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Politik

Irans Justiz verdoppelt Hinrichtungen

10. August 2022

Mindestens 251 Menschen wurden im ersten Halbjahr 2022 im Iran hingerichtet. Zum Tode verurteilt wurden auch Frauen, die sich gegen häusliche Gewalt gewehrt haben.

Iran | Öffentliche Erhängung von vier Männern in Isfahan
Jeden Tag sterben im Iran Menschen am Galgen Bild: Baharlo Jam/abaca/picture alliance

In den ersten sechs Monaten des Jahres wurde statistisch gesehen jeden Tag ein Mensch im Iran hingerichtet, an manchen Tagen auch mehrere. Mindestens 251 Menschen wurden laut dem jüngsten Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) im ersten Halbjahr 2022 vom Scharfrichter getötet. Das seien doppelt so viel wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres gewesen, so AI.

Dabei war das Land mit mindestens 314 dokumentierten Exekutionen 2021 bereits für den größten Teil der weltweiten Hinrichtungen außerhalb Chinas verantwortlich. Die Volksrepublik betrachtet die Anzahl der Hinrichtungen als Staatsgeheimnis. Für unabhängige Organisationen ist es deswegen nicht möglich, verifizierbare Zahlen über die Vollstreckungen zu nennen.

"Haarsträubende Hinrichtungsrate"

Im Iran setze sich der Trend "der haarsträubenden Hinrichtungsrate" fort, sagt Diana Eltahawy, Expertin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International. Allein an einem Julitag 2022 wurden drei Frauen in drei verschiedenen Gefängnissen des Landes hingerichtet, alle drei wegen Mordes an ihren Ehemännern.

Eine von ihnen war erst 15 Jahre alt, als sie verheiratet wurde; eine andere war von ihrem Stamm einem gegnerischen Stamm angeboten worden, um das Blutvergießen bei Auseinandersetzungen zu beenden; die dritte war eine gebürtige Afghanin, die keine iranische Staatsbürgerschaft besaß und wie viele andere Afghanen im Iran am Rande der Gesellschaft als Bürger und Bürgerinnen zweiter Klasse lebte.

Nach Recherchen der Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights wurden zwischen 2010 und 2021 insgesamt 164 Frauen im Iran hingerichtet, 60 davon wegen Mordes. In mindestens 40 dieser Fälle wurden Frauen hingerichtet, die sich gegen häusliche Gewalt zur Wehr gesetzt und ihre Ehemänner getötet haben sollen.

Im Iran werden Hinrichtungen häufig öffentlich vollstrecktBild: iranhr.net

Justiz von Männern dominiert

"Hätten Frauen in der iranischen Justiz etwas zu sagen, zum Beispiel bei der Verfassung des Strafgesetzbuches oder bei der Rechtsprechung, wären viele der hingerichteten Frauen vielleicht noch am Leben", sagt Shole Pakravan im Gespräch mit der Deutschen Welle. Ihre Tochter Reyhaneh Jabbari war im Oktober 2014 wegen Mordes an einem Mann hingerichtet worden. Zuvor hatte die 26-Jährige rund sieben Jahren in der Todeszelle gesessen.

Vor Gericht erklärte Jabbari, sie habe aus Notwehr gehandelt; der Mann habe sie vergewaltigen wollen. Für den Richter handelte es sich um heimtückischen Mord. Er verurteilte sie zum Tode durch Erhängen.

Reyhaneh Jabbari wurde 2014 hingerichtet Bild: privat

"Meine Tochter hat mir viele Briefe aus dem Gefängnis geschrieben, wo sie jahrelang mit anderen verurteilten Frauen inhaftiert war. Sie war der Meinung, wenn ihre Fälle von einer Richterin überprüft worden wären, würde die sie besser verstehen und ihren Aussagen Glauben schenken."

Scharia legitimiert häusliche Gewalt

Häusliche Gewalt gegen Frauen ist im Iran religiös legitimiert und kein Scheidungsgrund. Ausnahmen gelten nur dann, wenn das Ausmaß der Gewalt so groß wird, dass es einen Richter überzeugt. Das iranische Strafgesetzbuch basiert auf der Scharia, dem islamischen Recht. In der Ehe haben demnach die Männer "das Recht" auf sexuelle Verfügbarkeit der Ehefrau und dürfen dies auch mit Gewalt durchsetzen. So darf der Mann seine Frau schlagen, wenn er "Ungehorsam fürchtet". Zudem droht das neue "Gesetz für die Verjüngung der Gesellschaft" im Iran Frauen mit der Todesstrafe, wenn sie ungewollte Schwangerschaften abbrechen.

Die Vorstellung der Opferfamilien, dass Familienstreitigkeiten von einer Richterin verhandelt werden, bleibt Wunschdenken. Nach der Scharia ist es unmöglich, eine Frau zur Richterin zu berufen. Außerdem zählt vor einem iranischen Gericht die Aussage einer Frau nur halb so viel wie die eines Mannes. Gegen einen Mann ist eine Frau vor Gericht damit stark benachteiligt. Bei häuslicher Gewalt gibt es oft keine weiteren Zeugen.

Gegner der Todesstrafe eingesperrt

Viele Gegner der Todesstrafe im Iran werden strafrechtlich verfolgt und sitzen im Gefängnis. So wie die Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh, Trägerin des Sacharow-Preises für geistige Freiheit des Europäischen Parlaments 2012 oder auch Narges Mohammadi. Sie war stellvertretende Geschäftsführerin des iranischen Menschenrechtszentrums und wurde 2016 mit dem Menschenrechtspreis der deutschen Stadt Weimar geehrt.

Iran schikaniert Angehörige von Aktivistinnen

"Mit den Hardlinern im Parlament und in der Regierung hat sich die Situation der Frauen, aber auch die der Minderheiten im Iran noch weiter verschlechtert", sagt Tara Sepehri Far, Iran-Expertin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Besonders hart betroffen von der Welle der Hinrichtungen in den letzten Monaten war die Minderheit der Belutschen. Laut Amnesty International wurde bei jeder vierten Vollstreckung im ersten Halbjahr 2022 ein Belutsche hingerichtet, überwiegend wegen Drogenhandel.

Die Belutschen machen nach AI-Angaben circa fünf Prozent der iranischen Bevölkerung aus und leben im Südosten an der Grenze zu Pakistan und Afghanistan. Die Region ist wirtschaftlich benachteiligt und leidet unter anhaltender Dürre. Oft bildet das Drogengeschäft die einzige Einnahmequelle.

Deutsch-Iraner droht Todesurteil

Von der Hinrichtungswelle ist auch der Deutsch-Iraner Dschamschid Scharmahd bedroht. Der 67-Jährige war 2020 in einer Geheimdienstoperation aus Dubai in den Iran entführt und dort willkürlich inhaftiert worden. Irans Justiz wirft ihm vor, einer der Köpfe hinter einem Anschlag auf eine iranische Moschee im Jahr 2008 gewesen zu sein. Scharmahd gehört einer Gruppe an, die für die Wiedereinsetzung der Monarchie im Iran eintritt. Jetzt droht ihm nach Aussage seiner Familie die Todesstrafe.

Exil-Iraner in Deutschland fordern Freilassung von Dschamschid Scharmahd

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