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PolitikAsien

Iran, Pakistan und die Zukunft Afghanistans

19. Juli 2021

Iran und Pakistan stellen sich auf die Machtübernahme bzw. -beteiligung der Taliban in Afghanistan ein. Sie wollen vor allem nicht noch mehr Flüchtlinge.

Pakistan Grenzstadt Chaman Menschen mit Taliban-Flagge
Bewohner der pakistanischen Grenzstadt Chaman mit Taliban-Flagge Bild: Asghar Achakzai/AFP/Getty Images

Abdul Rashid ging aus Pakistan nach Afghanistan, um zu kämpfen. In der vergangenen Woche erhielt seine nahe Peschawar an der Grenze zu Afghanistan lebende Familie die Nachricht, dass der junge Mann - er war gerade 22 Jahre alt geworden - bei Gefechten auf Seiten der Taliban gestorben sei. Den Eltern blieb nichts, als den Leichnam des Sohnes zu Hause in Empfang zu nehmen und zu beerdigen.

"Rashid opferte sein Leben einer großen Sache", zitiert die Nachrichtenagentur AFP seinen Onkel, einen Kleriker. "Er ging im Geist des Dschihad nach Afghanistan. Jetzt wollen seine jungen Freunde es ihm nachtun und ebenfalls Märtyrer werden", so der Onkel weiter. In Pakistan haben Sympathiekundgebungen für die afghanischen Taliban in Afghanistan in jüngster Zeit zugenommen. Dutzende junge Pakistaner sind laut lokalen Medienberichten in den vergangenen Monaten im "afghanischen Dschihad" ums Leben gekommen, während gleichzeitig die Taliban in Afghanistan ihre Kontrolle über weite Teile des Landes ausbauten.

Verständigung über die Grenze hinweg

Ein pakistanischer Außenamtssprecher wies den Vorwurf zurück, dass es die zunehmende Pro-Taliban-Agitation und entsprechende Spendenaufrufe durch Kleriker ohne die inoffizielle Unterstützung durch den pakistanischen Staat nicht gäbe. "Diese Anschuldigungen entbehren jeder Grundlage. Nichts dergleichen geschieht", so Zahid Hafeez Chuadhary zur DW.

Die Regierung in Islamabad mag offiziell auf Distanz zu den selbsterklärten Gotteskriegern gehen, in der Praxis aber stellt sie sich auf die Notwendigkeit der Verständigung mit ihnen ein. Vor mehreren Tagen hatten Taliban die afghanische Grenzstadt Spin Boldak in der Provinz Kandahar unter ihre Kontrolle gebracht. Rund 900 Lkws passieren hier täglich die afghanisch-pakistanische Grenze in beiden Richtungen.

Pakistanische Sicherheitskräfte und Menschenansammlungen an der Grenze zu Afghanistan nach einem Taliban-Vorstoß Bild: Asghar Achakzai/AFP/Getty Images

Nach der Übernahme von Spin Boldak durch die Taliban hatte Pakistan den Grenzübergang zunächst geschlossen. Nach Verhandlungen pakistanischer Behörden mit dem lokalen afghanischen Taliban-Kommandeur sei er für Pendler allerdings wieder geöffnet worden, zitieren Nachrichtenagenturen den Verwaltungschef von Chaman, der Nachbarstadt auf pakistanischer Seite.

Für die pakistanischen Behörden sind offenbar die Vertreter der Taliban die Ansprechpartner, wenn es um das Grenzregime geht. Verwundete Taliban-Kämpfer sollen laut Nachrichtenagenturen in Chaman medizinisch versorgt worden sein. Die pakistanische Regierung konzentriere sich auf die Probleme vor Ort, sagt Andrew Watkins, Afghanistan-Experte bei der International Crisis Group. "Es geht ihr vor allem darum, Terrorismus und Kriminalität zurückzudrängen und ein Überspringen auf das eigene Staatsgebiet nach Möglichkeit zu verhindern." Außerdem wolle Pakistan im Fall einer Machtübernahme durch die Taliban eine erneut ansteigende Flüchtlingsbewegung aus Afghanistan verhindern; bereits jetzt leben ungefähr zwei Millionen Afghanen als Flüchtlinge vor Bürgerkrieg, Gewalt und Armut auf pakistanischem Territorium.

Irans flexible Haltung

In den ersten Juli-Tagen hatten die Taliban auch einen Übergang an der Grenze zum Iran nahe der Stadt Islam Qala  in der Provinz Herat unter ihre Kontrolle gebracht. Auch dieser ist für Afghanistan von großer Bedeutung. Nach Angaben der Weltbank bezieht das Land rund 15 Prozent seiner Importe über den Iran.

Der der Sprecher des iranischen Außenministeriums Said Khatibzadeh zeigte sich nach der Einnahme des Grenzpostens zurückhaltend. "Die Grenzen der Islamischen Republik Iran sind friedlich und sicher dank der eifrigen Grenzwächter unseres Landes und es gibt keine Unsicherheit an den Grenzen unseres Landes zu Afghanistan", erklärte er. Allerdings hätten sich in Folge der Zusammenstöße mit den Taliban mehrere afghanische Grenzbeamte in den Iran abgesetzt, fügte er hinzu.

Irans Außenminister Sarif empfing im Januar 2021 eine Taliban-DelegationBild: WANA/REUTERS

Nachdem der Iran jahrelang enge Beziehungen zu den Taliban gepflegt hatte, setze die Führung in Teheran inzwischen andere Schwerpunkte, sagt Andrew Watkins. "Zwar sieht sie sich weiterhin als Schutzmacht der Schiiten in Afghanistan. Doch insgesamt setzt sich die iranische Regierung für eine politische Einigung in Afghanistan ein." Insgeheim schließe sie nicht aus, dass die Taliban womöglich die Macht in Afghanistan übernehmen.

Stabilität hat Priorität

Nach Schätzung der Vereinten Nationen befinden sich rund eine Million Afghanen illegal im Iran. Die iranische Regierung geht hingegen von bis zu zweieinhalb Millionen aus. "Für die Staatsführung in Teheran zählt vor allem, dass die Grenzen stabil bleiben und nicht noch mehr Afghanen in den Iran fliehen", sagt Watkins. Außerdem liege dem unter den US-Sanktionen leidenden Land daran, dass der Grenzverkehr zwischen beiden Ländern weiterhin möglichst ungestört verläuft.

In den vergangenen Jahren sind Hunderttausende Afghanen, die illegal im Iran und in Pakistan leben, teils freiwillig teils unfreiwillig, in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Bild: DW/S. Tanha

So dürfte die iranische Staatsführung die Taliban auch in Zukunft zu politischer Mäßigung drängen, wie Außenminister Mohammad Dschawad Sarif das Anfang Juli auf einer Konferenz in Teheran getan hatte, zu der die Taliban ebenso wie die afghanische Regierung eingeladen waren. "Heute müssen die Bevölkerung und die politische Führung Afghanistans schwierige Entscheidungen zur Zukunft ihres Landes treffen", hatte Sarif damals erklärt.

"Zwar steht der Iran der Regierung in Kabul grundsätzlich näher als den Taliban", resümiert Watkins. "Aber wenn die Taliban im Nachbarland die Macht übernehmen, dürfte man das im Iran stillschweigend akzeptieren."

 

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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