Macht der Konservativen
13. Oktober 2006Was vor sieben Jahren Anlass für die schwersten Unruhen seit der Islamischen Revolution war, ist im Iran zur Gewohnheit geworden: Die systematische Beschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit. Noch im September wurden vier Zeitungen geschlossen, darunter die bekannteste reformorientierte Zeitung "Shargh". Kritiker und zivilgesellschaftliche Kräfte geraten immer mehr unter Druck.
Kritik nicht geduldet
Die Konservativen bündeln mit dem Gewinn der Parlamentswahlen 2004 und der Wahl Ahmadinedschads im Juni 2005 zum Präsidenten endgültig die politische Macht. Der "Wächterrat" und das Amt des "Obersten Führers" sind seit jeher Domänen der Ultrakonservativen. Diese Machtkonzentration soll unter allen Umständen verteidigt werden. So erhielten die - den Konservativen unterstehenden - Milizen wie die "Bassiji" mehr Freiheiten bei der Überwachung und Bestrafung von Dissidenten.
Jegliche Demonstration, gleich welcher Couleur, wird schnell - und falls möglich - noch vor der Versammlung niedergeschlagen. Willkürliche Festnahmen ohne Anklage oder Gerichtsurteile stehen laut den Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch und Amnesty International auf der Tagesordnung. Davon sind Journalisten, Frauen- und Menschenrechtsaktivisten genauso betroffen wie Geistliche, Parlamentarier sowie ethnische und religiöse Minderheiten. Da passt es auch ins Bild, dass das Kabinett vorwiegend aus ehemaligen Sicherheits- und Geheimdienstbeamten besteht.
Zäsur im öffentlichen Protest
Seitdem die junge Islamische Republik im Juli 1999 von den sechs Tage andauernden Studentenunruhen erschüttert wurde, hat sich einiges verändert. Damals kam es zu Massenverhaftungen mit mehr als 1200 Festnahmen, mindestens einem Toten sowie Todesurteilen gegen angebliche "Rädelsführer". Die Masse der Studenten hat sich enttäuscht vom damaligen Präsidenten Khatami und der Politik abgewendet. "Viele Studenten haben sich von Khatami und den Reformern im Stich gelassen gefühlt", sagt Semiramis Akbari von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Seither misstrauten sie nicht nur den reformorientierten Strömungen in Regierung und Staat, sondern dem politischen System generell, so die Friedensforscherin.
Die kleine Gruppe von Studenten, die trotzdem politisch aktiv ist, sieht sich systematischen Repressionsmaßnahmen ausgesetzt. Beispielsweise werden Studenten aufgrund ihres politischen Engagements die Immatrikulation an der Universität verweigert. So scheinen die Konservativen die Universitäten als potenziellen Hort von zivilem Ungehorsam weitgehend unter Kontrolle zu haben. Doch auch im außeruniversitären Bereich zeigt sich die iranische Gesellschaft als ständiger Unruheherd.
Keine Chance für Demonstranten
Am 8. Oktober diesen Jahres musste die Polizei Tränengas einsetzen, um eine Gruppe von 200 Demonstranten aufzulösen, die sich vor dem Haus des Geistlichen Hossein Kazemeini Boroujerdi versammelt hatte. Sie wollten die Verhaftung des Klerikers verhindern, der die Trennung von Religion und Politik forderte. Wenige Tage davor gingen hunderte Lehrer am Weltlehrertag auf die Straße um für bessere Unterrichtsbedingungen zu protestieren. Deren Demonstration wurde ebenso gewaltsam aufgelöst wie die friedliche Kundgebung von Frauen im Juni, die sich für mehr Rechte aussprachen. Im Januar waren bereits hunderte Busfahrer vorab inhaftiert worden, die sich für eine Gewerkschaft einsetzen wollten.
Zivilgesellschaft von oben
Neben der offensichtlichen Unterdrückung von Meinungsfreiheit wird unter der Regie von Ahmadinedschad vor allem die strukturelle Unterdrückung der Zivilgesellschaft forciert. An die Stelle von "westlichen" NGOs sollen dem Wunsch der Konservativen nach staatlich gelenkte oder dem Staat zumindest nahe stehende Organisationen treten. So wurden kontinuierlich finanzielle Hilfen von staatlicher Seite an NGOs und zivilgesellschaftliche Gruppierungen gestrichen. Verträge zur Nutzung von öffentlichen Einrichtungen werden nicht verlängert. Die Arbeit von nichtstaatlichen Organisationen wird damit nahezu unmöglich. Unter Khatami konnten sie im Iran erstmals Fuß fassen. Doch nun kommt jegliche Unterstützung vorwiegend islamischen Verbänden zugute.
Eine "staatlich geprüfte" Zivilgesellschaft soll allmählich die bestehenden Einrichtungen verdrängen, meint der iranische Menschenrechtsaktivist Omid Memarian. Es würden immer mehr Organisationen errichtet, die mit einer Behörde verbunden seien und die Aktivitäten der bisherigen NGOs und Verbänden übernähmen. "Das wird ein Umfeld schaffen, in dem die Stimme der Zivilgesellschaft, nicht länger die Stimme des Volkes, sondern die des Staates ist".