Iran: Wie umgehen mit dem Hardliner Raisi?
4. August 2021Der Iran bekommt einen neuen Mann an der Spitze seiner Regierung: Ebrahim Raisi. Der 60-jährige Kleriker und Jurist mit der rahmenlosen Brille und dem vermeintlich scheuen Lächeln legt an diesem Donnerstag als neuer Präsident des Landes seinen Amtseid ab.
Der Ultra-Konservative tritt sein Amt in kritischer Zeit an: In Wien stagnieren die indirekten Gespräche mit den USA über die Zukunft des Atomabkommens. Und der jüngste Drohnenangriff auf einen Tanker vor der Küste des Oman hat noch einmal deutlich gemacht, wie brisant die Sicherheitslage am Persischen Golf ist. Sowohl die USA als auch Großbritannien hatten den Iran beschuldigt, für den Angriff auf einen von einer israelischen Firma betrieben Tanker verantwortlich zu sein.
Sieht schon die außenpolitische Zukunft des Iran unter Raisi düster aus, offenbart auch der Blick in seinen Lebenslauf aus Sicht von Menschenrechtlern tiefschwarze Flecken: In jüngerer Vergangenheit hat Raisi als Chef der Justiz zahlreiche Teilnehmer an den Protesten 2018 und 2019 hinrichten lassen.
Schon am Beginn seiner politischen Karriere hat er sich vor über drei Jahrzehnten als skrupelloser Handlanger des Regimes profiliert: 1988 war er an der Folterung und Hinrichtung tausender politischer Gefangener beteiligt. Deshalb setzten die USA Raisi 2019 auf ihre Sanktionsliste.
Mit Blick auf Raisis dunkle Vergangenheitplädieren deutsche Außenpolitiker für eine Kehrtwende in den Beziehungen zu Teheran. "Wenn ein ausgewiesener Blutrichter Präsident des Landes ist, dann ist es unsere Verpflichtung, das Thema Menschenrechte ganz nach vorne zu stellen,” sagt Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen, der DW.
"Leisetreterei muss aufhören"
Das Thema Menschenrechte spielte während der Präsidentschaft von Raisis Vorgänger Rouhani bestenfalls eine Nebenrolle. Auch als iranische Sicherheitskräfte 2019 brutal Demonstrationen gegen steigende Benzinpreise unterdrückten, gab es von der deutschen Regierung keine klare Verurteilung der Regierung in Teheran. "Diese Leisetreterei muss aufhören,” fordert Nouripour.
"Wir brauchen eine neue Iran-Strategie,” plädiert auch Bijan Djir-Sarai, außenpolitischer Sprecher der liberalen FDP, gegenüber der DW. Die dürfe sich nicht nur an den laufenden Verhandlungen zur Rettung des Atomabkommens orientieren. Seit Anfang dieses Jahrs wird in Wien um einen Neustart des Atomabkommens gerungen. Das war 2015 nach jahrelangen Verhandlungen zwischen den USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Russland und China auf der einen und dem Iran auf der anderen Seite abgeschlossen worden. Gegen wirtschaftliche Erleichterungen hatte sich der Iran einer strengen Kontrolle seiner Nuklearaktivitäten unterworfen. Die USA waren 2018 allerdings einseitig aus dem JCPoA genannten Atomdeal ausgetreten. Ein Jahr danach begann auch der Iran, sich nicht mehr an seine Verpflichtungen zu halten.
Atomabkommen nicht das einzige Thema
Das Atomabkommen habe die letzten acht Jahre die deutsch-iranischen Beziehungen überlagert, analysiert Cornelius Adebahr, Associate Fellow der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, DGAP. "Aber es gibt auch andere Themen: Nämlich die Innenpolitik, Menschenrechte und die regionale Frage. Deutschland hat zu diesen Themen erkennbar wenig gehandelt,” sagt Adebahr der DW.
Die moderate Fassade von Raisis Vorgänger Hassan Rouhani machte es bei diesen Themen einfacher wegzusehen. "Es wird jetzt schwieriger für Deutschland und Europa die bisherige Linie der autoritären Stabilitätspolitik öffentlich zu verteidigen,” betont der deutsch-iranische Politologe Ali Fathollah-Nejad gegenüber der DW.
Nicht nur Raisis Vergangenheit, auch die Tage und Wochen vor seiner Amtseinführung werden von Menschenrechtsverletzungen im Iran überschattet. In der südwestlichen Provinz Chusestan wurden Proteste gegen den vorherrschenden Wassermangel brutal von regierungstreuen Milizen niedergeschlagen. Amnesty International berichtet von mindestens acht Toten.
Außenpolitischer Umschwung?
Es gibt erste Anzeichen dafür, dass sich in der deutschen Iranpolitik ein Meinungsumschwung vollzieht. Ende Juni hat der Bundestag die erste Menschenrechts-Resolution gegenüber dem Iran seit zehn Jahren verabschiedet.
Der gemeinsame Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen fordert, die Menschenrechtslage ins Zentrum der deutschen Iran-Politik zu stellen - und diese Politik regelmäßig kritisch zu überprüfen. Iran müsse weiterhin aufgefordert werden, Menschenrechtsverträge einzuhalten. Und die Bundesregierung solle darauf hinwirken, dass der Iran auch den UN-Konventionen für Frauenrechte und gegen Folter beitritt.
Krisen als Chance für Kooperation?
Im eigenen Interesse müssten auch die Wirtschafts- und Umweltprobleme des Landes stärker in den Fokus der deutsch-iranischen Beziehungen rücken, mahnen Experten. Das Land leidet unter einer hohen Arbeitslosigkeit, unter extremem Wassermangel und medizinischem Notstand. "Wenn immer mehr Menschen das Land verlassen, weil es unbewohnbar wird, dann berührt das auch unsere Interessen", warnt Adebahr.
Der DGAP-Experte sieht hier vor allem Chancen für deutsch-iranische Kooperation. "Deutschland könnte zum Beispiel in der Wasserfrage viel im Bereich Umwelthilfe und Wirtschaftshilfe tun. Wir können durch wissenschaftliche Verständigung dort viel Positives erreichen.”
Irans Regionalpolitik thematisieren
Im Blick behalten müsse man aber auch die Rolle des Iran in der gesamten Region, mahnt Grünen Außenpolitiker Nouripour. "Auch die Menschenrechtsverletzungen des Systems außerhalb des Irans, beispielsweise in Syrien, müssen auf den Tisch.”
Der Iran ist im syrischen Bürgerkrieg aktiv, unterstützt schiitische Milizen im Libanon und im Irak sowie die Hamas im Gaza-Streifen und ist mit Rebellen im Jemen verbündet. Außerdem verfügt das Land über eins der größten ballistischen Raketenprogramme in der Region. Damit können sogar Ziele in Israel getroffen werden.
"Wenn man sieht, wie die iranische Regierung den islamischen Dschihad im Gaza-Streifen und die Hisbollah im Südlibanon unterstützt, von wo aus immer wieder Angriffe gestartet werden, zuletzt sogar mit Tausenden von Raketen, dann ist vollkommen klar, dass die Regionalpolitik ganz oben auf die Agenda gehört,” sagt der FDP-Bundestagsabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff der DW.
Auch Bundesaußenminister Heiko Maas hat sich bereits dafür ausgesprochen, das Raketenprogramm mit in die Verhandlungen über das Atomabkommen einzubeziehen. Ebrahim Raisi hat dies jedoch bereits kategorisch ausgeschlossen.
Breakout-Time schrumpft
Der erste Berührungspunkt zwischen Deutschland und der neuen iranischen Regierung unter dem Ultrakonservativen Raisi wird trotzdem der Verhandlungstisch zur Zukunft des Atomdeals sein. Dass die Gespräche unter ihm nicht leichter werden hat Raisi hat bereits klar gemacht: "Ich werde nicht zulassen, dass man nur um des Verhandelns Willen verhandelt”, sagte der Kleriker im Juni.
Nach Informationen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) strebt der Iran mittlerweile eine Urananreicherung von 20 Prozent an. Damit entfernt sich das Land immer weiter von den Vereinbarungen aus dem JCPoA. Und es schrumpft die Zeit, die das Land noch von Atomwaffen entfernt ist: 2015 war der Iran noch geschätzt ein Jahr von der Bombe getrennt, nun sind es nur noch wenige Monate.
Das Abkommen bleibt für Deutschland trotzdem wertvoll, betont FDP-Politiker Lambsdorff. "Auch wenn der Iran gegen das Abkommen verstoßen hat, und die Urananreicherung auf 20 Prozent hochfahren will, lohnt es sich zu versuchen, ihn davon abzuhalten, den Weg bis zum Ende zu gehen.”
Politologe Fathollah-Nejad ist davon überzeugt, dass Teheran trotz aller scharfen Töne an den Verhandlungen festhalten will. "Es wird eher eine Kontinuität geben zwischen beiden Präsidenten. Die Regierung hat im Iran bei der Außenpolitik wenig zu melden. Der Oberste Führer ist zusammen mit den Revolutionsgarden derjenige, der die Richtung vorgibt.”