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Politik

Iran fühlt sich durch Protestwelle bedroht

1. November 2019

Iran sorgt sich wegen der Demonstrationen im Irak, aber auch im Libanon. Die richten sich auch gegen den Einfluss Irans. Dessen Oberster Führer warnte jetzt vor Feinden, die die "Region ins Chaos stürzen" wollten.

Irak Proteste in Kerbala
Bild: Getty Images/AFP

Iraker und Libanesen sollten ihre Forderungen im Rahmen der Gesetze stellen, forderte der obersten iranische Führer, Ajatollah Ali Chamenei. Sicherheit sei das Wichtigste für jede Nation. Seit Wochen schon demonstrieren die Menschen im Irak und im Libanon gegen Korruption und Misswirtschaft. Im Libanon wurde Premier Saad Hariri zum Rücktritt getrieben. Im Irak lehnen die Demonstranten eine bloße Kabinettsumbildung ab. Sie fordern grundlegende Reformen.

Chamenei, der den Iran als "eine Insel der Stabilität" im Nahen Osten bezeichnet hat, warnt die Protestierenden im Irak und im Libanon vor "Chaos". Er wirft den USA und einigen Ländern in der Region vor, die Bevölkerung im Irak und Libanon zur Rebellion gegen ihre rechtmäßigen Regierungen anzustacheln. Solche Pläne hätten "die Feinde" auch für den Iran geschmiedet. Nun wollten sie einen Keil zwischen die Nachbarländer treiben. Diese Verschwörung werde aber scheitern, so Irans religiöser Führer.

Protestaktion in Bagdads zentralem Tahrir-PlatzBild: picture-alliance/AA/M. Sudani

Schutzmacht tritt als Unterdrücker auf

Sowohl im Irak und wie auch im Libanon ist der Iran eng mit den Machthabern verbündet. Besonders im Nachbarland Irak hat der Iran nach dem Sturz von Saddam Hussein durch die USA großen Einfluss gewonnen. Die iranische Führung versteht sich als Schutzmacht der Schiiten und unterstützt schiitische Milizen und Politiker im Irak und im Libanon.

"Besonders im Irak ist das ein schmerzhaftes Thema für die Menschen" betont Hasan Hashemian, Experte für iranisch-arabische Beziehungen. Bis 2009 arbeitete Hashemian als Professor für Politikwissenschaften und Soziologie in Teheran. Wegen seiner kritischen Haltung wurde er mehrmals von Sicherheitskräften vorgeladen. Nun lebt er in den USA. "Die Proteste im Irak richten sich gegen den wachsenden Einfluss des Iran. Und die Leute wollen wissen, wer auf sie geschossen hat".

Über 230 Personen sind bei den Protesten im Irak bislang ums Leben gekommen. Etliche wurden erschossen. Augenzeugen berichten immer wieder von maskierten bewaffneten Männern, die Demonstranten unter Feuer nehmen. Im Verdacht stehen die schiitischen Milizen, sie haben einen direkten Draht nach Teheran. Am 27. Oktober kursierte ein Video in den sozialen Medien, in dem der Kommandeur der schiitischen Imam-Ali-Brigaden verwundet in ein Krankenhaus eingeliefert wird. Wütende Demonstranten sollen Abu Azrael, auch "Todesengel" genannt, angegriffen haben.

Al-Kuds-Kommandeur Kassam Soleimani (l) mit dem Vize-Kommandeur der schiitischen Milizen im Irak, Abu Mahdi al MuhandisBild: Fars

Irans Expertise für Niederschlagung von Protesten

Bereits einen Tag nach dem Ausbruch der Proteste gegen die Regierung im Irak vor einem Monat soll der der iranische General Kassim Soleimani in der Nacht per Hubschrauber in Bagdads Grüner Zone eingetroffen sein und eine Sitzung hochrangiger irakischer Sicherheitsbeamter geleitet haben. Dies erfuhr jetzt die Nachrichtenagentur AP. Der 61-Jährige General ist der Anführer der Quds-Brigaden, der Auslandstruppe der iranischen Revolutionsgarden, und gilt als einer der einflussreichsten Männer im Nahen Osten. Soleimani hatte auch die schiitischen Milizen im Kampf gegen den IS im Irak angeführt. "Wir im Iran wissen, wie man mit Protesten umgeht", soll Soleimani nach Angaben zweier irakischer Teilnehmer der Sitzung gesagt haben. "Das ist auch im Iran passiert und wir haben es unter Kontrolle."

"Die Antwort der irakischen Regierung auf die Proteste erinnert mich an die Reaktion der Regierung in Teheran auf die landesweiten Proteste im Iran 2018 und 2009 ", sagt Ali Afshari. Der iranische politische Aktivist fährt fort: "Die Antwort der Sicherheitskräfte im Iran war kurz: Brutal niederschlagen! Hinter diesen Protesten sieht das geistliche und politische Oberhaupt des Iran, Ajatollah Ali Chamenei bis heute 'Pläne der Feinde des Iran'."

Tatsächlich wurde auch die erste Protestwelle im Irak brutal niedergeschlagen. Nach einer kurzen Pause aber flammten die Proteste wieder auf und erreichten nun sogar die heilige Stadt der Schiiten, Kerbela, rund 100 Kilometer südlich von Bagdad. Hier wurden am 29.Oktober mehrere Menschen erschossen. Die Schüsse seien etwa zwei Kilometer entfernt vom Imam-Hussein-Schrein gefallen, einer der wichtigsten Pilgerstätten für schiitische Muslime. Augenzeugen berichteten, Hunderte Protestler hätten auf dem Platz ein Zeltlager für eine Blockade errichtet.

Zu den Zentren der Proteste gehören die Schiiten-Regionen um Kerbela und Nassirija

Schiiten im Irak verlieren Vertrauen

"Ein ernsthaftes Problem für die Regierung im Irak ist die Tatsache, dass sich die Proteste mehrheitlich auf schiitische Städten und Regionen des Irak konzentrieren", sagt der im US-Exil lebende Afshari. Schiiten stellen die Mehrheit der irakischen Bevölkerung. "Das zeigt, dass die schiitischen Parteien im Irak eine Krise der Akzeptanz und des Vertrauens erleben. Für die irakische Regierung ist es unmöglich, die Forderungen zu erfüllen oder vielversprechende Perspektiven zu schaffen."

Diese Situation ist für den Iran gefährlich. Wütende Demonstranten zerreißen Fotos von General Kassim Soleimani, verbrennen die iranischen Flagge und rufen "Nieder mit dem Iran". Der Iran kann zwar seinen Einfluss in der Region ausweiten. Aber am Ende droht er Hass und Widerstand zu ernten, weil seine Verbündeten die Forderungen der Bevölkerung nicht erfüllen können.

 

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