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PolitikAsien

Iran: "Sie werden Protestierende niedermetzeln"

22. September 2022

Bei den Protesten im Iran wegen des Todes der jungen Kurdin Amini im Polizeigewahrsam sind weitere Menschen getötet worden. Menschenrechtsbeobachter befürchten, dass Irans Staatsführung auf noch mehr Gewalt setzt.

Iran | Mahsa Amini Zeitungsartikel
Ein Foto von Mahsa Amini in der Teheraner Zeitung "Jahane Sanat"Bild: Majid Asgaripour/REUTERS

Der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die vergangene Woche nach ihrer Festnahme durch die iranische Sittenpolizei wegen ihres angeblich nicht korrekt getragenen Kopftuchs auf noch ungeklärte Weise ums Leben kam, hat im Iran landesweit eine Welle von Protesten ausgelöst. Nach Angaben nationaler und internationaler Medien wurden dabei mindestens 17 Menschen getötet. Auch ein Polizist und ein Mitglied einer regierungsnahen Miliz sollen ums Leben gekommen sein.  

Der Kurde Ribin Rahmani lebt in London und arbeitet für ein Netzwerk von kurdischen Menschenrechtsaktivisten. Er sagt im Gespräch mit der DW: "Allein in der Provinz Kurdistan wurden bis diese Woche Mittwoch ungefähr 400 Menschen verhaftet.

Mahsa Amini wäre am 21. September 23 Jahre alt geworden. Ein Foto von ihrem Geburtstag vor einem Jahr wird im Internet geteilt.Bild: privat/UGC

Die 22-jährige Mahsa wohnte in der Kleinstadt Saghes in der westlichen Provinz Kurdistan. Erste Proteste gab es bereits bei ihrer Beerdigung am vergangenen Samstag. "Uns liegen die Namen, Fotos und Adressen von mindestens acht getöteten Demonstranten vor, die bis gestern von den Sicherheitskräften erschossen wurden", erklärt Rahmani. "In der Provinz Kurdistan gehen die Sicherheitskräfte mit massiver Gewalt gegen die Demonstranten vor. Sie wollen die Proteste möglichst schnell unterdrücken." 

"Es wird schlimmer als 2019" 

Seit Mittwochabend dieser Woche ist im Iran das Internet stark eingeschränkt. Mobile Netzwerke seien "weitgehend abgeschaltet", berichtet die Organisation NetBlocks, eine 2017 gegründete Organisation zur Überwachung der Internetfreiheit. Der Zugang zu Instagram, der einzigen großen Social-Media-Plattform, die im Iran noch zugelassen ist, sei eingeschränkt, einige Mobilfunknetze seien komplett abgeschaltet worden. "Der Iran unterliegt nun den strengsten Internetbeschränkungen seit dem Massaker im November 2019", teilte NetBlocks mit. 2019 waren bei Protesten gegen steigende Benzinpreise nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen etwa 1500 Menschen getötet worden.  

Wütende Demonstranten in der Innenstadt von TeheranBild: AP/dpa

"Ich fürchte, dass uns noch Schlimmeres bevorsteht als das, was wir 2019 erlebt haben", sagt Saeid Dehghan, Menschenrechtsanwalt aus Teheran der DW. "Die Lage ist sehr angespannt. Viele Menschen sind wütend und verzweifelt. Sie haben das Gefühl, kaum noch etwas verlieren zu können. Sie leiden unter der Wirtschaftskrise und unter alltäglichen Repressalien. Jetzt haben der Tod einer jungen Frau wegen angeblichen Verstoßes gegen den Kopftuchzwang die Wut und den Ärger über das politische System hervorbrechen lassen. Es ist eine schwere innere Krise, und die Regierung hat keine andere Antwort darauf außer weiterer Unterdrückung", sagt Dehghan.

Der Menschenrechtsanwalt malt ein düsteres Szenario: "Wir haben ein politisches System, das mit der eigenen Bevölkerung in ständigem Krieg liegt. Der Internet-Shutdown hat einen klaren Zweck: Polizei und Sicherheitskräfte werden mit aller Härte gegen die Demonstrationen vorgehen und sie niedermetzeln. Die Bilder davon darf die Welt nicht sehen."  

Die kommissarische UN-Menschenrechtschefin Nada Al-Nashif hat unterdessen ihre "Beunruhigung über den Tod von Mahsa Amini in Haft" sowie über die "gewaltsame Reaktion der Sicherheitskräfte gegen darauf folgende Demonstrationen" zum Ausdruck gebracht. Vor zwei Tagen forderte Al-Nashif eine "rasche, unabhängige und effiziente Untersuchung" des Todes der 22-Jährigen sowie "der Folter- und Misshandlungsvorwürfe" gegen die Polizei. "Darauf wird die iranische Regierung nicht eingehen", ist sich Menschenrechtsanwalt Dehghan sicher. "Sie dementieren alles, und tun, als wäre nichts gewesen. So wie Präsident Raisi bei seiner Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen." 

Raisis Auftritt vor der UN-Vollversammlung 

Irans Präsident Ebrahim Raisi hatte gestern in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung in New York das Selbstbestimmungsrecht der Völker betont. Dem Westen warf Raisi mit Blick auf den Tod von Mahsa Amini vor, bei Frauenrechten mit "zweierlei Maß" zu messen. Er verwies unter anderem auf den Tod von indigenen Frauen in Kanada in der Vergangenheit.  

Während Raisis New Yorker Rede protestierten Hunderte Exil-Iraner vor dem UN-Gebäude. 

Für die in London lebende iranische Menschenrechtsforscherin und Autorin Azadeh Pourzad war Raisis Rede ein weiterer verzweifelter Versuch zu behaupten, dass die Islamische Republik ein Rechtstaat wäre und vom Westen falsch verstanden würde. Auf Anfrage der DW schreibt Pourzad: "Tatsache ist, dass Raisi ein gefährlicher Verbrecher auf der Flucht ist. Ein Verbrecher, der sich hinter der diplomatischen Immunität eines Staatsoberhauptes versteckt".

Die Exil-Iranerin begründet ihre Aussage mit dem Hinweis auf Raisis Mitverantwortung für außergerichtliche Massenhinrichtungen Tausender politischer Gefangener zwischen Juli und September 1988. Raisi war damals stellvertretender Generalstaatsanwalt von Teheran.