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PolitikAsien

Politische Streiks in Irans Ölindustrie

14. Oktober 2022

Die Proteste im Iran weiten sich aus. Inzwischen wird auch in der Öl- und Gasindustrie gestreikt, berichten Aktivisten. Es gehe dabei nicht um eine bessere Bezahlung, sondern um eine bessere Zukunft für alle.

Ein Arbeiter auf einer iranischen Erdölanlage
Ein Arbeiter auf einer iranischen Erdölanlage Bild: Mehr

Seit vor einem Monat die 22-jährige Kurdin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam starb, wird im Iran landesweit protestiert. Das Internet im Iran ist stark eingeschränkt in den drei Provinzen Kurdistan, Chusistan sowie Sistan und Belutschistan wurde die Verbindung zum globalen Internet teilweise vollständig gekappt.

In Sistan und Belutschistan hatten die Sicherheitskräfte am 30. September ein Blutbad angerichtet. Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wurden dabei mindestens 88 Menschen getötet. Auch in Kurdistan – der Heimat von Jina Mahsa Amini - gehen die Sicherheitskräfte besonders hart gegen die Demonstranten vor. "Diese Ausschreitungen wurden von (kurdischen) Terror- und Separatistengruppen geplant und ausgeführt", behauptete Innenminister Ahmad Wahidi am Dienstag. Die Regierung werde "die verzweifelten antirevolutionären Bemühungen neutralisieren".

In der Provinz Chusistan im Süden des Landes gab es zunächst keine größeren Proteste. Dort befinden sich große Ölfelder, unter anderem das größte des Irans. Seit Anfang der Woche nun gibt es Berichte über Streiks und Proteste in der iranischen Öl- und Gasindustrie im Süden und Südwesten des Landes. In sozialen Netzwerken kursieren Videos, die Versammlungen von Arbeitern zeigen, bei denen Parolen gegen die islamische Führung skandiert werden. Einige Teilnehmer sollen verhaftet worden sein. Einige Dutzend Beschäftigte der Ölindustrie hätten lediglich dagegen protestiert, dass sie ihr Gehalt nicht erhalten hätten, berichtete die staatliche Agentur IRNA am Dienstag und dementierte Meldungen über einen Streik der Ölarbeiter. Ein Streik in der Öl- und Gasindustrie könnte gravierende Auswirkungen auf die iranische Wirtschaft haben. Der Öl- und Gasexport ist die Haupteinnahmequelle des Landes.

Politisch motiviert, aber unorganisiert

"Arbeiteraktivisten haben zum Streik aufgerufen", bestätigt Meytma Almahdi im Gespräch mit der DW. Der 38-Jährige war bis vor drei Jahren an der Organisation von Arbeiterprotesten im Süden des Landes beteiligt. Wiederholt wurde Almahdi verhaftet; zuletzt musste er sich mehrere Monaten verstecken, bis ihm 2019 die Flucht aus dem Iran gelang. Heute lebt Almahdi in der Schweiz. Er steht noch immer mit ehemaligen Kollegen im Süden und Südwesten des Irans in engem Kontakt. "In der Öl- und Gasindustrie gibt es vier verschiedene Gruppen von Beschäftigten", erläutert Almahdi. "Festangestellte, befristet Angestellte, Tagelöhner und projektbezogene Arbeiter. Die vierte Gruppe hat zum Streik aufgerufen. Sie besteht aus Fachkräften, wie zum Beispiel Schweißern, die immer gebraucht, aber schlecht bezahlt werden."

Diese Gruppe, die sich vor allem aus benachteiligten Schichten der Gesellschaft rekrutiert, organisiert immer wieder Proteste und Streiks gegen ihre Ausbeutung. Sie verlangen neben angemessener Bezahlung  auch das Recht auf freie Meinungsäußerung, wohlwissend, dass sie jederzeit entlassen werden können. "Die Öl- und Gasindustrie kann nicht auf sie verzichten. Viele von ihnen sind einheimische Fachkräfte, die harte Arbeitsbedingungen gewohnt sind", weiß Meytma Almahdi. "Sie haben sich jetzt den landesweiten Protesten angeschlossen, ihr Streik ist politisch. Es geht nicht um eine bessere Bezahlung, jetzt geht es um eine bessere Zukunft für alle."

Wie viele Arbeiter sich an diesen Streiks beteiligt haben, sei schwer zu sagen, meint Almahdi. Wegen der Internetblockade sei es extrem schwierig, solche Aktionen zu organisieren. "Man trifft sich, plant und geht auseinander - und hört manchmal tagelang nichts mehr voneinander."

Gefährliche Gewerkschaftsarbeit

Arbeiteraktivisten haben es schwer im Iran. Nach der Islamischen Revolution 1979 waren freie Gewerkschaften zunächst verboten. Erlaubt waren nur die "Islamischen Räte", die für die "Verkündigung und Verbreitung der islamischen Kultur" zuständig sind. Zudem haben sie die Aufgabe, "Störungen und unerwünschte Vorfälle" in den Betrieben zu melden. Sie stehen meist der Unternehmensleitung nahe. Ihre Mitglieder müssen das Prinzip der religiösen Führerschaft anerkennen und sich für den Islam engagieren. Erst seit 2003 sind die Gründung von Gewerkschaften und der Beitritt zu ihnen erlaubt. Wer Proteste organisiert oder darüber berichtet, lebt jedoch gefährlich. Zum Beispiel wurde die 25-jährige Studentin und Aktivistin Sepideh Gholian im November 2018 verhaftet, weil sie in sozialen Netzwerken über Arbeiterproteste in Chusistan berichtet hatte. Protestierende Arbeiter, die seit Monaten keinen Lohn erhalten hatten, waren von Sicherheitskräften brutal zusammengeschlagen worden.

Die aktuellen Proteste richteten sich zunächst gegen die rigorosen Kleiderregeln, die die iranische Führung den Frauen seit der Islamischen Revolution 1979 aufgezwungen hat. Jina Mahsa Amini hatte angeblich gegen diese Kleiderregeln verstoßen und war deshalb von der Religionspolizei festgenommen worden, in deren Gewahrsam sie schließlich starb.

Teheran beschuldigt Ausland

Inzwischen aber stellen Demonstrantinnen und Demonstranten die Systemfrage. Sie würden vom Ausland gesteuert, erklärt das geistliche und politische Oberhaupt der Islamischen Republik, Ayatollah Ali Chamenei. Die Proteste gingen nicht von "gewöhnlichen Iranern" aus, sagte er laut staatlichen Medien. Um diese Behauptung zu untermauern, sendete das Staatfernsehen vor einer Woche einen Bericht, in dem zwei im Mai festgenommene Franzosen ein "Geständnis" wegen angeblicher Spionage abgeben. Sie seien als Agenten des französischen Geheimdienstes in den Iran gereist, um "die Voraussetzungen für eine Revolution und den Sturz des iranischen Regimes schaffen".

Die Regierung in Frankreich warf dem Iran vor, die Franzosen als Geiseln genommen und das "Geständnis" erpresst zu haben. Frankreich hat seinen Staatsbürgern empfohlen, den Iran so schnell wie möglich zu verlassen. Das französische Außenministerium begründete seine Empfehlung am Freitag auf seiner Homepage damit, dass französische Staatsangehörige, die das Land besuchten, einem hohen Risiko von Festnahmen, willkürlichen Inhaftierungen und ungerechten Urteilen ausgesetzt seien. Angesichts der Proteste rät das Auswärtige Amt in Berlin ebenfalls dringend von Reisen in den Iran ab. Auch für Deutsche bestehe die konkrete Gefahr, "willkürlich festgenommen, verhört und zu langen Haftstrafen verurteilt zu werden", heißt es in den Reise- und Sicherheitshinweisen des Ministeriums.

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