Warum Russland iranische Drohnen in der Ukraine einsetzt
25. Oktober 2022Seit Wochen leidet die Ukraine unter dem Beschuss iranischer Drohnen, abgefeuert vom russischen Militär. Die meisten fängt die Flugabwehr inzwischen ab, doch immer noch erreicht, den Angaben des britischen Verteidigungsministeriums zufolge, ein gutes Drittel sein Ziel: Einrichtungen der kritischen Infrastruktur ebenso wie Wohngebiete.
Wie sehr diese Drohnen der Ukraine zusetzen, hat der Ministerpräsident des Landes, Denys Schmyhal, dieser Tage in einem Interview mit der deutschen Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu verstehen geben. "Die Russen setzen jeden Tag zwanzig bis dreißig iranische Kamikaze-Drohnen gegen uns ein", sagte er. Schmyhal warnte vor einem "Migrationstsunami", sollten die russischen Truppen weiterhin gezielt die zivile Infrastruktur zerstören. "Sie wollen unserer Bevölkerung im Winter den Strom, das Wasser und die Heizung wegnehmen", so der Premier. Das deutsche Abwehrsystem IRIS-T habe insbesondere im Raum Kiew "schon sehr, sehr viele Menschenleben" gerettet. Doch die Ukraine warte ungeduldig auf die nächste Munitionslieferung und auf das nächste System. "Es geht buchstäblich um Tage", so der Premier.
Die Drohnen und das Atomabkommen
Sowohl Russland als auch der Iran wehren sich vehement gegen alle Bemühungen, die Herkunft der Drohnen aufzuklären. Eine entsprechende Forderung der USA wies der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja als "empörende Situation" zurück. Sollte es zu einer Untersuchung durch die Vereinten Nationen (UN) kommen, müsse Russland die Zusammenarbeit mit der UN überdenken. Ähnlich äußerte sich auch der Iran.
Iran leugnet Lieferung und Einsatz seiner Drohnen wohl vor allem darum so beharrlich, weil es die Gespräche zum Atomabkommen nicht gefährden wolle, sagt Markus Kaim von der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Der Iran wolle seine Gesprächspartner, allen voran die Europäer (Großbritannien, Frankreich, Deutschland) nicht verprellen.
Solange die Herkunft der Drohnen nicht zweifelsfrei geklärt ist, ist eine Fortsetzung der Verhandlungen über das Atomabkommen noch möglich. Ein Eingeständnis würde es den Europäern hingegen sehr schwer machen, weiter zu verhandeln. "Sie sähen sich dann mit einer Politik konfrontiert, die zwar in der Sache nichts mit dem Atomabkommen zu tun hat, die aber doch als so feindlich verstanden werden müsste, dass Gegner des Atomabkommens wohl mit einigem Erfolg darauf drängen könnten, die Gespräche abzubrechen", so Kaim im DW-Interview.
Drohnen sind zweifelsfrei iranischer Bauart
Dabei seien die Beweise für den Einsatz iranischer Drohnen augenfällig, so Markus Kaim. Er verweist auf Video-Aufnahmen von Drohnen, auf geborgene Trümmer, die die Ukrainer der Weltöffentlichkeit präsentiert haben. "Meiner Einschätzung nach kann es in der Sache kaum Zweifel geben. Und ich kenne auch keinen ernstzunehmenden Experten, der anzweifelt, dass es entsprechende Waffenlieferungen gegeben hat", so Kaim im DW-Interview.
Genauso sieht es der Militärexperte Markus Reisner, Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung an der Theresianischen Militärakademie in Wien. Massive Transportbewegungen russischer Flugzeuge in den Iran und zurück seien ein klarer Indikator für den Transport großer Materialmengen. "Auch die Bauart der gesicherten Drohnen spricht eindeutig für ein iranisches Modell." Eingesetzt würden die Drohnen vor allem darum, weil sich das Arsenal der russischen Flugwaffen zwar nicht dem Ende neige, Indizien aber auf einen gewissen Mangel hindeuteten.
Unterschiedliche Drohnentypen
Eingesetzt würde vor allem zwei Drohnentypen, so Reisner: Zum einen die des Typs Mohajer-6, zum anderen der Typ Shahed-136.
Die Mohaer-6 kann ein Ziel aufklären und überwachen. Wie andere Drohnen dieses Typs spiele sie eine große Rolle für die Aufklärung von Zielen für die Artillerie. "Sie lässt sich aber auch mit Luft-Boden-Raketen bestücken, kann also auch Ziele bekämpfen, nachdem sie sie aufgeklärt hat."
Die Shahed-136 hingegen ist eine klassische Kamikaze-Drohne. Geleitet wird sie von einem GPS-System, das sie bei stetiger Kurskorrektur exakt zu ihrem Ziel führt. Das Wesentlich sei aber, dass diese Drohne meist nicht isoliert eingesetzt werde. "Vielmehr fliegt sie meist in einem Schwarm von zehn bis 15 anderen Drohnen. Dadurch werden die ukrainischen Abwehrsysteme überlastet." Zwar schießen die Systeme einige der Drohnen ab, aber von 15 gelangen dann doch noch einige ins Ziel.
Anschließend feuern die Russen ihre Marschflugkörper ab, gegen die die Luftabwehr dann wenig ausrichten kann, weil so schnell keine neuen Raketen nachgeladen werden können. Das wiederum liegt auch daran, dass die Systeme der Ukraine nach acht Monaten trotz aller Unterstützung erschöpft sind.
Hinzu komme ein Weiteres, so Reisner: "Die Drohnen sind vergleichsweise klein. Die herkömmliche ukrainische Luftabwehr ist aber meist auf viel größere Objekte programmiert, etwa auf Flugzeuge und Hubschrauber. Darum muss man diese entweder nachrüsten oder eben auf die modernen Systeme setzen, die nun in die Ukraine geliefert werden. Das sind so genannte Multi-Sensor-Systeme. Sie haben also ganz unterschiedliche Sensoren, die auf akustischer, optischer oder elektromagnetischer Basis arbeiten." Diese Systeme können auch kleine Ziele abfangen.
Russlands langfristige Strategie
Die Ukraine zeigt sich im Hinblick auf die Abwehr der Drohnen optimistisch. "Natürlich haben wir nicht die technischen Möglichkeiten, 100 Prozent der russischen Raketen und Kampfdrohnen auszuschalten", sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Video-Botschaft. Er sei sich aber sicher, dass man dies mit Hilfe der internationalen Partner schrittweise erreichen werde. "Schon jetzt schießen wir einen Großteil der Marschflugkörper und Drohnen ab."
Allerdings müsse man vorsichtig sein, sagt Markus Reisner. Erklärungen wie diese seien auch Bestandteil der psychologischen Kriegsführung. "Die ist absolut legitim. Aber man muss auch sehen, dass die russischen Raketen sehr präzise funktionieren. Wenn man derzeit hört, dass 40 Prozent der ukrainischen Infrastruktur getroffen worden ist, spricht das für eine enorme Präzision der russischen Angriffe. Die Luftabwehr der Ukraine musste in den vergangenen acht Monaten schwere Schläge einstecken. Das macht sich nun bemerkbar. Es trifft zwar zu, dass die Russen keine Lufthoheit haben und nicht mit Flugzeugen über die Ukraine fliegen können. Aber sie haben die Luftüberlegenheit. Sie können Ziele angreifen, wo immer sie möchten."
Strategisch sei das fatal, so Reisner weiter. "Denn die ukrainische Armee rückt im Süden und Osten des Landes zwar weiter vor. Aber im Hinterland wird die Infrastruktur getroffen. In anderen Worten: Den Menschen steht ein sehr, sehr harter Winter bevor. Das könnte dann zu weiteren Fluchtbewegungen Richtung Westen führen und dort zu gesellschaftlichem Unmut führen. Genau darauf setzt Russland."