Atomstreit: Europa setzt Iran unter Druck
2. September 2025
Im Streit um das iranische Atomprogramm haben Deutschland, Frankreich und Großbritannien (E3) den Snapback-Mechanismus des internationalen Atomabkommens aktiviert. Sollte innerhalb von 30 Tagen keine Einigung mit dem Iran erzielt werden, treten automatisch alle UN-Sanktionen gegen das Land wieder in Kraft. Dieser Mechanismus wurde 2015 im Rahmen des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) vereinbart und ermöglicht die automatische Wiedereinführung von Sanktionen, falls der Iran gegen seine Verpflichtungen verstößt.
"Wir sind zwar keine Freunde von Sanktionen. Aber auch diesmal wird sich das iranische Volk weder einschränken noch beugen lassen", erklärte der iranische Vizepräsident Mohammed-Resa Aref am Sonntag (31.08.) gegenüber der Nachrichtenagentur Isna.
Zugleich verwies Aref auf rechtliche Bedenken. Es sei fraglich, ob die E3-Staaten den Snapback-Mechanismus im UN-Sicherheitsrat überhaupt auslösen dürfen. Für den Fall neuer Sanktionen kündigte er "entsprechende Gegenmaßnahmen" an, ohne jedoch Details zu nennen.
"Der Iran hat sein Atomprogramm über Jahrzehnte hinweg trotz Sanktionen weiterentwickelt", sagt der Politikwissenschaftler Cornelius Adebahr, "dieses Programm ist zu einem Element des nationalen Stolzes geworden, so dass es aus innenpolitischen Gründen nicht leicht ist, darauf zu verzichten.". Adebahr hat mehrere Bücher über den Iran veröffentlicht und berät unter anderem europäische Institutionen.
Er weist darauf hin, dass manche politische Kräfte im Iran nun fordern, als Reaktion auf die Aktivierung des Snapback-Mechanismus aus dem Atomwaffensperrvertrag (NPT) auszutreten. Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt bereits dem Parlament vor. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Tasnim, die den Revolutionsgarden nahesteht, soll der Entwurf in den öffentlichen Parlamentssitzungen den rechtlichen Prüf- und Genehmigungsprozess durchlaufen.
Angst nach dem zwölf-Tage-Krieg
Der Iran hat seine Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ausgesetzt, nachdem Israel und die USA iranische Atomanlagen bombardiert hatten. Europa fordert nun eine vollständige Wiederaufnahme der Inspektionen der Atomanlagen durch die IAEA sowie Auskunft über den Verbleib des auf 60 Prozent angereicherten Urans.
Zusätzlich werfen westliche Staaten Teheran vor, mit der Entwicklung ballistischer Raketen gegen die UN-Resolution 2231 zu verstoßen. Diese Resolution, die im Juli 2015 als Teil des Atomabkommens verabschiedet wurde, fordert den Iran ausdrücklich auf, "keine Aktivitäten im Zusammenhang mit ballistischen Raketen zu unternehmen, die als Trägersysteme für Atomwaffen konstruiert sein könnten".
Offiziell betont die iranische Regierung jedoch, keine Atomwaffen anzustreben, und bezeichnet ihr Raketenprogramm als rein defensiv.
Die Islamische Republik befinde sich derzeit in einem Zustand "strategischer Lähmung" und wisse nicht, welchen Weg sie einschlagen solle, erklärt der Iran-Experte Hamidreza Azizi von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.
Experte für sicherheitspolitische und geopolitische Fragen des Nahen Ostens fügt hinzu: "Die Führung in Teheran tendiert zu einer diplomatischen Einigung. Nach dem Zwölf-Tage-Krieg mit Israel hat sich ihre Haltung verändert: Die Islamische Republik ist sich ihrer eigenen Verwundbarkeit bewusst geworden und erkennt zugleich die wirtschaftlichen Risiken, die eine Rückkehr zu den UN-Sanktionen mit sich bringen würde."
Die Sanktionen könnten den Iran in eine ähnliche Lage versetzen wie den Irak in den Jahren zwischen den beiden Golfkriegen: eine geschwächte, isolierte Regierung, geplagt von internen Krisen. Ein Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag (NPT) als Reaktion darauf könnte militärische Angriffe auf iranische Atomanlagen legitimieren.
"Wichtige Stimmen im Iran, wie zum Beispiel Ali Akbar Salehi, früherer Leiter der Atomenergiebehörde, betonen nun, dass das Parlament keine Befugnis habe, über einen Ausstieg aus den NPT zu entscheiden. Er weise darauf hin, dass der Oberste Führer diese Entscheidung treffen müsse", sagt Azizi.
"Es geht nicht um ein Atomabkommen"
Für den Iran steht nun die Frage: Was kann der Iran in weiteren Gesprächen mit dem Westen anbieten und was könnte er im Gegenzug erhalten? Washington fordert nun den Iran auf, sein Atomprogramm aufzugeben, seine Unterstützung für regionale Stellvertreter einzustellen und seine militärischen Fähigkeiten einzuschränken.
"Die USA zeigen kein Interesse an einem neuen Atomabkommen" sagt Aziz, "in Washington scheint man davon überzeugt zu sein, die gefährlichen Aspekte des iranischen Atomprogramms bereits militärisch eingedämmt zu haben. Washingtons Bedingungen sind Bedingungen, die für die Islamische Republik nur schwer akzeptabel sind. Zwar haben die Europäer den Snapback-Mechanismus aktiviert, aber besitzen sie wenig, womit sie Teheran wirklich zu Kompromissen bewegen könnten."
Der Iran versuche daher, auf Zeit zu spielen und seine Krise strategisch zu managen, in der Hoffnung, sich die Unterstützung Russlands und Chinas zu sichern. Ziel sei es, dass diese beiden Länder die Umsetzung der Sanktionen blockieren oder zumindest hinauszögern. Zu Beginn deiser Woche traf der iranische Präsident Massud Peseschkian mit Russlands Staaschef Wladimir Putin und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping auf dem Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOC) in China zusammen.
Azizi betont jedoch, dass Moskau und Peking auf Grundlage des Resolutionstextes die Aktivierung des Snapback-Mechanismus nicht verhindern können. Teheran hoffe zwar, dass China weiterhin iranisches Öl abnimmt oder Russland die sicherheits- und wirtschaftspolitische Kooperation fortsetze. Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass beide Staaten die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats ignorieren würden.
"Der Iran verkauft derzeit über Vermittler Öl an nichtstaatliche chinesische Raffinerien, da China selbst nicht direkt von den US-Sanktionen betroffen werden möchte", sagt Aziz, "eine Rückkehr der UN-Sanktionen würde den iranischen Ölexport nicht nur weiter erschweren, sondern auch die militärische Zusammenarbeit mit China beeinträchtigen, die für Teheran nach dem Zwölf-Tage-Krieg noch wichtiger geworden ist."