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Irans Frauen: Menschen zweiter Klasse?

Ana Lehmann12. Juni 2013

Asieh Amini gehört zu Irans aktivsten Frauenrechtlerinnen. Seit vielen Jahren kämpft sie gegen das iranische Justizsystem, das Frauen systematisch diskriminiert - mit schweren persönlichen Konsequenzen.

Eine iranische Frau hält ihre bemalten Hände in die Kamera (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Heute kann Asieh Amini wieder sehen. Doch vor einigen Jahren hätte sie fast ihr Augenlicht verloren. Sie war körperlich und seelisch am Ende. "Die Ärzte sagten, ich stehe unter Schock", erinnert sie sich. Die iranische Frauenaktivistin konnte nicht mehr ertragen, was sie jahrelang gesehen und mitgefühlt hatte: die Situation von Frauen in iranischen Gefängnissen, ihre Verurteilung zum Tod und die Exekution durch Steinigung. "Jeden Tag stand ich vor einer neuen schweren Aufgabe mit einer der Frauen im Gefängnis, die zum Tode verurteilt waren. Ich kam den Frauen sehr nah, manche waren wie meine Kinder. Das wurde mit der Zeit zu schrecklich für mich."

Von der Journalistin zur Aktivistin

Asieh hatte als Journalistin bei einer Zeitung gearbeitet, bis sie im Jahr 2003 auf einen Fall stieß, der ihr Leben verändern sollte. Sie erfuhr von einem 16-jährigen Mädchen, das im Gefängnis saß, weil ihm unerlaubter Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe vorgeworfen wurde. Dem Mädchen drohte der Tod durch Steinigung. Die Journalistin sah genauer hin. Sie fand heraus, dass Atefeh Sahaleh seit ihrem 10. Lebensjahr regelmäßig vergewaltigt worden war und dafür Schweigegeld erhalten hatte. "Nach einiger Zeit betrachtete Atefeh das als ihren Job." Wegen Prostitution wurde sie eingesperrt. "Der Richter entschied, dass sie sterben müsse. Meine Recherchen ergaben, dass der Fall nicht gründlich genug untersucht worden war, um dieses Urteil zu rechtfertigen."

Asieh AminiBild: Asieh Amini

Asieh Amini schrieb einen Artikel über Atefehs Schicksal, aber ihre Zeitung wagte nicht, ihn zu veröffentlichen. Die Journalistin besorgte dem Mädchen einen Anwalt und unterstützte die Familie. Doch die Hinrichtung konnte sie nicht verhindern. "Ich lernte etwas Wichtiges: Wir haben dieses furchtbare Gesetz im Iran, nach dem man sterben kann, nur weil man eine sexuelle Beziehung zu jemandem hat." Nach und nach deckte Asieh mehr Steinigungen von Frauen auf. Sie fanden heimlich statt - Irans Regierung hatte nach internationaler Kritik offiziell erklärt, dass Steinigungen nicht mehr vollstreckt würden. "Steinigungen sind Gott sei Dank selten der Fall, allerdings gibt es sie auch," sagt Wenzel Michalski, Deutschland-Direktor von Human Rights Watch.

Asieh wurde immer mehr zur Menschenrechtsaktivistin. Sie verlor ihre Arbeit bei der Zeitung und ging in den Untergrund. Gemeinsam mit anderen Aktivisten gründete sie 2008 die "Kampagne gegen Steinigung", die viele Menschen vor diesem Schicksal rettete.

Diskriminierung per Gesetz

Asieh erkannte, dass die Gesetze im Iran eine Diskriminierung von Frauen festschreiben. In Gefängnissen begegnete sie Frauen, die sich gegen ihre Vergewaltiger zur Wehr gesetzt hatten und dafür wegen "Unkeuschheit" zum Tode verurteilt worden waren. Andere waren Opfer von Misshandlungen und Gewalt in der Ehe, aus der ein Entkommen unmöglich schien: "Ich begegnete Frauen, die ihre Männer umgebracht hatten, weil sie sich nicht von ihnen scheiden lassen können. Sie wollten die Scheidung, aber sie konnten sie nicht erhalten. Und die Familien unterstützten sie nicht." Im männlich dominierten Justizsystem ist es für Frauen sehr schwierig, eine Scheidung durchzusetzen. Sie müssen sich in einem oft jahrelangen Prozess rechtfertigen. Viele Richter berufen sich auf zwei Suren im Koran, die nur Männer zur rechtsgültigen Scheidung ermächtigen. Sie brauchen dafür nur dreimal eine bestimmte Scheidungsformel auszusprechen.

Iranischer Richter: das Justizsystem wird von Männern dominiertBild: Fars

Hinzu kommt: Mädchen gelten ab neun Jahren als strafmündig, Jungen erst ab fünfzehn, beklagt Amnesty International. Töchter erben nur die Hälfte von dem, was der Sohn erbt. "Frauen erhalten so gut wie nie das Sorgerecht für ihre Kinder", sagt die Islamwissenschaftlerin Katajun Amipur. Wenn sie arbeiten oder ins Ausland reisen wollen, müssen sie die Erlaubnis ihres Mannes einholen. Gemäß dem im Iran geltenden islamischen Recht dürfen Männer vier Ehefrauen haben.

"Das sind genau die Bereiche, auf die Frauen sich berufen, wenn sie sagen, dass dieses Rechtssystem sie in ihrem Land zu Menschen zweiter Klasse macht", sagt Iran-Expertin Amipur. Die systematische und im System verankerte Diskriminierung habe fatale Folgen für die Gesellschaft. "Wenn ein Rechtssystem so ist und das den kleinen Kindern quasi schon in der Schule gesagt wird, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass die jungen Leute mit dem Bild im Kopf aufwachsen, die Frau sei genau so viel wert wie sie."

Asieh hat vielen Frauen im Gefängnis geholfen. Die Aktivistin lebte mit der Angst, selber verhaftet zu werdenBild: ISNA

Repression und Überwachung

Während der Regierungszeit von Präsident Mahmud Ahmadinedschad habe sich die Situation für Frauen deutlich verschlechtert, sagt die iranische Exil-Journalistin Mitra Shodjaie. Wer sich im Iran für Frauenrechte oder Demokratie einsetzt, lebe unter großer Gefahr: "Viele Aktivisten sind im Gefängnis. Alle anderen haben Angst. Sie stehen rund um die Uhr unter Beobachtung. Die Überwachung ist stärker geworden."

Diese Erfahrung machte auch Asieh Amini im Jahr 2009, bevor Ahmadinedschad wiedergewählt wurde: "Mein gesamtes Leben und alle Aktivitäten standen unter Kontrolle. Freunde wurden verhaftet. Wir konnten kaum noch arbeiten, obwohl wir versuchten, weiterzumachen. Nach der Wiederwahl wurde es noch schlimmer, wir konnten niemanden mehr per Telefon kontaktieren, keine E-Mails mehr versenden und uns noch nicht einmal mehr treffen." Vier Monate nach der Wahl verließ Asieh Amini ihr Heimatland, in dem sie nicht mehr sicher war.

Wandel durch Volkes Wille

Asieh hat wenig Hoffnung auf eine Änderung der politischen Situation. Trotzdem glaubt sie an einen Wandel, aber der komme nicht durch die Wahlen, sondern werde von den Bürgern selber ausgehen: "Ich hoffe, dass die Erfahrung der Diskriminierung uns helfen und einer Demokratie näher bringen kann. Demokratie muss von den Menschen kommen. Niemand kann für uns denken und handeln, das müssen wir selber tun. Die Menschen werden sich für einen Wandel entscheiden. Das wird nach den Wahlen geschehen."

"Der Wandel wird von den Bürgern selber ausgehen"Bild: Kossof
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