Jüngst wurden mehrere prominente regierungskritische Regisseure im Iran festgenommen. Die Behörden befürchten größere Protestwelle und erhöhen deswegen Druck auf prominente Regissieure, glauben Experten.
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Jafar Panahis Solidarität wurde dem Starregisseur zum Verhängnis. Nachdem sich Panahi Anfang Juli bei der Staatsanwaltschaft nach dem Schicksal zweier kurz zuvor verhafteter Kollegen erkundigte, wurde auch er umgehend verhaftet und in das berüchtigte Teheraner Evin-Gefängnis gebracht. Dort muss er nun eine bereits vorher verhängte sechsjährige Haftstrafe absitzen.
Panahis ist weltbekannt. Sein Film "Taxi Teheran" hatte 2015 den Goldenen Bären der Berlinale gewonnen. Seine Sorge galt zwei Regisseurkollegen: Mohammad Rasoulof, der 2020 mit seinem Film "Doch das Böse gibt es nicht" ebenfalls den Goldenen Bären der Berlinale gewann, und Mostafa Al-Ahmad. Beide waren kurz zuvor verhaftet worden.
Aufruf zur Gewaltlosigkeit als Verbrechen?
Die Staatsanwaltschaft beschuldigt beide Filmmacher, durch den Hashtag "Put your gun down" (Legt deine Waffen nieder!) die öffentliche Ordnung gefährdet zu haben. In dem Aufruf hatten über 70 Personen aus der iranischen Filmindustrie ein Ende der Polizeigewalt gefordert. Die Initiatoren sind nach Überzeugung iranischer Staatsanwaltschaft Rasoulof und Al-Ahmad.
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Hintergrund des Appells ist der Einsturz eines Hochhauses in der südwestiranischen Stadt Abadan mit mehr als 40 Todesopfern im Mai, der zu landesweiten Protesten und gewaltsamem Durchgreifen der Polizei führte.
"Wenn eine Regierung in eine politische und wirtschaftliche Sackgasse gerät, hat sie keine Toleranz für jede Art von zivilem Ungehorsam", schrieb Panahi kurz vor seiner Verhaftung auf Instagram. "Sie denkt, dass sie durch Unterdrückung und Schaffung einer Krise die öffentliche Meinung von den Problemen ablenken kann." In dem Post kritisierte er auch den harschen Umgang der Behörden zum Aufruf "Put your gun down". "Ist es ein Verbrechen, Menschen dazu aufzurufen, sich der Gewalt zu enthalten?"
Vollstreckung mit Verspätung
Die nun erfolgte Entscheidung der Staatsanwaltschaft fußt auf einem früheren Urteil: 2010 war Panahi wegen "Propaganda gegen das Regime" zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ihm wird vorgeworfen, im Jahr 2009 Proteste gegen die Wiederwahl des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad unterstützt und kritische Filme gedreht zu haben.
Derartige Strafen seien üblich für Vergehen, die die iranische Justiz als Anschlag auf die innere Sicherheit des Landes werte, sagt Dieter Karg, Leiter der Iran-Koordinationsgruppe bei Amnesty International. Er vermutet, Panahi habe sich in den Augen der Staatsanwaltschaft nicht nur durch die Unterzeichnung des Offenen Briefes schuldig gemacht. "Eine Rolle dürfte wohl auch der Umstand gespielt haben, dass Panahi und Rasoulof der Zensur ein Schnippchen geschlagen haben, indem sie trotz Verbots weiterhin Filme drehten und dass diese zudem sehr erfolgreich im Ausland waren", so Karg im DW-Interview.
Iranische Filmemacher: Erfolgreich trotz Zensur
Regisseure aus dem Iran unterliegen strengen staatlichen Auflagen. Dennoch gelingt es ihnen immer wieder, die Einschränkungen kreativ zu umgehen. Diese Filmemacher haben sich auch international einen Namen gemacht.
Bild: picture-alliance/dpa/Cannes Film Festival
Mohammad Rasoulof
Kurz nachdem der Regisseur mit "A Man of Integrity" 2017 einen Preis beim Filmfest Cannes gewonnen hatte, kehrte er in den Iran zurück. Die Behörden dort beschlagnahmten seinen Pass und untersagten ihm das Filmemachen. Im Juli 2019 wurde er zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt, die er noch nicht antreten musste. Und es gelang ihm, den Berlinale-Beitrag "Es gibt kein Böses" (Foto) zu drehen.
Bild: picture-alliance/dpa/Cosmopol
Abdolreza Kahani
Abdolreza Kahani wanderte 2015 nach Frankreich aus, nachdem drei seiner Filme in der Islamischen Republik verboten worden waren. Zudem war er daran gehindert worden, sie bei internationalen Festivals einzureichen. "Wir sind in die Zensur hineingeboren. Die Zensur betrifft nicht nur Literatur, Musik und Film. Die Zensur beginnt im Inneren des Hauses", sagte er jüngst in einem Interview.
Bild: picture-alliance/dpa/A. I. Bänsch
Kianoush Ayari
Im Iran kann es Jahre dauern, bis man eine Vorführgenehmigung erhält: Der Film "The Paternal House" von 2012 wurde erst im vergangenen Jahr gezeigt, nachdem Kianoush Ayari sich bereit erklärt hatte, Änderungen vorzunehmen. Nur eine Woche später wurde der Film wieder verboten. Daraufhin verurteilten 200 Filmschaffende in einem offenen Brief die staatliche Zensur und forderten Meinungsfreiheit.
Bild: Iranian Film Festival
Asghar Farhadi
Er ist einer der wenigen Regisseure, die zweimal den Oscar für den besten ausländischen Film gewonnen haben: 2012 für "Nader und Simin - Eine Trennung" und 2017 für "The Salesman" (Foto). Asghar Farhadi boykottierte die zweite Zeremonie, die kurz nach einem Dekret des US-Präsidenten Donald Trump stattfand, das Bürgern aus sieben muslimischen Ländern die Einreise in die USA verwehrte.
Bild: picture-alliance/dpa/Cannes Film Festival
Bahman Ghobadi
Der iranisch-kurdische Filmemacher Bahman Ghobadi führte Regie beim ersten kurdischsprachigen Spielfilm der Welt: "Zeit der trunkenen Pferde" (Foto) aus dem Jahr 2000. Nach seinem Film über die Underground-Musikszene in Teheran, "Perserkatzen kennt doch keiner" (2009), floh er aus dem Iran, da Geheimdienstagenten ihn bedroht hatten. Beide Filme wurden in Cannes ausgezeichnet.
Bild: Filmfest München 2016
Marjane Satrapi
Nachdem sie den Iran als junge Erwachsene endgültig verließ, musste sich die Autorin und Filmemacherin Marjane Satrapi nicht mehr mit den iranischen Behörden auseinandersetzen. Die Verfilmung ihres bekanntesten Comics "Persepolis" gewann 2007 den Preis der Jury in Cannes. Sie erzählt, wie schnell ein Teenager in Teheran in Schwierigkeiten mit der Polizei geraten kann.
Bild: picture-alliance/dpa/Prokino Filmverleih
Mohsen Makhmalbaf
"Reise nach Kandahar" von 2001 wurde kurz vor den Anschlägen vom 11. September veröffentlicht und erzählt vom Schicksal afghanischer Frauen während des Taliban-Regimes. Viele Filme Makhmalbafs sind im Iran verboten. Nachdem Mahmud Ahmadinedschad zum Präsidenten gewählt wurde, zog er nach Frankreich. 2014 wurden die Filmfestspiele von Venedig mit seinem Film "The President" (Foto) eröffnet.
Bild: FILMFEST MÜNCHEN/20 Steps Production
Samira Makhmalbaf
Mohsen Makhmalbafs Tochter ist eine der einflussreichsten Regisseurinnen der iranischen Neuen Welle. "Der Apfel" war ihr erster Spielfilm und wurde 1998 beim Filmfestival in Cannes uraufgeführt. Sie drehte ihn mit 17 Jahren. Zwei Jahre später gewann sie mit "Schwarze Tafeln" (Foto) in Cannes den Preis der Jury. Später saß sie selbst in den Jurys der Filmfestivals von Cannes, Venedig und Berlin.
Bild: Imago Images/Mary Evans AF Archive Artificial Eye
Jafar Panahi
Jafar Panahi, der 1995 mit seinem Spielfilmdebüt "Der weiße Ballon" in Cannes ausgezeichnet wurde, erhielt trotz zunehmender Einschränkungen im Iran weiterhin internationale Anerkennung. Seit 2010 ist es ihm verboten, Filme zu drehen und das Land zu verlassen, aber es gelang ihm dennoch, heimlich weitere Filme zu inszenieren, darunter "Taxi Teheran" (2015) und "Drei Gesichter" (Foto) von 2018.
Bild: J. Panahi
Shirin Neshat
Ein Jahrzehnt nach dem Gewinn des internationalen Preises auf der Biennale von Venedig wurde ihr Spielfilmdebüt "Women Without Men" im Jahr 2009 bei den Filmfestspielen von Venedig ausgezeichnet. Heute lebt sie im Exil in New York. "Ich stehe dem Westen kritisch gegenüber, aber Künstlerinnen im Iran sind immer noch mit Zensur, Folter und manchmal auch mit der Hinrichtung konfrontiert", sagt sie.
Bild: Shirin Neshat/Coop99
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"Oppressiver Repressionskurs"
Mit Urteilen wie dem gegen Panahi setze das Regime in Teheran auf einen "oppressiven Expansionskurs", sagt Sara Bazoobandi, Politologin vom German Institut for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg. "Es setzt darauf, einen Zustand der Angst zu erzeugen, um die verschiedenen Formen ziviler und politischer Unruhe zu unterbinden. Das Kalkül: Steigen die Risiken für die Teilnahme an oder gar für die Organisation von Protestkundgebungen, dürfte diese viele Menschen von entsprechenden Plänen abhalten." Auch deshalb seien die Gerichtsurteile gegen die Demonstranten sehr hart. "Auch die Gerichte stehen für einen Kurs aggressiver Unterdrückung", so Bazoobandi gegenüber der DW.
Bei diesem Kalkül gehe das Regime auch gezielt gegen die Kultur- und Unterhaltungsszene vor. "Diese Personen - etwa Regisseure, Schauspieler und Sportler - sind oftmals besonders prominent", so Bazoobandi. "Entsprechend hoch ist der Druck, den das Regime auf sie ausübt, wenn sie sich gegen es wenden. Harte Urteile gegen sie haben im Kalkül des Regimes darum eine besonders abschreckende Wirkung."
Zwischen Filmkunst und Politik: Jafar Panahi
Ein Blick in den Alltag Teherans: Trotz Berufsverbot hat der iranische Regisseur Jafar Panahi einen bedeutenden Film durchgebracht. Nun kommt er in die deutschen Kinos.
Bild: picture-alliance/EPA/Str
Mit dem Regisseur im Taxi unterwegs
Seit Jahren werden die Filme des iranischen Regisseurs Jafar Panahi von den Behörden unterdrückt. Sein neuestes Werk "Taxi" gewann trotzdem bei den Berliner Filmfestspielen den Goldenen Bären. Jetzt kommt der Film in die deutschen Kinos.
Bild: picture-alliance/dpa/Weltkino Filmverleih
Ein bewegender Moment
Panahi konnte den Goldenen Bären im Februar nicht selbst entgegennehmen. Gegen den Regisseur wurde 2010 ein Ausreiseverbot verhängt. Hanna Saeidi, die zehnjährige Nichte Panahis, vertrat ihren Onkel. Unter Tränen nahm sie den Preis in Anwesenheit von Jury-Präsident Darren Aronofsky und der französischen Schauspielerin Audrey Tautou entgegen.
Bild: picture-alliance/dpa/: Kappeler
Blick durch ein Taxifenster
"Taxi Teheran" zeigt über 90 Minuten eine Taxifahrt durch die iranische Hauptstadt. Am Steuer sitzt der Regisseur höchstpersönlich. Seine Fahrgäste sind einfache Menschen, die Erledigungen machen, Geschäfte abschließen oder Freunde aufsuchen. Diese beiden Frauen wollen mit einem Goldfisch im Glas zu einer Beerdigung.
Bild: picture-alliance/dpa/Weltkino Filmverleih
Prominenter Fahrgast
Doch es sind auch bekannte Personen, die Panahi in seinem Film durch die Stadt kutschiert. Nasrin Sotoudeh ist eine renommierte Rechtsanwältin und Menschrechtsaktivistin. Auch sie tritt im Film auf - und redet Klartext. Sotoudeh und Panahi kennen sich gut. 2012 erhielten beide den Sacharow-Preis für geistige Freiheit des Europäischen Parlaments.
Bild: picture-alliance/dpa/Weltkino Filmverleih
Vom Volk verehrt
Gerade weil sich Jafar Panahi von den Behörden im Iran nicht den Mund verbieten lässt, wird er von vielen seiner Landsleute verehrt. Hier sieht man die bekannte iranische Schauspielerin Roya Teymourian, die ein Foto des Regisseurs macht.
Bild: Irna
Panahi mischt sich ein
Seit vielen Jahren gilt Jafar Panahi als einer der wichtigsten und einflussreichsten Filmemacher seines Landes. Der Regisseur nutzt seine Prominenz auch immer wieder für Auftritte in der Öffentlichkeit, wie hier bei der Aktion "Mütter für Frieden", einer Demonstration gegen den Krieg in Gaza.
Bild: ISNA
International ausgezeichnet
Panahis Filme wurden auf vielen wichtigen internationalen Filmfestivals ausgezeichnet. Preise bekam er unter anderem in Cannes, Venedig und Locarno. Der Goldene Bär der Berlinale 2015 war nicht seine erste Auszeichnung in Berlin. 2006 hatte er für "Offside" schon einen Silbernen Bären erhalten.
Bild: BEHROUZ MEHRI/AFP/Getty Images
Ein leerer Stuhl
Drei Filme hat der Regisseur in den vergangenen vier Jahren mit minimalistischem Aufwand realisieren können. Seit 2010 darf er keine Interviews geben oder ausreisen. Die Kopien wurden unter abenteuerlichen Bedingungen aus dem Land geschmuggelt. Auf den internationalen Festivals wurden sie bejubelt. Der Platz des Regisseurs blieb seitdem bei den Premieren leer - wie hier bei der Berlinale 2013.
Bild: picture-alliance/dpa
Filmkünstler und Aktivist
Jafar Panahi ist erst durch die Verfolgung in seiner Heimat zu einem weltweit bekannten Regisseur geworden. Seine Filme sind politische Statements - aber auch künstlerische Beiträge aus der großen Filmnation Iran.
Bild: picture-alliance/EPA/Str
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Größere Protestbewegung befürchtet
Etwas anders sieht es Dieter Karg. Von der Kulturszene erwarte die Regierung nicht die größte Gefahr. Eher fürchte es, verschiedene Protestkundgebungen könnten sich zu einer größeren aufschaukeln. "Es vergeht ja praktisch keine Woche, in der es nicht zu irgendwelchen Protesten kommt, sei es wegen Preissteigerungen, der Unterdrückung anderer Proteste, oder - wie in diesem Fall - der Einsturz eines Gebäudes wie in Abadan, der vermutlich auf Planungsfehler oder Korruption zurückgeht. Solidarisieren sich dann Intellektuelle oder Personen des öffentlichen Lebens mit diesen Protesten, stellt das für das Regime durchaus eine Gefahr dar."
Eine allzu entschlossene Repression ist für das Regime allerdings auch nicht ohne Risiko. Denn dadurch könnte es weitere Proteste provozieren. "Nach Jahren der Sanktionen und des wirtschaftlichen Missmanagements könnten unterbeschäftigte und verärgerte Iraner das Gefühl haben, dass sie weniger zu verlieren haben, wenn sie das System in Frage stellen, was bedeutet, dass mehr von ihnen bereit sein könnten, auf Gewalt zurückzugreifen", heißt es in einer Studie der International Crisis Group.
Die Verhaftungswelle im Iran löste internationale Empörung aus.
Dennoch sei es schwierig, eine angemessene Antwort auf die Verhaftungen und das Urteil zu formulieren, sagt Dieter Karg von Amnesty International. "Bricht man die Beziehungen ganz ab, hat man überhaupt keine Wirkungsmöglichkeiten mehr." Dennoch müsse man der iranischen Regierung klarmachen, dass sie sich immer weiter isoliere. "Leider müssen wir derzeit feststellen, dass sie nicht völlig isoliert ist. Sie wird unterstützt durch andere Autokraten."