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PolitikAsien

Iran: Rebellion gegen das Kopftuch

27. Juli 2022

Immer mehr Frauen im Iran protestieren gegen den Kopftuchzwang. Die konservative Führung bleibt bei ihrer harten Haltung und mobilisiert ihre Anhänger.

Iran Teheran | Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit
Straßenszene in einem Park in Teheran Bild: picture-alliance/Zuma Press/R. Fouladi

Zum staatlich verordneten "Tag des Hidschabs" im Iran am 12. Juli hatten sich viele Frauen der Kampagne "No2Hijab" angeschlossen und sind ohne Kopftuch auf der Straße gegangen. Zu der Aktion hatte die Frauen- und Menschenrechtsaktivistin Masih Alinejad im Internet aufgerufen. Die Journalistin lebt seit 2009 im Exil und ist Gründerin der Online-Bewegung "My Stealthy Freedom" ("Meine Heimliche Freiheit"). Am Kopftuch-Tag posteten viele Iranerinnen Videos und Fotos von sich ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit.

Eine von ihnen ist die 21-jährige Nasi Sandieh. Am 16. Juli wurde die Studentin in ihrem Elternhaus verhaftet. Zehn Tage später wurde sie gegen eine Kaution in Höhe von umgerechnet 13.000 Euro freigelassen. Ob, und wenn ja wann, ihre Familie dieses Geld zurückbekommen wird, ist ungewiss. "Frauen, die sich ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit zeigen, wissen, dass sie hart bestraft werden, wenn sie erwischt werden", sagt Moloud Hadschisadeh im Gespräch mit der DW. 

Die iranische Journalistin wurde wegen ihrer kritischen Berichterstattung über die Unterdrückung der Protestbewegungen im Iran wiederholt verhaftet. Zuletzt war sie im Januar 2021 zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden. Kurz bevor sie ihre Haftstrafe antreten sollte, floh sie aus dem Iran und lebt heute in Norwegen. "Widerstand gegen das Kopftuch ist nichts Neues im Iran. Die Aktion am 12. Juli hatte aber eine andere Qualität: Zum ersten Mal hatten viele Frauen an einem bestimmten Tag gegen den Kopftuchzwang protestiert. Es war zwar keine Gruppenaktion, aber ein Schritt in Richtung einer organisierten Aktion. Und genau davor hat der Machtapparat im Iran Angst. Deswegen versucht er mit aller Härte, die Frauen einzuschüchtern."

Sittenpolizei - staatlich und privat 

Im Iran ist das Tragen eines Kopftuchs seit der Islamischen Revolution von 1979 für Mädchen und Frauen Pflicht. Das wird von einer Sittenpolizei überwacht: an Schulen und Universitäten, in Behörden und Banken und sogar in Krankenhäusern und auf den Straßen. Viele iranische Frauen leisten aber Widerstand und fordern den Staat mit ihrer stillen Rebellion im Alltag heraus. Die Führung in Teheran reagiert mit immer härteren Strafen. Zum Beispiel 16 Jahre Gefängnis für die 25-jährige Yasaman Aryani. Sie hatte am 8. März 2019, dem Internationalen Frauentag, ohne Kopftuch in der Teheraner U-Bahn Blumen verteilt und Frauen über ihre Rechte informiert.

Straßenszene in Teheran: Das Kopftuch ist allgegenwärtigBild: Thomas Koehler/photothek/imago

"Diese harten Strafen haben die von den Machthabern gewünschte Wirkung verfehlt. Dank des Internets und verschiedener Kampagnen in den letzten Jahren gehört das Bild einer Frau ohne Kopftuch zum Alltag in den Großstädten", sagt Moulod Hadschisadeh. "Viele Frauen lassen ihre Kopftücher auf ihre Schulter fallen oder tragen es als Schal um den Hals. Falls sie die Sittenpolizei sehen, ziehen sie das Tuch auf den Kopf." 

Die Rolle der Sittenpolizei spielen manchmal aber auch konservative Männer oder Frauen. Wie zuletzt am 16. Juli in einem Bus in Teheran. Eine junge konservative Frau greift eine andere Frau an und verletzt sie am Arm, weil diese sich weigerte, ihren Schal auf den Kopf zu ziehen. Dabei nimmt sie ein Video vom Gesicht der Widerspenstigen auf und droht, es an die Polizei zu schicken. Eine heftige Diskussion bricht im Bus aus und wird von anderen Mitreisenden mit Handys aufgezeichnet. Fast alle anwesenden Frauen verteidigen die Angegriffene. Schließlich zwingen sie die Angreiferin, an der nächsten Haltestelle auszusteigen. Videos von dem Vorfall verbreiteten sich rasch in sozialen Netzwerken. Am nächsten Tag teilte die Polizei mit, die Frau, die sich geweigert hatte, das Kopftuch aufzuziehen, sei verhaftet worden. 

"Das Machtapparat versucht bewusst und gezielt, seine Anhänger gegen Frauen mobilisieren, die Widerstand leisten", sagt die renommierte Rechtsanwältin Mehrangis Kar im Gespräch mit der DW. Kar lebt seit 2002 im US-Exil und war für namhafte Universitäten wie Harvard und Columbia tätig. "Wir haben immer gegen den obligatorischen Hidschab gekämpft. Unser Wille spielt aber keine Rolle. Seit der Islamischen Revolution spielt das Bild der Frau eine wichtige Rolle in der Staatsideologie. Eine Frau ohne Hidschab wird als Symbol eines freizügigen westlichen Lebensstils gesehen und als kultureller Angriff gegen die islamische Kultur verstanden und präsentiert."

Angst vor Domino-Effekt

Kar glaubt, das politische System im Iran werde weiter an seinem propagierten Frauenbild festhalten: Eine Frau, die nicht nur den Hidschab trägt, sondern sich fügt und unterordnet. "Wenn sie hier nachgeben und den Frauen erlauben, selbst zu entscheiden, was sie tragen oder eben nicht, löst das einen Domino-Effekt auf verschiedenen Ebenen aus. Frauen werden sich stärker fühlen und die gleichen Rechte verlangen, wie die Männer sie genießen. Einige werden sich vielleicht auch anderen Protestbewegungen für mehr Freiheit und Demokratie anschließen."

DW-Karikatur: Kopftuch als Fessel freiheitlicher FrauenBild: Mana Neystani/DW

Wie stark die Frauen aufgrund ihres Geschlechtes im Iran benachteiligt werden, zeigt der aktuelle Bericht der Stiftung Weltwirtschaftsforum (WEF). Im "Gender-Gap-Report 2022" steht das Land im internationalen Vergleich auf Platz 143 von 146. Das WEF untersucht die Gleichstellung der Geschlechter in den Bereichen Wirtschaft, Bildung, Gesundheit und Politik. Vor allem die politische Teilhabe von Frauen spielt eine wichtige Rolle bei der Platzierung. So wurde etwa Deutschland im jüngsten Bericht einen Rang hochgestuft auf Platz zehn, wegen der wachsenden Teilhabe von Frauen in der Politik.

In der Islamischen Republik Iran aber haben Frauen keinen Platz in den Machtstrukturen. Religiöse Führer können sie nicht werden. Für das Präsidentenamt dürfen sie nicht kandidieren. Von der Rechtsprechung sind sie ausgeschlossen. Den wichtigen Gremien Experten-, Wächter- und Schlichterrat dürfen Frauen nicht angehören. Im Parlament sind momentan nur 16 der insgesamt 290 Abgeordneten weiblich - allesamt streng religiöse und treue Anhängerinnen der Islamischen Republik.

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