"Nationales Internet" für Iran
31. Juli 2021"Nein, nein, vieles sei falsch dargestellt!", versuchte Parlamentspräsident Mohammed
Bagher Ghalibaf die aufgebrachten Iraner am Donnerstag (29.07.) auf Instagram zu beruhigen. Die Medienberichte hätten nicht den Tatsachen entsprochen, kommentierte der konservative Politiker die Diskussion über das neue Internetgesetz. Es bezwecke lediglich, westliche Onlinedienste wie Instagram und WhatsApp durch Experten auf ihre "technischen Parameter" hin zu überprüfen.
Sonderliche Überzeugungskraft dürfte Ghalibafs Beschwichtigungsversuch kaum haben. Denn das neue Gesetz ist so problematisch, dass sich selbst Teile der Regierung dagegen ausgesprochen haben. "Dieses Gesetz wird die Gesellschaft wie ein Beil zerteilen", schrieb Kulturminister Abbas Salehi auf Twitter.
Auch die Mitteilung des Kommunikationsministeriums fiel deutlich aus. "Das neue Gesetz ist irrational, illegitim und letztlich zum Scheitern verurteilt", erklärte Vizeminister Amir Nasemi. "Darum sind die meisten Bürger so vehement dagegen."
Das Parlament hatte über das Gesetz in einer nicht-öffentlichen Sitzung debattiert. Der offiziellen Darstellung zufolge soll es in dem Gesetz um die Kontrolle wie auch die "Nationalisierung" des Internets gehen. Die im Iran sehr beliebten westlichen sozialen Medien will die Staatsführung durch iranische Alternativen ersetzen. Zuletzt ging auf ihre Veranlassung eine Dating-App auf den Markt, der viele junge Iraner allerdings ablehnend gegenüberstehen.
Das "neue" Internet dient offensichtlich aber auch der Kontrolle. So sollen alle Nutzer registriert werden. So genannte VPN-Anwendungen, mit deren Hilfe sich Internetsperren umgehen lassen, sollen verboten werden.
Ein letzter Freiheitsraum
Die heftige Diskussion im Iran sei wenig erstaunlich, sagt Politologin Sara Bazoobandi, Marie Curie Research Fellow am Hamburger GIGA-Institut. "Für die Bevölkerung bietet gerade das Internet noch einen kleinen Freiheitsraum. Jetzt haben die Menschen den Eindruck, dass ihnen das Regime diesen auch noch nehmen will. Das erzürnt sie sehr." Viele Iraner seien der Auffassung, sie hätten ohnehin nicht mehr viel zu verlieren. "Das könnte sie absehbar wieder auf die Straße treiben."
Wohl auch aus diesem Grund haben einige konservative Parlamentsmitglieder gegen den Gesetzentwurf gestimmt, so etwa Ex- Präsident Mahmoud Ahmadinedschad. Allerdings täten sie das nicht, weil sie um Freiheit und Bürgerrechte besorgt wären, sagt der Historiker Arash Azizi von der New York University. Im Gegenteil: "Zum einen befürchten sie, das neue Gesetz könnte dem konservativen Präsidenten Ebrahim Raisi, der am kommenden Donnerstag (05.08.) offiziell vereidigt wird, den Start erschweren. Zum anderen sind sie besorgt, dass viele kleine Unternehmen, die auf Instagram und andere Apps angewiesen sind, durch dieses Gesetz pleite gehen könnten."
Es könnte aber auch sein, dass der Zeitpunkt des neuen Gesetzes sehr bewusst gewählt worden sei, sagt Politologin Sara Bazoobandi. "Mit ihm soll bereits die neue Gangart deutlich werden, die der neue Präsident einzuschlagen gedenkt. Insofern ist es ein politisches Signal."
Netz und Protest
Auf dieses Signal reagieren die Bürger ungehalten, weil die digitalen Medien den Bürgern halfen, wenigstens einen Teil ihrer Autonomie zu behalten. Bei den Protesten des Jahres 2009 nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen hatten die sozialen Medien erstmals eine entscheidende Rolle gespielt. Die Demonstranten koordinierten sich, tauschten Informationen aus, dokumentierten das Vorgehen der Sicherheitskräfte und verliehen dem Protest so eine bislang unbekannte Wucht. Vor allem artikulierten sie ihr Anliegen erstmals auf einer globalen Bühne, und das nahezu in Echtzeit. In diese Zeit fielen auch die ersten Experimente mit Software zur Umgehung der staatlichen Kontrolle und Repression.
So dokumentiere dieser Protest ein grundlegendes politisches Signal: "die Weigerung, mit einem Staat zu sprechen, den man nicht als seinen eigenen anerkennen konnte, eine Weigerung, sich der Ungerechtigkeit zu unterwerfen", schreibt Aktivistin Negar Mottahedeh, die heute in den USA lebt, in ihrem Buch "#iranelection. Hashtag, solidarity and the transformation of online life."
Zahlreiche digitale Medien wie Facebook oder Twitter sind im Iran bereits seit Jahren gesperrt. Instagram, das einzige bislang nicht verbotene Medium, werde für eine Vielzahl von Aktivitäten genutzt, sagt Ashram Azizi. Es diene zur Verbreitung politischer Botschaften, für Wahlkampfzwecke und zum Betreiben großer und kleiner Unternehmen. "Verbotene Kanäle sind aber auch über VPNs zugänglich, so dass Twitter und der Messaging-Dienst Telegram weiterhin sehr beliebt sind."
Nervöse Staatsführung
So hätten sich die digitalen Kanäle als Plattformen etabliert, auf denen die Zivilbevölkerung ihre Sicht der Dinge präsentierte, sagt Bazoobandi. "Viele Bürger haben sich als Bürgerjournalisten betätigt. Andere stellen Videos ins Netz und fordern damit die Staatsführung heraus. Das alles macht die Staatsführung nervös. Darum handelt sie nun so wie autoritäre Regime überall auf der Welt."
Auch darum reihen sich die Unmutsbekundungen über das neue Gesetz in die Protestkundgebungen der vergangenen Tage ein. In der Provinz Chusestan gehen seit knapp zwei Wochen viele Iraner aufgrund des akuten Wassermangels auf die Straße. In rund 700 Ortschaften gibt es Medienberichten zufolge kaum mehr Trinkwasser. Die Staatsmacht ging gegen die Demonstranten in aller Härte vor. Amnesty International spricht von mindestens acht Toten. In der Provinz Alborz protestierten Bürger wegen dauernder Stromkürzungen. Medienberichten zufolge wurden während der Proteste in beiden Provinzen auch grundsätzliche Kritik an der Staatsführung geäußert. Diese fürchtet nun offenbar die Ausweitung der Bürgerproteste.
"Diese Proteste reihen sich an die vom vergangenen Herbst, als die Bürger gegen die Erhöhung der Benzinpreise demonstrierten", sagt Sara Bazoobandi. Diese und andere Proteste - etwa gegen das mangelhafte Management der Corona-Pandemie - hätten sich an so konkreten wie berechtigten Anliegen entzündet, gingen letztlich aber weit über diese hinaus: "Die Menschen sind generell absolut unzufrieden mit der Gesamtsituation - wirtschaftlich, sozial, politisch."
Harte Reaktion?
Insgesamt hat der Staat ein kompliziertes, in sich widersprüchliches Verhältnis zu den digitalen Medien. Dieser Umstand spiegelt sich nun auch in dem neuen Gesetz. "Zur Freude vieler protestiert auch die Ammar Cyber Unit, eine regimetreue Hardliner-Organisation, gegen das Gesetz, da es ihre umfangreichen Online-Aktivitäten unterbricht", sagt Arash Azizi von der New York University.
Käme es zu nun zu neuen Protesten, könnte der Staat mit aller Härte vorgehen, fürchtet Sara Bazoobandi. "Er hat sich auf solche Ereignisse bestens vorbereitet." Demonstranten müssten darum mit einer sehr harten Antwort rechnen. "Der Staat könnte ihren Protest effektiv niederschlagen."