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PolitikIran

Iran: Neue Strategien gegen die Unzufriedenheit?

21. September 2024

Präsident Peseschkians Aussagen zur Sittenpolizei entfachen eine hitzige Debatte im Iran. Im Zuge der Proteste suspendierte Professoren und zwangsexmatrikulierte Studenten sollen an die Universitäten zurückkehren können.

Iran Teheran | Präsident Massud Peseschkian bei Regierungssitzung
Irans Präsident Massud PeseschkianBild: Iranian Presidency/Zuma Press/dpa/picture alliance

Seit Wochenbeginn entfaltet sich im Iran eine hitzige Debatte um die Äußerungen von Präsident Peseschkian zur Sittenpolizei. In seiner ersten Pressekonferenz -  sechs Wochen nach Amtsantritt - erklärte Peseschkian, er werde sich dafür einsetzen, dass die Sittenpolizei Frauen nicht länger belästige. "Werden Sie immer noch schikaniert?", fragte er eine Journalistin, die mit lockerem Kopftuch hinter dem Mikrofon stand. Sie hatte berichtet, wie sie Umwege und Ausweichmanöver in Kauf nehmen musste, um nicht von der Sittenpolizei aufgehalten zu werden.

Diese Äußerung löste nicht nur im Netz, sondern vor allem in politischen Kreisen im Iran eine kontroverse Debatte aus. Mohammad Javad Motazeri, der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs, kritisierte die Worte des Präsidenten und sagte: "Herr Präsident, Sie fragen, ob die Sittenpolizei noch existiert und stört? Die eigentliche Frage sollte das unangemessene Tragen des Hidschab der Journalistin und die Werte sein, die nicht verletzt werden dürfen."

Im Parlament warnte der konservative Abgeordnete Abas Goodarzi den Präsidenten vor derartigen Äußerungen und sagte: "Es ist kaum zu fassen, dass der Präsident die Sittenpolizei ermahnen will."

Wut und tiefe Unzufriedenheit in der Bevölkerung

Im Netz sind nicht nur empörte Kommentare konservativer Politiker und ihrer Anhänger zu finden, sondern auch zahlreiche aufgebrachte Stimmen iranischer Frauen, die zum Teil unter ihrem echten Namen in sozialen Netzwerken aktiv sind. Seit dem tragischen Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam vor zwei Jahren weigern sie sich, in der Öffentlichkeit ein Kopftuch zu tragen. "Weiß der Präsident nicht, womit wir täglich konfrontiert sind?", fragen viele von ihnen. "Nach all den Toten fragt er, ob die Sittenpolizei uns noch schikaniert?", schreibt die Journalistin Elahe Khosravi auf der Plattform X.

Wie viele andere Frauen im Iran veröffentlichte auch sie vor dem zweiten Todestag von Jina Mahsa Amini ein neues Foto von sich im Netz - ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit aufgenommen - und dazu die Botschaft: "Wir sind unzählige".

"Präsident Peseschkian und zumindest ein Teil des politischen Apparats im Iran haben erkannt, dass die Antwort auf die Wut und die tiefe Unzufriedenheit der Bevölkerung nicht in weiterer Gewalt liegt. Die Entwicklungen der letzten zwei Jahre lassen sich weder rückgängig machen noch aufhalten", erklärt der Soziologe Mehrdad Darvishpour, Professor an der Universität Mälardalen in Schweden. Darvishpour forscht seit Jahren zu den politischen Veränderungen im Iran. "Im Iran gibt es eine starke Frauenbewegung, die sich nicht mehr zurückdrängen lässt. Seit dem Tod von Jina Mahsa Amini haben viele Frauen beschlossen, sich dem Kopftuchzwang zu widersetzen. Trotz massiver Repression in den letzten zwei Jahren leisten sie täglich Widerstand, und ihr Mut breitet sich in der Gesellschaft aus. Obwohl die landesweiten Proteste nach Aminis Tod brutal unterdrückt wurden, können sie jederzeit wieder aufflammen."

Präsident und der Rat der Kulturrevolution 

Ob Peseschkian in der Lage ist, die Sittenpolizei davon abzuhalten, Frauen weiterhin zu schikanieren, hängt nicht von seinen Entscheidungen allein ab. Offiziell ist die Sittenpolizei zwar eine Unterabteilung der iranischen Polizei, die dem Innenministerium unterstellt ist.

Viele Frauen im Iran tragen kein Kopftuch mehr in der Öffentlichkeit Bild: Vahid Salemi/AP Photo/picture alliance

Die Entscheidungen über die Aufgaben der Sittenpolizei werden jedoch vom Obersten Rat der Kulturrevolution getroffen. Dieser Rat ist eine zentrale Institution in der Islamischen Republik Iran. Seine Hauptaufgabe besteht darin, die Kultur- und Bildungspolitik des Landes zu überwachen und zu gestalten. Er hat maßgeblichen Einfluss auf die kulturelle und wissenschaftliche Ausrichtung des Landes und kontrolliert wichtige Bereiche wie das Bildungswesen, die Universitäten und kulturelle Aktivitäten.

Der Rat setzt sich aus Regierungsvertretern zusammen, darunter der Präsident und bestimmte Minister, so der Minister für Kultur und Bildung, sowie aus Mitgliedern, die direkt vom religiösen Führer Ayatollah Chamenei ernannt werden. Zu diesen zählen auch Vertreter des Klerus, die auf die Bewahrung der aus ihrer Sicht islamischen Werte wie das Kopftuch und die Kleiderordnung für Frauen bestehen.

Trotz dieser Einschränkungen besitzt der Präsident, der an der Spitze des Verwaltungsapparats steht, einen gewissen Handlungsspielraum, um Veränderungen zu bewirken.

Rückkehr entlassener Professoren und Studenten

Das zeigt sich aktuell im Fall der im Zuge der Proteste entlassenen Professoren und Studenten. Während und nach den landesweiten Demonstrationen nach dem Tod von Jina Mahsa Amini wurden zahlreiche Professoren entlassen und Studierende zwangsweise exmatrikuliert. Nun sollen sie an die Universitäten zurückkehren dürfen, wie der neue Bildungsminister ankündigte. Der Rektor der Universität Teheran, der für viele dieser Suspendierungen verantwortlich war, wurde am 18. September entlassen.

Während der landesweiten Proteste im Jahr 2022 gab es viele Kundgebungen gegen das Regime in der Universität Teheran Bild: SalamPix/ABACA/picture alliance

Dank des Einsatzes von Dr. Zafarghanidi, dem Minister für Gesundheit und medizinische Ausbildung, werde sie ihr Studium an der Universität Teheran im kommenden Semester fortsetzen, teilte die Studentin Motahare Goonei am 17. September auf ihrem Account auf der Plattform X mit. Motahare Goonei war während der landesweiten Proteste 2022 verhaftet worden. Sie befand sich im letzten Semester im Fach Zahnmedizin und stand kurz vor ihrer Promotion, als gegen sie wegen "Aufruhr" und "Anstiftung zu Chaos" an der Fakultät ein fünfjähriges Studienverbot verhängt wurde. Nach ihrer Freilassung setzte sie sich für politische Gefangene ein und wurde erneut verhaftet. Seit Mai 2024 ist sie gegen Kaution auf freiem Fuß. Nun kämpft sie für die Rückkehr aller exmatrikulierten Studenten.

"Ich möchte auch zurück an die Universität", sagte Kasra Nouri in einem Gespräch mit der DW. Der politische Aktivist, Mitglied der unterdrückten religiösen Minderheit der Gonabadi-Derwische, konnte sein Masterstudium im Fach Menschenrechte an der Universität Teheran nicht abschließen. Aufgrund seines Engagements für Meinungsfreiheit und friedliche Versammlungen wurde er in den letzten 15 Jahren fünfmal verhaftet und verbrachte fast zehn Jahre im Gefängnis. "Für mich geht es nicht um einen Studienabschluss. Ich kämpfe für das Recht auf Bildung für alle Menschen im Iran, unabhängig von ihrer Religion oder politischen Überzeugung. Seit meiner Freilassung suche ich nach juristischen Wegen, um den Weg für mich und alle anderen Studenten, die aufgrund ihrer friedlichen Proteste suspendiert wurden, zu ebnen."

Wen treffen Sanktionen wirklich?

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