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PolitikAsien

Iran geht in den Corona-Lockdown

18. November 2020

Iran gilt als eines der am stärksten von Corona betroffenen Länder. Nach monatelangem Widerstand folgt die iranische Regierung jetzt dem Rat der Experten: Ab Samstag gelten in 150 Städten Corona-Einschränkungen.     

Iran | Coronavirus | Straßenszenen in Teheran
Bild: Fatemeh Bahrami/AA/picture-alliance

Nach offiziellen Angaben sterben im Iran seit zwei Wochen täglich über 450 Menschen an COVID-19, die meisten davon in den Großstädten. Seit Ausbruch der Pandemie vor zehn Monaten geht die Kurve der Corona-Neuinfektionen und Toten im Land steil nach oben. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen hat seit einer Woche 13.000 Fälle überschritten. Um die drastisch steigenden Corona-Fallzahlen zu stoppen, kündigte die iranische Regierung neue Corona-Regelungen und Einschränkungen an. In über 150 Städten des Landes wird ein zweiwöchiger Lockdown verhängt.     

Ab Samstag, 21.November, müssen alle Geschäfte außer Supermärkten schließen. Behörden bleiben geöffnet, werden aber nur mit einem Drittel der üblichen Mitarbeiter besetzt. Der Unterricht an den Schulen und Universitäten soll per Internet stattfinden. Die unter Lockdown stehenden Städte werden außerdem zwischen 21:00 Uhr und 04:00 Uhr morgens vom Umland abgeriegelt. Im Iran gibt es insgesamt rund 1300 Städte.

Ungefähr 60 Millionen Einwohner des Iran leben in Städten. Das Land hat 81 Millionen Einwohner. "In der Pandemie geht es um Leben und Tod, wir dürfen die Statistiken nicht verheimlichen", sagte am 17. November überraschend Innenminister Abdulresa Rahmani Fasli, der gleichzeitig den Corona-Krisenstab leitet. Fasli stand bis jetzt auf der Seite von Präsident Hassan Rohani, der einen Lockdown ablehnt. 

Motive für Widerstand gegen Lockdown

Der Präsident hatte in den letzten Monaten mehrmals betont, dass der Iran sich angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise infolge der massiven US-Sanktionen einen umfassenden Lockdown nicht leisten könne. Aber wahrscheinlich ist die Wirtschaft nicht der einzige Grund. Im Juli, als der erhoffte Sommer-Effekt zur Dämpfung der Pandemie nicht eintrat und die Corona-Fallzahlen weiterhin drastisch stiegen, nahm der Präsident an der Sitzung des Krisenstabs teil und sagte: "Ein Lockdown ist schnell verhängt. Aber danach müssen wir damit rechnen, dass die armen und hungrigen Menschen auf die Straßen kommen und protestieren."

Das Land hatte im November 2019 bereits massive Proteste erlebt, nachdem die Regierung aus finanzieller Not die Benzinpreis-Subventionen gekürzt hatte. Die Proteste eskalierten. Nach Berichten von AI wurden mindestens 304 Menschen getötet und Tausende verhaftet. Das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte hatte auch damit zu tun, dass die Regierung fürchtete, die Kontrolle zu verlieren.

Regierung fürchtet neue Unruhen

Dieser Gefahr will sich die Regierung nicht erneut aussetzen. Deswegen verhinderte sie bisher den Lockdown. Im Juni hatte Rohani Experten und Medien kritisiert: Diese würden mit ihren Warnungen vor einer zweiten Welle, vor steigenden Zahlen von Corona-Neuinfektionen und Toten die Bevölkerung "psychisch belasten".   

Im August erklärte der Epidemiologe Aliresa Mahboubfar in einem Interview trotzdem, dass die tatsächliche Anzahl der COVID-19-Erkrankten und Todesfälle um das Zwanzigfache höher liege als offiziell angegeben. Mahboubfar gehörte wie Fasli dem Corona-Krisenstab der iranischen Regierung an. "Die Zahlen werden nach unten korrigiert, vor allem weil man die Bürger beruhigen will. Aber so werden wir aus der Pandemie nicht herauskommen", prophezeite damals der Experte. Kurz darauf wurde er aus dem Krisenstab ausgeschlossen.  

Die Professorin für Infektionskrankheiten Minoo Mohraz warnt vor den enormen Kosten für das GesundheitssystemBild: mazanan.com

Andere Experten wie Minoo Mohraz, eine renommierte Professorin für Infektionskrankheiten an der Medizinischen Universität Teheran, lassen sich nicht einschüchtern. Sie warnte die Regierung wiederholt vor den enormen Kosten für das Gesundheitssystem. Mohraz hatte zuletzt vorgeschlagen, das Geld, das die Regierung in den kommenden Monaten für das Gesundheitssystem ausgeben muss, an die Armen zu verteilen, um die Folgen des Lockdowns für sie abzumildern. Damit ließe sich zugleich der drohende Kollaps des Gesundheitssystems verhindern.

Rohani lenkt ein

Als der Präsident nach der letzten Kabinettssitzung am 15.November die neuen Corona-Regelungen vorstellte, betonte er: "Wir sind gezwungen zu handeln!" Zugleich kündigte Rohani finanzielle Unterstützung für Menschen mit geringem Einkommen an. Nach welchen Kriterien diese Menschen ausfindig gemacht werden und was genau sie bekommen sollen, ist allerdings nicht geklärt.

Iranische Medien veröffentlichen dieser Tage vermehrt Reportagen über Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben und sich einen Lockdown überhaupt nicht vorstellen können - beispielsweise die zahlreichen Straßenverkäufer in der Hauptstadt Teheran.

Viele von ihnen leben außerhalb der Stadt und pendeln täglich mit den wenigen Bussen und Bahnen des öffentlichen Nahverkehrs. Sie müssen eine Schutzmaske tragen, stehen aber dicht beieinander. Die meisten Ansteckungen fänden allerdings bei privaten Feiern und Familienbesuchen statt, sagt Alireza Raisi, der Sprecher des Corona-Krisenstabs.

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