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PolitikAsien

Nach Hinrichtungen wird Kritik an Irans Justiz lauter

13. Dezember 2022

Im Iran droht mindestens 38 weiteren inhaftierten Demonstranten die Hinrichtung wegen "Kriegs gegen Gott". Juristen und prominente schiitische Gelehrte kritisieren die Justiz.

Junge Menschen protestieren auf der Straße gegen das iranische Regime - die Frauen tragen kein Kopftuch
Junge Menschen protestieren gegen das iranische Regime - die Frauen tragen kein KopftuchBild: SalamPix/ABACA/picture alliance

Zwei junge Demonstranten wurden im Iran exekutiert. Mohsen Shekari und Madschid-Resa Rahnaward waren beide gerade einmal 23 Jahre alt. Shekari wurde am vergangenen Donnerstag in der Hauptstadt Teheran hingerichtet und Madschid-Resa Rahnaward am Montag in Irans zweitgrößter Stadt Maschad. Sie hätten einen "Krieg gegen Gott und gegen die islamische Ordnung" geführt, sagt die Justiz. Eine Straftat, die die Justiz mindestens 38 weiteren inhaftierten Demonstranten vorwirft.

"Demonstranten führen keinen Krieg gegen Gott und gegen die islamische Ordnung", widerspricht Ajatollah Morteza Moghtadai im Gespräch mit der iranischen Nachrichtenagentur ILNA am 12. Dezember. Der prominente schiitische Gelehrte ist der ehemalige Präsident des iranischen Gerichtshofs und unterrichtet am theologischen Seminar in Ghom, einer den schiitischen Muslimen heiligen Stadt im Iran. "Die Protestierenden haben für ihre Rechte demonstriert. Die Sicherheitskräfte haben sie aber an der Wahrnehmung ihrer Rechte gehindert."

Was heißt "Krieg gegen Gott"?

"Krieg gegen Gott" ist im iranischen Strafrecht eines der schwersten Verbrechen gegen die islamische Staatsordnung und wird mit dem Tode bestraft. Was "Krieg gegen Gott" genau heißt, ist allerdings nicht klar definiert. Der Terminus bietet viel Raum für Interpretationen. Die Justiz wendet ihn jetzt im weitesten Sinne gegen inhaftierte Demonstranten an, um alle anderen einzuschüchtern.

"Ein Todesurteil setzt einen Mord voraus", sagt Ajatollah Morteza Moghtadai. Bei der ersten Hinrichtung war das ganz klar nicht der Fall. Mohsen Shekari hatte in Teheran an einer Protestaktion gegen die Regierung teilgenommen und im Zuge dessen eine Straßen blockiert. Dabei soll er ein Mitglied der von der Revolutionsgarde geführten Basidsch-Paramilitärs verletzt haben.

"Die Justiz verliert ihre Glaubwürdigkeit" warnte Strafrechtsprofessor Mohsen Borhani bei einer Veranstaltung an der Imam Sadiq Universität am Sonntagabend. Die Imam Sadiq Universität, die nach der Islamischen Revolution gegründet wurde, bildet Führungskräfte im Staatsapparat aus. "Mehr als Hälfte der Gesellschaft glaubt uns nicht mehr", klagte Borhani auf der Veranstaltung und fügte hinzu: "Protestierende werden in Schnellverfahren verurteilt. 'Krieg gegen Gott' muss bewiesen werden. Wo sind die Beweise?"

Madschid-Resa Rahnaward wurde auch in einem Schnellverfahren zum Tode verurteilt. Er sei wegen der Tötung von zwei Mitgliedern der paramilitärischen Basidsch-Miliz mit einer Stichwaffe und der Verletzung von vier weiteren Menschen zum Tode verurteilt worden, heißt es auf der Website der Justizbehörde, Misan Online.

"Woher soll ein normaler Bürger wissen, dass bewaffnete Männer in Zivil, die mit Stöcken alle Bürger auf der Straße schlagen, Mitglieder der paramilitärischen Basidsch-Miliz sind und keine Terroristen, die sich unter die Menschen eingemischt haben um sie zu töten?" fragt der Journalist Sadra Mohaghegh in einem Tweet:

Seit dem Tod von Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam protestieren Iraner gegen die Staatsmacht. Mindestens 488 Menschen wurden nach Angaben iranischer Menschenrechtsaktivisten getötet, weitere 18.200 Menschen festgenommen. 

Streiks auch an "ruhigen" Unis

"Es wird schlimmer, weil durch Wut und Trauer die Familie, Freunde und Bekannte der getöteten Demonstranten mobilisiert werden", erwartet der 26-jährige Student Alireza (Name geändert) im Gespräch mit der DW. Alireza studiert in der Stadt Gazvin rund 130 Kilometer von Teheran entfernt. Gazvin gilt mit knapp einer halben Million Einwohner als Kleinstadt im Iran. Wer dort protestiert, wird schnell von den Sicherheitskräften identifiziert. Alireza fügt hinzu: "Die Sicherheitskräfte in Zivil kontrollieren momentan alles, auch an der Uni. Ich weiß nicht, wie lange sie so viel Aufwand treiben wollen, um uns zu überwachen. Die Welle der Proteste kehrt aber zurück. Momentan streiken wir an der Uni und nehmen nicht am Unterricht teil. Das machen viele. Deswegen werden viele Veranstaltungen abgesagt."

Friedliche Protestaktionen an Unis gehen weiter Bild: SalamPix/abaca/picture alliance

Um Protestaktionen zumindest an den Universitäten den Wind aus den Segeln zu nehmen, behaupten fast alle Funktionäre der Staatsmacht im Iran momentan, dass sie den "Dialog" suchen. So hatten etliche Universitäten am 7. Dezember, dem iranischen "Tag der Studenten", Veranstaltungen organisiert und Vertreter des Staates eingeladen, um Fragen der Studenten und Studentinnen zu beantworten. An der Universität Teheran zum Beispiel hielt Präsident Ibrahim Raisi eine Rede, danach durften Fragen an ihn gerichtet werden. 

"An diesen Veranstaltungen nehmen vor allem ruhige und systemtreue Studierende teil", glaubt die 25-jährige Studentin Fatemeh (Name geändert). Sie studiert an der Al-Zahra Universität in Teheran. Al-Zahra ist die einzige Hochschule im Iran, die ausschließlich Frauen aufnimmt, und strenge Aufnahmeregeln hat. "Seit dem Tod von Jina Mahsa Amini gibt es auch bei uns Protestaktionen. Ich bin wirklich überrascht vom Mut meiner Kommilitoninnen. Früher war es die Universität Teheran, die bei politischen Aktionen immer an erster Front stand. Diesmal protestieren alle."

Protest kapert den offiziellen "Tag der Studenten" 

Die Universität Teheran gilt als angesehenste Universität des Landes. Vor 69 Jahren am 7. Dezember wurden dort drei Studenten von Soldaten erschossen. Der Grund waren Proteste nach einem Putsch. Im August 1953 war die Regierung von Ministerpräsident Mohammed Mossadegh, die einzige demokratisch gewählte Regierung in der jüngeren Geschichte des Irans, durch einen vom amerikanischen Geheimdienst CIA organisierten Putsch gestürzt worden. Die USA setzte erneut den Schah von Persien als Herrscher ein, Mohammed Reza Pahlavi, der keinen demokratischen Reformen zustimmte. Die drei getöteten Studenten wurden zum Symbol des Widerstands. 

Nach der Revolution 1979 und dem Sturz des Schahs wurde der 7. Dezember zum Tag der Studenten erklärt. Seitdem finden jährlich an diesem Tag Gedenkveranstaltungen und Kundgebungen statt. Diese Kundgebungen lieferten in den vergangenen 20 Jahren immer wieder einen Anlass für Protestaktionen gegen das theokratische iranische System. "Wir werden weiter für Demokratie und Freiheit kämpfen", teilten Studierende an sieben großen Universitäten in der Hauptstadt Teheran am Tag der Studenten in einer gemeinsamen Stellungnahme mit.

Videos von Protestversammlungen an verschiedene Universitäten zirkulieren im Netz. Aber auch Videos, die einen Tag zuvor in der Sharif-Universität aufgenommen worden waren. Dort hatte sich der Bürgermeister von Teheran mit Studierenden getroffen. Alireza Zakani wurde mit vielen kritischen Fragen konfrontiert. Eine Studentin ging sogar ohne Kopftuch auf Bühne hinter dem Mikrofon und sagte im: "Der Schah hatte wenigstens so viel Würde, dass er außer Landes gegangen ist, nachdem er die Massenproteste erlebt hatte." Schließlich wurde Zakani mit Parolen wie "Tod dem Diktator" von den Studierenden nach draußen begleitet.

Großes Risiko für protestierende Studenten

Teilnehmer an solchen Protestaktionen müssen mit harten Strafen rechnen, wie etwa die Studentin Saba Rayani: Sie wurde zu sechs Monaten Haftstrafe und 30 Peitschenhieben verurteilt. Sie hatte bei einer früheren Gelegenheit lediglich an einer friedlichen Protestaktion an der Uni teilgenommen. Über das Urteil wurde sie am "Tag der Studenten" informiert.

Mitarbeit: Shora Azarnoush

Dieser Artikel vom 8. Dezember wurde nach der Hinrichtung von Madschid-Resa Rahnaward am 13.12.2022 aktualisiert

 

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