1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikNahost

Neue Hoffnung auf Einigung im Atomstreit

10. April 2021

Nach den Wiener Gesprächen zu neuen Verhandlungen um das iranische Atomprogramm stehen die Chancen auf eine weitere Annäherung gut. Allerdings gilt es gerade im Iran, innen- und außenpolitische Hürden zu überwinden.

Österreich Wien |  Atom-Konferenz
Bild: Askin Kiyagan/AA/picture alliance

Nach den Wiener Gesprächen zum Atomdeal mit dem Iran kommen aus Teheran widersprüchliche Signale. Präsident Hassan Ruhani gab sich optimistisch nach dem "konstruktiv" verlaufenen Treffen. Eine Wiederbelebung des Atomabkommens sei durchaus wünschenswert. "Erneut sind alle Parteien zu dem Ergebnis gekommen, dass es keine bessere Alternative gibt", sagte er laut einer Mitteilung des Präsidialamts, "damit können wir auf eine Renaissance des Wiener Atomabkommens hoffen." Man müsse aber die Ergebnisse der Wiener Gespräche abwarten. "Die USA sagen, dass sie zum Abkommen zurückkehren wollen. Es ist schön. Dann schauen wir mal, wie ernst sie das meinen."

Das iranische Nachrichtenportal Press TV zitierte hingegen eine namentlich nicht genannte, aber offenbar der Staatsführung nahestehende Quelle, die eine "Segmentierung" der US-Sanktionen ablehne. Das deutet darauf hin, dass sie zur Rückkehr zum "Joint Comprehensive Plan of Action" (JCPOA), wie das Atomabkommen im Fachjargon der Diplomaten heißt, eines zur Bedingung macht: die Aufhebung sämtlicher US-Sanktionen. Diese Linie vertritt nach außen auch das Staatsoberhaupt des Iran Ali Khamenei, der das geistliche Oberhaupt ist.

Das Geistliche Oberhaupt des Iran Ali KhameneiBild: Office of the Iranian Supreme Leader/AP/picture alliance

Grundsätzliches Interesse an Einigung

Eine solche Position dürfte vor allem strategisch motiviert sein, sagt David Jalilvand, Geschäftsführer des auf den Nahen Osten spezialisierten Beratungsunternehmens "Orient Matters". "Man muss bei solchen Äußerungen Rhetorik und Substanz trennen. Letztlich geht es darum, sich in eine starke Verhandlungsposition zu bringen, von der aus man dann auf eine Einigung hinarbeitet." 

Tatsächlich hätten beide Seiten Interesse an einer Einigung, die westlichen Staaten ebenso wie der Iran. Dass die Parteien nach monatelangem Hin und Her nun verhandeln, sei daher durchaus ein erster Erfolg, sagt Jalilvand. Tatsächlich hatte die EU noch im Februar dieses Jahres zunächst vergeblich zu vermitteln versucht. Sie hatte ein Treffen der "Gemeinsamen Kommission des Atomabkommens" ins Spiel gebracht, mit den USA als Gast. Der Iran hatte den Vorschlag damals abgelehnt.

Urananreicherungsanlage in NatansBild: AEOI/ZUMA Wire/imago images

Das Beharren des neuen US-Präsidenten Joe Biden auf eine vollständige Umsetzung des Atomabkommens durch Iran als Bedingung für eine Rückkehr der USA zur Übereinkunft lehnte der Iran entschieden ab. Teheran pochte vielmehr darauf, Washington müsse den ersten Schritt machen und seine Sanktionen aufheben, nachdem die USA unter Präsidentschaft Donald Trump 2018 einseitig das 2015 vereinbarte JCPOA aufgekündigt hatten.

Hoffnung auf Expertengespräche

Zwar hatte Behrouz Kamalvandi, Sprecher der iranischen Atomenergieorganisation (AEOI), Mitte dieser Woche noch einmal bekräftigt, der Iran werde weiterhin 120 Kilogramm des zu 20 Prozent angereicherten Urans produzieren. Dieses Ziel werde der Iran in acht Monaten erreichen, erklärte Kamalvandi. Der JCPOA sieht für den Iran nur eine Anreicherung von unter fünf Prozent vor.

Atomanlage im iranischen IsfahanBild: Maxar Technologies/​REUTERS

Dennoch dürfte dem Iran eine Wiederbelebung des Atomabkommens entgegenkommen, sagt Jalilvand. Zwar habe der Iran gelernt, mit Sanktionen umzugehen, "aber auf Dauer ist er auf den internationalen Handel und die Einbindung in das internationale Finanzsystem angewiesen." Der Ausschluss vom internationalen Zahlungssystem könne nicht kompensiert werden. "Insofern begrüßt auch Teheran, dass nunmehr auf Expertenebene über die Maßnahmen zur Wiederbelebung der Atomvereinbarung hingearbeitet wird."

Sorgen der "Reformer"

Im kommenden Juni wird im Iran der Präsident neu gewählt. Nach den Parlamentswahlen vom Februar 2020 stehen moderate Politiker der sogenannten "Reformer"-Fraktion enorm unter Druck. Ihr Versprechen, durch Abschluss des Atomabkommens würde sich die wirtschaftliche Lage im Iran bessern, konnte die Regierung von Präsident Ruhani nicht einlösen.

"Von dieser Enttäuschung haben die politischen Hardliner profitiert", sagt Jalivand. "Darum sind die Moderaten unbedingt darauf angewiesen, möglichst rasch Erfolge, eine Lockerung des Sanktionsregimes oder zumindest einen klaren Zeitplan hierfür vorweisen zu können. Gelingt ihnen das nicht, dürften sie auch bei den Präsidentschaftswahlen eine Niederlage erleiden."

Deswegen ist es insbesondere für die moderaten Politiker wichtig, dass es eine Perspektive auf eine Wiederbelebung des Atomabkommens gibt. Zugleich versucht die Staatsführung zu verhindern, zu viel aufzugeben, ohne auf der internationalen Ebene zu profitieren. Wohl auch darum hatte AEOI-Direktor Ali Akbar Salehi die Kritiker des Atomdeals Mitte der Woche zu besänftigen versucht. Der JCPOA hat "die iranische Atomindustrie nicht suspendiert", erklärte er in einer Mitteilung.

Große Verhandlungsrunde in der österreichischen Hauptstadt WienBild: Askin Kiyagan/AA/picture alliance

Diese Äußerung dürfte er auch mit Blick auf die Zukunft getan haben. "Im politischen Teheran schließt man nicht aus, dass 2024 womöglich wieder ein republikanischer US-Präsident gewählt wird, der das Land erneut mit Sanktionen belegt", sagt Jalilvand. Die damit verbundenen Erfahrungen wolle man nicht noch einmal machen. "Das Atomprogramm zu modifizieren, braucht Zeit. Die Inbetriebnahme oder Stilllegung von Zentrifugen zur Urananreicherung oder der Auf- bzw. Abbau von Beständen angereicherten Urans benötigen Zeit. Eine erneute Sanktionierung Irans hingegen braucht kaum mehr als eine Unterschrift."

Aussicht auf weitere Verständigung

Hinzu kommt aus iranischer Sicht die Sorge vor einem womöglich unausgeglichenen Kompromiss unterhalb der Schwelle einer vollständigen Umsetzung des Atomabkommens durch alle Seiten. "Iran will verhindern, dass man das eigene Atomprogramm weit herunter fährt, im Gegenzug aber nur eine geringe Erleichterung bei den Sanktionen erhält. Teheran ist überzeugt, hierbei zu viel aus der Hand zu geben, um anschließend auf eine vollständige Aufhebung des Sanktionsregimes drängen zu können", so Jalilvand.

Während die Verhandlungen kompliziert bleiben, können die Wiener Gespräche dennoch die Weichen für das künftige Verhältnis zwischen Iran und der westlichen Welt neu stellen. "Es dürfte über das Atomabkommen hinaus kein zweites größeres Abkommen zur Regionalpolitik mit Iran geben. Nach den Erfahrungen mit dem JCPOA, die vom willkürlichen Rückzug Washingtons geprägt sind, lehnt Teheran dies strikt ab." Zu viele Akteure mit höchst unterschiedlichen Interessenlagen müssten an einen Tisch gebracht werden, was die Aussicht auf einen Abschluss erheblich schmälern würde, sagt Jalilvand. "Eine Verständigung in der Nuklearfrage würde aber die Tür öffnen, auf Fallbasis für Fortschritte zu sorgen und auf diese Weise insgesamt zu einer Entspannung beizutragen."

 

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen