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PolitikAsien

Irans unsichere Grenze zu Afghanistan

4. Mai 2022

Grenzzwischenfälle und Terror gegen die schiitische Minderheit in Afghanistan belasten die Beziehungen zwischen der Taliban-Regierung in Kabul und Teheran.

Grenzregion zwischen Iran und Afghanistan bei Sarandsch
Grenzregion zwischen Iran und Afghanistan bei SarandschBild: Wakil Kohsar/AFP/Getty Images

Die iranische Armee hat weitere Panzer und Hubschrauber an der Grenze zu Afghanistan stationiert, wie im Internet gepostete Videos zeigen. Diesmal an dem am häufigsten genutzten Grenzübergang Islam Qala-Dougharoun, der die afghanische Stadt Herat mit der zweitgrößten iranischen Stadt Maschhad im Nordwesten verbindet. Der Grenzübergang war vor einer Woche vorübergehend geschlossen worden. Zuvor hatten Taliban-Kämpfer fünf iranische Grenzsoldaten wegen illegalen Grenzübertrittes festgenommen. Laut dem Kommandeur der iranischen Grenzschutztruppe in der Region wollten sie die Taliban darauf hinweisen, dass der Bau einer Straße entlang der afghanischen Seite der Grenze mit dem Iran nicht abgesprochen sei. "Wir hoffen, dass die Zurückhaltung unserer Grenzsoldaten nicht missverstanden wird", erklärte ein Sprecher des iranischen Außenministeriums einen Tag später. 

Jener Vorfall am 24. April war nicht die erste Auseinandersetzung an der Grenze zu Afghanistan. Seit Machtübernahme der Taliban ist die Lage angespannt. Der Iran und Afghanistan teilen eine rund 950 Kilometer lange gemeinsame Grenze, die für den Iran schwer zu sichern ist. Die Grenzlinie wurde in den 1920er Jahren, nachdem Afghanistan als ein souveräner und unabhängiger Staat anerkannt wurde, definiert und ist rund alle fünf Kilometer markiert. Sie verläuft aber zum Teil über hohe Berge und ist für den Einsatz von Grenzsoldaten und ihre Ausrüstung nicht geeignet.

Gefährliches Missverständnis

Im Dezember 2021 hatten die Taliban von der afghanischen Provinz Nimros aus auf iranische Bauern geschossen. Der Iran hat dort eine 30 Kilometer lange Sicherheitsmauer eingerichtet, um den Schmuggel von Benzin nach Afghanistan und von Drogen in umgekehrter Richtung zu unterbinden. Zwischen der Mauer und der Grenze befindet sich ein Streifen von rund 600 Metern Breite, den die iranischen Bauern als Ackerland nutzen, deshalb dürfen sie die Grenzmauer passieren. Die Taliban hatten angenommen, ihre Seite sei verletzt worden und das Feuer eröffnet, iranische Soldaten erwiderten es. Es entspann sich ein stundenlanges Gefecht, das erst nach dem Eintreffen von iranischen Sondereinheiten aufhörte. 

"Solche Auseinandersetzung sind sehr gefährlich", sagt Omar Samad im Gespräch mit der DW. Der ehemalige afghanische Botschafter in Kanada und Frankreich war bis 2020 Berater von Abdullah Abdullah, dem ehemaligen "Chief Executive" in der Regierung des von den Taliban vertriebenen Präsidenten Ashraf Ghani. "Weder die Islamische Republik Iran noch das Islamischen Emirat Afghanistan wollen einen Krieg. Sie haben in den letzten acht Monaten nach der Machtübernahme der Taliban eindeutig gezeigt, dass sie eine Eskalation des Konflikts vermeiden wollen. Sie haben gemeinsame Sicherheitsinteressen, zum Beispiel sind beide Seiten besorgt über die Aktivitäten der Terrororganisation 'Islamischer Staat' in der Region. Bei Themen wie Drogenschmuggel oder Umgang mit illegaler Einwanderung müssen sie zusammenarbeiten." Für diese Zusammenarbeit sei aber die nationale und internationale Anerkennung der Taliban-Regierung notwendig, betont der Ex-Diplomat.

Seite der Machtübernahme der Taliban fliehen täglich bis zur 6000 Menschen in den Iran Bild: Wakil Kohsar/AFP/Getty Images

Iran und Afghanistans Schiiten

Der Iran dringt immer noch auf eine "inklusive" Regierung in Kabul mit der Beteiligung ethnischer Minderheiten. Irans Präsident Ibrahim Raisi wiederholte diese Forderung vergangene Woche bei einem Treffen mit dem Vertreter der islamischen Länder zum Ende des Fastenmonats Ramadan in Teheran. Raisi sagte: "Wir sehen vom Ausland gesteuerte gefährliche Bestrebungen in Afghanistan, um ethnische Konflikte zu schüren und erneut in diesem muslimischen Land einen Bürgerkrieg zu entfachten." Der geistliche Führer Ayatollah Chamenei behauptet, dass die Terrororganisation "Islamischer Staat" eine Erfindung der USA wäre.

Nach dem jüngsten Bombenanschlag des afghanischen IS-Ablegers (IS-K) hatte Raisi die Taliban-Regierung aufgefordert, die schiitischen Einwohner Afghanistans besser zu schützen. Bei der Explosion in einer Moschee in Masar-i-Scharif wurden mindestens 20 Menschen getötet. Die verschlechterte Sicherheitslage der Schiitischen in Afghanistan und Irans begrenze Einfluss auf die Taliban wird in iranischen Medien kritisiert. Die staatliche Agentur IRNA warf Taliban-Führung in einem langen Artikel vom 25. April vor, Terroranschläge gegen die Schiiten nicht zu verurteilen geschweige denn zu verhindern. 

Terroranschläge gegen Schiiten haben zugenommenBild: Wakil Kohsar/AFP

Konflikte zwischen den Taliban und dem Iran könnten sich verschärfen, schrieb der Iran-Experte Ali Afshari im Oktober 2021 in einem Beitrag für die DW. "Die Taliban wollen nicht in den Schatten des schiitischen Iran geraten und suchen die Nähe zu Pakistan, Katar und der Türkei. Dem Iran werden sie Zusammenarbeit für die Sicherheit der Grenze anbieten und im Gegenzug bessere wirtschaftliche Zusammenarbeit verlangen." In eben diese Richtung äußerte sich der Taliban-Politiker Molavi Shabir Ahmad Ende April. "Unsere Politik gegenüber den Nachbarländern insbesondere der Islamischen Republik Iran besteht daran, jeden Krieg und Konflikt zu vermeiden und uns auf eine umfassende grenzüberschreitende Zusammenarbeit zuzubewegen." Shabir leitet eine Arbeitsgruppe, die das Verteidigungsministerium der Taliban-Regierung ins Leben gerufen hat, um Grenzkonflikte mit dem Iran zu lösen. Obwohl der Iran das Islamische Emirat Afghanistan noch nicht anerkannt hat, arbeitet Teheran mit Kabul in diesem Bereich zusammen.

 

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