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Iran: Schach-Stars wehren sich gegen Kopftuch-Zwang

Farid Ashrafian
8. Januar 2023

Die iranische Schach-Elite lehnt die strikte Kleiderordnung des Mullah-Regimes demonstrativ ab. Die Sportlerinnen setzen dadurch Akzente bei der Freiheitsbewegung im Land.

Sara Khadem bei ihrem Auftritt bei der Schach-WM Ende Dezember 2022 in Kasachstan
Sara Khadem bei ihrem Auftritt bei der Schach-WM Ende Dezember 2022 in KasachstanBild: Pavel Mikheyev/REUTERS

Schon seit ihrem Beginn wird die massive Protestbewegung der Iranerinnen und Iraner gegen die theokratisch-diktatorische Staatsgewalt von vielen prominenten Sportlerinnen und Sportlern des Landes unterstützt. Auch die weibliche Elite des iranischen Schachsports macht da keine Ausnahme und unterstützt die Freiheitsbewegung durch klare Statements. Zum Jahreswechsel reihte sich bei der FIDE Schnellschach- und Blitzweltmeisterschaft in Almaty in Kasachstan auch Sarasadat Khademalsharieh (kurz: Sara Khadem) in die Reihe iranischer Schachprofis ein, die dem zwanghaften Tragen eines Kopftuchs unmissverständlich eine Absage erteilt haben. 

Die 25-jährige internationale Schach-Großmeisterin solidarisierte sich damit öffentlichkeitswirksam mit den Protestierenden gegen das Mullah-Regime im Iran, die seit September 2022 im Iran auf die Straßen gehen.

Auswanderung nach Spanien

Allerdings hatte der Verzicht Khadems auf ein Kopftuch bei ihrem Auftritt auf der WM-Bühne unmittelbare Folgen für die junge Frau: Mit ihrem Ehemann, dem Filmregisseur Ardeshir Ahmadi und dem zehn Monate alten Sohn reiste Khadem von Kasachstan in eine unbekannte Stadt in Spanien. Eine Rückkehr in den Iran hätte vermutlich lebensbedrohliche Konsequenzen für den Schach-Star nach sich gezogen. Der Fall der iranischen Klettersportlerin Elnaz Rekabi, die im Oktober bei den Asienmeisterschaften in Seoul ohne Kopftuch am Wettbewerb teilgenommen hatte, dient als warnendes Beispiel: Nach ihrer Rückkehr in den Iran wurde sie von den Machthabern unter Hausarrest gestellt. Rekabi und ihr Umfeld sind seitdem massiven staatlichen Einschüchterungen ausgesetzt.

Elnaz Rebabi bei den Asienmeisterschaften 2022 in SeoulBild: RHEA KANG/INTERNATIONAL FED. OF SPORT CLIMBING/AFP

Androhung von Enteignungen nebst Ausreiseverboten und der Veröffentlichung von Zwangsgeständnissen haben im Mullah-Staat Methode und kennzeichnen das unbarmherzige Vorgehen des Apparates gegen Widersacher und Andersdenkende. Unter den schätzungsweise weit mehr als 20.000 Gefangenen, die wegen ihrer Kritik am totalitären Regime während der vergangenen vier Monate festgenommen worden sind, befinden sich auch zahlreiche namhafte Sportler. Sie sehen sich mit teilweise nicht nachvollziehbaren Anklagen konfrontiert. Es drohen grausame Justizurteile bis hin zur Hinrichtung.

Nach ihrer Ankunft in Spanien schrieb Sara Khadem auf Instagram: "Meine Auswanderung ist eine familiäre Entscheidung. Ich habe hier kein Asyl beantragt. Aufgrund meiner sportlichen Erfolge und der mehrfachen Staatsangehörigkeiten meines Ehemanns war ich nie um ein Aufenthaltsrecht im Ausland besorgt."

Ihre neue Wahlheimat kann für die Schach-Großmeisterin ein Sprungbrett für sportliche Höhenflüge sein. Sie betont: "In den letzten drei Jahren war ich ausreisegesperrt. Dadurch verpasste ich wichtige Turniere und Meisterschaften. Eine Teilnahme dort war für mich wie ein ewiges Ziel."

Die Nummer 17 der Damen-Weltrangliste schließt eine Rückkehr in den Iran aber nicht aus und unterstreicht: "Iran bleibt mein primäres Zuhause. Ich werde sicherlich mit meiner Familie in meine Heimat zurückkehren, sobald die passende Zeit dafür gekommen ist."

Flucht weiterer Schach-Stars aus Iran

Sara Khadem ist bereits die fünfte internationale Schach-Großmeisterin aus dem Iran, die in den vergangenen Jahren ihre Heimat verlassen hat. Vor ihr entschieden sich Mitra Hejazipour, Ghazal Hakimifard, Atousa Pourkashian und Dorsa Derakhshani aus gleichgelagerten Motiven für eine Auswanderung. Pourkashian und Derakhshani treten inzwischen für die US-Auswahl an, Hakimifard spielt für die Schweiz, Hejazipour für Frankreich.

Auch Alireza Firouzja vertritt nicht mehr seine Heimat, wenn er am Schachbrett sitzt. Der iranische Schachprofi war vor einem Jahr der jüngste Spieler aller Zeiten, der eine Elozahl - mit der die Spielstärke im Schach angegeben wird - von 2800 erreichen konnte. Zum Vergleich: Der norwegische Schachstar Magnus Carlsen hält mit 2859 die aktuell höchste Wertung in der Welt. Mit nur 18 Jahren rangierte Firouzja auf dem zweiten Platz der Weltrangliste. Das Toptalent verließ sein Heimatland allerdings schon 2019 und spielt seit 2021 für Frankreich.

Auch die internationale Schach-Schiedsrichterin Shohreh Bayat verließ den Iran vor zwei Jahren. Nachdem sie die Leitung eines Turniers im Ausland ohne Kopftuch ausgeübt hatte, setzte sie sich nach Großbritannien ab.

Shayesteh Ghaderpour ist eine ehemalige iranische Schach-Nationalspielerin. Sie trat in der Saison 2013/14 für den Hamburger SK in der Bundesliga an und war früher gemeinsam mit den ausgewanderten iranischen Schach-Großmeisterinnen bei mehreren Wettkämpfen im Ausland am Start.

"Bei der Teilnahme an internationalen Turnieren im Ausland wurde die Hälfte unserer Energie dafür verschwendet, um der lästigen Kontrolle der mitgereisten Sittenwächter im iranischen Nationalteam zu entkommen", erinnert sich Ghaderpour im Interview mit der Deutschen Welle: "Die Gesandten des Mullah-Regimes haben unaufhörlich geprüft, ob unsere Zwangskopftücher vorschriftsgemäß sitzen und irgendwelche Kopfhaare herausgucken."

Shayesteh Ghaderpour, ehemalige iranische Schach-Nationalspielerin und Ex-Bundesligaprofi des Hamburger SKBild: DW/ Farid Ashrafian

Etwaige "Verstöße" hätten zu drastischen Konsequenzen wie Ausreisesperre nebst Einschränkungen bei der Ausübung der Sportart und der beruflichen Tätigkeit geführt, so Ghaderpour weiter. Die ehemalige Hamburger Schachspielerin, die inzwischen im US-Bundesstaat Florida lebt, empfindet großes Verständnis für die Flucht der Schach-Stars aus Iran und stuft diesen schweren Schritt als "alternativlos" ein. Aus ihrer Sicht sei es auf Dauer unerträglich, "zensiert zu werden, unauthentisch eine inakzeptable Weltanschauung vorzutäuschen und immer einsam zu kämpfen".

Sie betont zudem: "Die persönlichen Freiheiten von Sportlerinnen und Sportlern dürfen - aufgrund spezieller Gesetze im Iran - auch bei ihrer Teilnahme als Nationalsportler nicht eingeschränkt werden. In der heutigen Zeit ist das nicht mehr vertretbar."

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