Iran setzt auf deutsche Experten
14. Juli 2016Der "Senior Expert Service" (SES) mit Sitz in Bonn hat seit seiner Gründung 1983 über 27.000 pensionierte deutsche Experten zum Einsatz in die ganze Welt vermittelt. Darunter befinden sich nicht nur Ingenieure und Techniker, sondern auch Lehrer, Bäcker, Landwirte und sogar Imker. Das Prinzip des SES lautet: "Hilfe zur Selbsthilfe".
Obwohl der Iran ziemlich früh als mögliches Einsatzland auf der Liste des SES stand und deutsches Fachwissen dort traditionell sehr gefragt ist, gab es seit 1983 nur 121 Anfragen. Der Krieg mit dem Irak in den 1980er Jahren, politische Spannungen mit dem iranischen Regime und zuletzt die Embargopolitik der Weltgemeinschaft aufgrund des iranischen Atomprogramms sorgten dafür, dass die Zusammenarbeit mit dem SES auf sehr niedrigem Niveau blieb. Erst als das Atomabkommen vor einem Jahr (14.07.2016) unterzeichnet wurde, hat sich die Lage verändert.
Fachkräfte willkommen
Rene Harun, Geschäftsführer der deutsch-iranischen Außenhandelskammer (AHK) bestätigte im Gespräch mit der Deutschen Welle, dass sowohl iranische als auch deutsche Unternehmen an einem massiven Ausbau der Handelsbeziehungen interessiert sind. Dazu gehörten auch die Experten des SES. Die AHK berät mehr als 2000 Firmen und ist ein gefragter Ansprechpartner für Unternehmen aus beiden Ländern. Deutsche Unternehmen wollen auf dem iranischen Markt wieder Fuß fassen und bitten um Marktanalysen oder Unterstützung bei Delegationsreisen. Iranische Unternehmen wiederum wollen den Moment nutzen und nach den jahrelangen Sanktionen Modernisierungslücken schließen. Insbesondere dabei kommt der SES ins Spiel.
Die AHK als Partner des SES vermittelt vor Ort. Firmen, die die Unterstützung einer Fachkraft benötigen, beantragen diese über die AHK beim SES. Der SES sucht in seiner Datenbank nach Experten mit dem passenden Profil. Aus den vorhandenen Kandidaten sucht die antragstellende Firma sich dann einen Experten aus. Flüge und Aufenthaltskosten werden vom Antragsteller bezahlt. Der Experte bekommt ein "Taschengeld", das in der Regel nicht mehr als zehn Euro pro Tag beträgt. Drei Wochen dauert ein Projekteinsatz im Ausland in der Regel, aber oft werden noch Folgeeinsätze vereinbart. Manchmal entstehen Beziehungen, die jahrelang halten.
Herausforderungen nach jahrelangen Sanktionen
Die Aufhebung der Sanktionen setzt die iranischen Unternehmen verstärkt unter Druck. Durch die jahrelange Abschottung hätte es keine internationale Konkurrenz gegeben. "Jetzt müssen sie sich vorbereiten, auf einem offenen Markt zu konkurrieren," sagt Rainer von Rabenau, der vom SES im Sommer 2016 in den Iran entsandt wurde, im Gespräch mit der Deutschen Welle. Der 74 jährige Diplom-Ingenieur ist allerdings skeptisch, was die Erfolgschancen vieler iranischer Unternehmen angeht. Nicht nur was die Qualität, sondern auch was den Preis angeht, müssten die iranischen Unternehmen jetzt mit der chinesischen und koreanischen Konkurrenz fertig werden. In dieser unverblümten Kritik zeigt sich ein weiterer Vorteil der SES-Experten. Ein Angestellter hätte für so offene Worte vielleicht nicht den Mut.
Die Kritik wird angenommen, unter anderem, weil die deutsche Wirtschaft einen exzellenten Ruf im Iran hat. Das bestätigt auch Rene Harun. "Made in Germany" ist nach wie vor das vielleicht begehrteste Qualitätssiegel für Industrieprodukte. Insbesondere in den Bereichen Fahrzeugbau, Metallverarbeitung, Chemie, Nahrungsmittelindustrie und Bildungswesen möchte man auf iranischer Seite von den deutschen Marktführern lernen. Nicht zuletzt gibt es gerade in diesen Branchen noch jahrzehntealte Beziehungen aus der Zeit vor der Revolution von 1979.
Neuorientierung nach der Pause
Doch die lange Pause der deutsch-iranischen Handelsbeziehungen hatte Folgen. "Früher hat unser Unternehmen mit deutschen Maschinen und der Lizenz eines namhaften deutschen Herstellers Bremsen hergestellt", sagt Fataneh Taefi, eine iranische Ingenieurin die in Deutschland studiert hat und dann in ihre Heimatstadt Maschad im Nordosten des Irans zurückgekehrt ist. Heute arbeitet sie freiberuflich als Übersetzer- und Betreuerin. Sie wird von den Firmen im Iran beauftragt, die Korrespondenz mit der AHK und dem SES durchzuführen und die Experten im Iran zu betreuen. "Mittlerweile jedoch sind viele Maschinen durch chinesische und koreanische Fabrikate ersetzt worden." Dennoch gäbe es auch in der Firma, in der Taefi zurzeit dolmetscht, weiterhin Bedarf nach deutscher Expertise. "Als wir Probleme bei der Qualität des verwendeten Gusseisens bemerkten, haben wir über unsere langjährigen Partner in Deutschland einen deutschen Experten für Metallurgie vermittelt bekommen, der dann über den SES zu uns entsandt wurde und uns beraten konnte. Das hat uns so überzeugt, dass wir noch weitere Experten für andere Bereiche nachgefragt haben."
Iranspezifische Probleme gibt es dabei laut Fataneh Taefi keine. Mentalitätsunterschiede? Ja, die gebe es schon, aber normalerweise seien die Experten sehr offen. Die hohe Wertschätzung der Iraner für die erfahrenen Fachleute tue ein Übriges, um den Aufenthalt für beide Seiten sehr angenehm und bereichernd zu gestalten. Nur ganz zu Anfang, erinnert sich Taefi, habe man lernen müssen, dass ein deutscher Ingenieur unter Umständen eine Kaffeemaschine benötige, um glücklich zu sein. "Das hatten wir vorher nicht bedacht." Aber nachdem die Kaffeemaschine beschafft worden sei, sei alles glatt gegangen. "Der Experte kam jahrelang alle drei Monate zu uns. Wenn er sich nicht wohlgefühlt hätte, hätte er das wohl kaum gemacht," ist Taefi überzeugt.
Rabenau berichtet von seinen Erfahrungen beim SES: Sauberkeit zum Beispiel sei so ein Thema - in Deutschland vielleicht eine Selbstverständlichkeit, über die man sich keine Gedanken macht. Aber in vielen Ländern, in denen Rabenau schon gearbeitet habe, eben nicht. "Und wo ich Dreck habe, kann ich auch keine Qualität produzieren." Das ist eine Stärke der SES-Experten. Mit ihrer Erfahrung können sie Umfeldfaktoren schnell analysieren und helfen, Schwierigkeiten zu überwinden.
Wie geht es nun weiter?
Rene Harun von der AHK Iran sieht einen starken Anstieg bei der Nachfrage nach den Diensten des SES. Und der SES wiederum sei ein einzigartiges Instrument für die Vertiefung der deutsch-iranischen Handelsbeziehungen. Auch Fataneh Taefi ist von dem Modell des SES rundum überzeugt. "Ich finde es nur schade, dass noch so wenige Firmen davon wissen, dass sie sich auf diesem Weg weiterbilden und Fehler vermeiden können." Doch das wird sich mit der Verteifung der Wirtschaftsbeziehungen ändern, ist Harun von der AHK Iran sicher.