2019 verhaftet: Er hatte über Korruption im iranischen Innenministerium berichtet. Kazemi saß zu einem Zeitpunkt im Gefängnis, als die Erhöhung der Benzinpreise landesweite Proteste ausgelöst hatte.

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Der Exil-Journalist erinnert sich: "Ich habe selbst miterlebt, wie schlecht die inhaftierten Demonstranten - oft sehr junge Menschen - behandelt werden. Viele von ihnen wurden von Sicherheitskräften in Zivil verschleppt und vorübergehend an unbekannten Orten festgehalten, heftig verprügelt und verhört. Unter diesem Druck haben viele gegen sich selbst vor der Kamera ausgesagt, ohne daran zu denken, dass diese Aussagen später gegen sie verwendet werden können."

Die inhaftierten Demonstranten sollen vor Gericht gestellt werden. Allein in der iranischen Hauptstadt Teheran seien rund 1000 Menschen angeklagt worden. "Die Betroffenen haben bei den jüngsten Ereignissen Sabotage begangen", meldet die halbamtliche Nachrichtenagentur Tasnim Ende Oktober unter Berufung auf den Obersten Richter der Provinz Teheran. Die Angeklagten hätten auch Sicherheitskräfte angegriffen oder getötet und öffentliches Eigentum in Brand gesteckt. Die Prozesse würden öffentlich abgehalten und noch diese Woche beginnen. Bei Verurteilung wegen "Verdorbenheit auf Erden" droht  die Todesstrafe.

Misshandlung verletzter Demonstranten in Haft

Wie viele Menschen insgesamt in den vergangenen Wochen im Iran verhaftet wurden und an welchen Orten sie festgehalten werden, ist nicht bekannt. Im Netz findet man mehrere Listen, die fast täglich aktualisiert werden. Einer dieser Listen über inhaftierte Studenten wurden am Mittwoch weitere 25 Namen hinzugefügt, zum Teil mit dem Hinweis: Aufenthaltsort nicht bekannt. Die Kapazitäten der Gefängnisse seien bereits erschöpft und viele Häftlinge würden vorübergehen in Internierungslagern des Geheimdienstministeriums gebracht, berichten Menschenrechtsorganisationen. Sie schätzen die Zahl der inhaftierten Demonstranten auf mehr als 10.000.

Mindestens 270 Personen wurden getötet. Seit Mitte September protestieren die Menschen im Iran gegen die Staatsmacht. Auslöser der massiven landesweiten Proteste war der Tod der 22 Jahre alten iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam.

"Im Polizeigewahrsam werden die inhaftierten Demonstranten misshandelt", teilt das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen mit. Die Sprecherin des Büros, Ravina Shamdasani, sagte Ende Oktober in Genf: "Besonders besorgniserregend sind Informationen, nach denen die Behörden verletzte Demonstranten aus Krankenhäusern in Haftanstalten verlegen." Inhaftierten Demonstranten sei in einigen Fällen eine medizinische Behandlung verweigert worden. Shamdasani sagte unter Verweis auf mehrere Quellen, die Familien von Protestteilnehmern würden vielfach schikaniert. Auch würden die Leichen getöteter Demonstranten nicht an die Angehörigen übergeben.

Druck auf Angehörige und Freunde

"Demonstranten werden nicht verhaftet; man lässt sie bewusst an unbekannten Orten verschwinden, um Angst und Panik in der Gesellschaft zu schüren", sagt der iranische Menschenrechtsanwalt Saeid Dehghan im Gespräch mit der DW. Dehghan lebt seit ein paar Monaten in Kanada. Verzweifelte Familien im Iran auf der Suche nach ihren Kindern kontaktieren ihn weiterhin und bitten um Rat und Hilfe. Es gibt kaum noch unabhängige Anwälte im Iran, die sich für ihre Mandanten einsetzen, ohne Angst haben zu müssen, selbst Opfer von Verfolgung und zu politischen Gefangenen zu werden. "Rechtsstaatlichkeit hat keine Bedeutung mehr. Laut dem Strafgesetzbuch der Islamischen Republik müssen die Behörden innerhalb von 24 Stunden die Angehörigen der inhaftierten Demonstranten über deren Aufenthaltsort informieren und den Grund der Inhaftierung mitteilen. Die Staatsmacht hält sich nicht einmal selbst an die Gesetze, die sie erlassen hat", sagt der Anwalt Dehghan. 

Für die Freilassung der inhaftierten Demonstranten müssen die Angehörigen eine Kaution hinterlegen, oft in Höhe von umgerechnet mehreren Tausend Euro. Viele Familien müssen sich an ihre Verwandten und Freunde wenden, um dieses Geld aufbringen zu können, sagt Dehghan und fügt hinzu: "Die Staatsmacht baut damit einen enormen Druck im Umfeld der protestierenden Menschen auf; sie lässt diesen Druck wie ein Damoklesschwert über ihren Köpfen schweben." Sie hätten dadurch nicht nur Angst davor, sich nach ihrer Freilassung kritisch zu äußern oder wieder an den Protesten teilzunehmen, sondern sie würden auch von ihrem sozialen Umfeld kontrolliert.

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