1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikAsien

Iran und die Angst vor Chaos in Afghanistan

26. Oktober 2021

Mit einer Afghanistan-Konferenz der Nachbarländer, aber ohne Taliban-Beteiligung, versucht Teheran stabilisierend auf das Nachbarland einzuwirken.

Kontrollpunkt an der Grenze zu Afghanistan
Kontrollpunkt an der Grenze zu Afghanistan Bild: Abedin Taherkenareh/dpa/picture alliance

Die Außenminister der Nachbarstaaten Afghanistans sowie ein Vertreter Russlands kommen am Mittwoch in Teheran zu Gesprächen über die politische Zukunft und die Bildung einer neuen Regierung im Nachbarland zusammen. Vertreter des "Islamischen Emirats", also der Taliban-Regierung, sind "noch" nicht eingeladen, wie der afghanische Sender Tolo News meldet. Das iranische Außenministerium hat zu der Afghanistan-Konferenz eingeladen. Der Iran und Afghanistan teilen eine knapp 1000 Kilometer lange gemeinsame Grenze, entsprechend groß sind Teherans Sicherheitsinteressen in Afghanistan. 

Auf der iranischen Seite der Grenze leben überwiegend sunnitische Minderheiten im mehrheitlich schiitischen Iran. Sie klagen seit Jahrzenten über staatliche Diskriminierung. Wegen maroder Infrastrukture und einem Mangel an Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sind die Gebiete an der afghanischen Grenze die ärmsten und am wenigsten entwickelten im Iran.

Teheran dringt auf "inklusive" Regierung in Kabul

Was der Iran in Afghanistan wolle, sei Frieden, was er nicht wolle, sei Gewalt und Terrorismus, sagte Außenamtssprecher Said Chatibsadeh vergangene Woche. Der Iran setze sich für eine inklusive Regierung ein, in der alle politischen Gruppen vertreten seien. Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid begrüßte am Sonntag die Initiative Teherans und äußerte die Hoffnung, dass ihr Ergebnis Afghanistan nützen werde. 

Die anfängliche Euphorie im Iran über den Rückzug der USA aus dem Nachbarland ist verflogen, die Stimmung kippt. "Iran hat sich verkalkuliert", analysiert Fatemeh Aman, Iran-Expertin bei der Washingtoner Denkfabrik "Middle East Institute", im Gespräch mit der DW. "Die Führungsstrukturen der Taliban sind vielschichtig, kompliziert, undurchsichtig. Das macht die Verhandlungen mit ihnen schwierig, und zwar nicht nur für den Iran."

Der Iran und Afghanistan teilen eine knapp 1000 Kilometer lange gemeinsame Grenze

Der Iran hatte bereits vor dem Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan Verhandlungen mit Vertretern der Taliban aufgenommen, mutmaßlich verbunden mit der Hoffnung, später in Afghanistan Einfluss ausüben zu können. In der Folge hat die Führung in Teheran die Rückkehr der Taliban an die Macht in Afghanistan ausdrücklich begrüßt und eine schnelle Regierungsbildung gefordert, unter Beteiligung aller politischen Gruppierungen.

Schiitische Minderheit unter Druck

Innerhalb der Taliban scheinen sich allerdings die radikalen Flügel durchgesetzt zu haben, wie etwa das Haqqani-Netzwerk mit seiner starken Verbindung zu Pakistan. Siradschuddin Haqqani, ein Sohn von Dschalaluddin Haqqani, der in den 80er Jahren das Netzwerk während des Widerstands gegen die sowjetische Besatzung gegründet hatte, wurde zum neuen Innenminister in Afghanistan ernannt. Haqqani gilt als Drahtzieher zahlreicher Selbstmordanschläge in den vergangenen 15 Jahren und steht auf einer Fahndungsliste der amerikanischen Bundespolizei FBI.

Vergangene Woche bot Siradschuddin Haqqani den Familien von Selbstmordattentätern aus den Reihen der Taliban wirtschaftliche Unterstützung an, unter anderem in Form von landwirtschaftlichen Nutzflächen. Diese Felder, so scheint es, sollen von der schiitischen Minderheit geraubt werden. Laut Human Rights Watch vertreiben die Taliban Angehörige der ethnischen und religiösen Minderheit der Hasara aus ihren Dörfern im fruchtbaren Norden Afghanistans, um deren Besitz in Beschlag zu nehmen. Die Hasara gehören überwiegend der schiitischen Konfession an und werden von den sunnitischen Taliban systematisch verfolgt.

Teherans begrenzte Einflussmöglichkeiten

Diese Enteignungspolitik hat die Differenzen über den Umgang mit den militant-islamistischen Taliban in Teheran weiter verschärft. Mahmoud Ahmmadi, Mitglied im Ausschuss für nationale Sicherheit und Außenpolitik des iranischen Parlaments, schrieb am Sonntag auf seinem Twitter-Account: "Wo sind diejenigen, die die Taliban reinwaschen wollten und behaupteten, die Taliban hätten sich geändert?" Damit sprach Ahmmadi politische Kreise in Teheran an, die der Auffassung sind, dass die Taliban sich gemäßigt hätten und nicht mehr die islamistische Bewegung der vergangenen Jahrzehnte seien. 

Afghanistans Nachbarländer fordern eine inklusive Regierung Bild: Sergei Bobylev/TASS/dpa/picture alliance

"Der Iran ist vor allem über den möglichen Ausbruch eines Bürgerkriegs in Afghanistan besorgt", sagt Fatemeh Aman. "Die lange Grenze zu Afghanistan ist aufgrund der geographischen Gegebenheiten nur schwer zu sichern. Chaos in Afghanistan könnte in den benachteiligten Gebieten nicht nur den Schmuggel von Drogen und Menschen begünstigen, sondern auch von Waffen und Munition. Als einzige Möglichkeit der Einflussnahme versucht der Iran, in Kooperation mit den Nachbarländern die Taliban zur Bildung einer inklusiven Regierung unter Beteiligung der Minderheiten und auch der Frauen zu bewegen."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen