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PolitikAsien

Iran: Missmanagement verschärft Corona-Krise

20. August 2021

Während sogar Funktionäre im Iran katastrophales Missmanagement der Corona-Krise beklagen, wird Kritik aus der Zivilgesellschaft unterdrückt. 

Iran Covid-19 Shohadaye Tajrish Krankenhaus in Teheran
Bild: Ebrahim Noroozi/AP Photo/picture alliance

Laut dem jüngsten Corona-Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom 17. August verzeichnet der Iran derzeit neben Botsawana und Georgien die meisten Corona-Neuinfektionen, nämlich mehr als 300.000 in sieben Tagen. Die WHO stützt sich auf offizielle Zahlen der Länder.

Vizegesundheitsminister Iradsch Harirchi hält dagegen einen fünf Mal so hohen Wert für realistisch. Im Interview mit dem staatlichen Fernsehen vom Mittwoch rechnet Harirchi mit Neuinfektionen in der Größenordnung von täglich bis 220.000. Die Zahlen würden in den nächsten anderthalb Monaten weiter steigen, befürchtet Harirchi. Grund: die religiösen Feierlichkeiten in den vergangenen zwei Wochen. 

Religiöse Feiern als Infektionstreiber

Seit Anfang des Monats Muharram am 10. August wurden trotz Pandemie überall im Iran große Trauerzeremonien veranstaltet. Muharram ist der erste Monat des islamischen Kalenders und hat besonders für die Schiiten große Bedeutung. Es wird dabei des Todes des dritten Imams vor 1400 Jahren gedacht. Während der ersten zehn Tage finden die wichtigsten Feierlichkeiten für die stark religiös geprägten Teile der Bevölkerung statt. 

Trauerzeremonien fanden überall statt Bild: alam.dar.ir

Eben diese Menschen stehen den Corona-Schutzmaßnahmen vielfach ablehnend gegenüber. Der Corona-Krisenstab hatte vor zwei Wochen zwar davor gewarnt, dass die Feierlichkeiten die Corona-Krise verschärfen würden. Aber er wagte es nicht, die Trauerzeremonien zu verbieten. Nach langem Zögern wurde am 14. August ein fünftägiger Lockdown verhängt. Zwar mussten Geschäfte und Büros geschlossen bleiben, in den Moscheen aber fanden Feierlichkeiten mit vielen Teilnehmern statt.  

Schuldzuweisung an Vorgängerregierung Rohani 

Während die Zahl der Neuinfektionen und Corona-Toten nach oben schießt, gerät die nationale Impfkampagne ins Stocken. Aliresa Sali, Leiter des Corona-Krisenstab in der Hauptstadt Teheran, gab am 11. August im Interview mit dem staatlichen Fernsehen zu, dass das Land seine Impfkampagne aufgrund fehlender Impfstoffe nur noch ein paar Tage fortsetzen könne. Er warf der früheren Regierung Rohani vor, aus Kostengründen keine Corona-Impfstoffe bestellt zu haben. Sali warf den Behörden vor, die Zahl der Corona-Toten bewusst zu niedrig anzugeben.  

Der Krisenstabsleiter wies die Schuld am Missmanagement in der Pandemie der früheren Regierung Rohani zu, die am 3. August von der neuen Regierung unter Präsident Raisi abgelöst wurde. Kurz nach der Amtseinführung teilte der neue Vizepräsident Mohammad Mokhber mit, dass der Iran bald 20 Millionen Impfdosen importieren werde.   

"Für uns liegt die Verantwortung für den katastrophalen Zustand beim religiösen Führer Ayatollah Chamenei", schreibt die Teheraner Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi an die Deutsche Welle. "Ayatollah Chamenei hatte am Beginn der Pandemie das Coronavirus als biologische Waffe der Amerikaner gegen den Iran bezeichnet und den Import von Impfstoffen aus dem Westen verboten. Aber auch aus anderen Ländern wurde nicht rechtzeitig Impfstoff bestellt. Es wurde behauptet, das sei wegen der US-Sanktionen nicht möglich gewesen. Was eine Lüge war! Denn der Iran hätte von der internationalen Covax-Initiative Impfstoffe bekommen können. Der neue Vizepräsident hatte letztes Jahr gesagt, wir bräuchten keine Impfstoffe vom Ausland, wir würden selbst bald genug eigene Corona-Impfstoffe produzieren." 

Skandal um iranischen Impfstoff Coviran Barekat

Vizepräsident Mohammad Mokhber war bis vor kurzem zuständig für die Produktion des einheimischen Corona-Impfstoffs "Coviran Barekat", hat aber jetzt „andere Aufgaben übernommen", wie es heißt. Coviran wurde im Barekat-Institut entwickelt und hatte Mitte Juni eine Zulassung für die Massenproduktion erhalten. Das Institut gehört dem Mischkonzern Setad - mit vollem Namen "Setad Ejraiye Farmane Hazrate Emam" oder "Hauptquartier zur Durchsetzung der Befehle des Imams",  also Chameneis. Über diesen Konzern kontrolliert das Büro des religiösen Führers weite Teile der iranischen Wirtschaft. Setad wollte seinen Impfstoff an die Regierung für umgerechnet sieben Euro pro Dosis verkaufen. Das ist dreimal so viel wie die AstraZeneca Impfdosen, die Iran im Februar über die die Covax-Initiative der Vereinten Nationen erhalten hat. Damals hatte der Iran 4,2 Millionen Dosen AstraZeneca gekauft, für 2, 50 Euro pro Dosis.  

Viele Iraner warten noch auf ihre Corona-ImpfungBild: Morteza Nikoubazl/NurPhoto/picture alliance

Mokhber, der Chamenei nahesteht, war nicht nur gegen den Import von Impfstoffen. Er hatte auch überzogene Hoffnungen geweckt, was die Menge an eigenem Impfstoff angeht. Mitte Juni hatte er versprochen, wöchentlich drei Millionen Coviran-Impfdosen zu produzieren. Bis Ende Juli wurden allerdings wegen "technischer Probleme" nur 1,5 Millionen Impfdosen ausgeliefert.  

Hilferufe der Bevölkerung an die UN 

Die moderaten Kräfte werfen den Hardlinern um Chamenei vor, bewusst den Import von Corona-Impfstoffen unter Rohani verhindert zu haben, um von der Pandemie zu profitieren.  Sechs Menschenrechtsaktivisten und Anwälte, die vorhatten, Klage wegen Missmanagements der Regierung in der Pandemie einzureichen, wurden vergangenen Samstag verhaftet.  

Auch die Menschrechtsorganisation Human Rights Watch kritisiert in einem Bericht vom 19. August, das Missmanagement der Behörden habe die Corona-Krise im Iran verschärft und verweist auf das Versagen bei der Impfkampagne.  

Claudio Providas, Vertreter der UN im Iran, teilte am 17. August via Twitter auf Farsi und Englisch mit, dass er in "dieser tragischen Situation" zahlreiche Nahrichten von Iranern erhalten habe, die von den UN Hilfe und Lieferung von Corona-Impfstoffen durch die Covax-Initiative erbitten. Länder, die über entsprechende Mittel verfügten, sollten die Finanzierung der Beschaffung von Impfstoffen für den Iran priorisieren, fordert Providas Die UN würden bei der Beschaffung über die Covax-Initiative helfen, sobald die Finanzierung gesichert sei. 

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