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Politik

"Irini"-Einsatz vor Libyen auf Prüfstand

Barbara Wesel
24. November 2020

Der Streit mit der Türkei um die Kontrolle eines Schiffes vor der libyschen Küste stellt den "Irini"-Einsatz und die Rolle der EU in Frage. Experten fordern einen Ausbau der Mission.

Italien Rom | Operation IRINI | FGS Hamburg
Bild: picture-alliance/dpa

Zwischen der Türkei und der EU gibt es einmal mehr Streit. Die Regierung in Ankara hat offiziell die Aktion einer deutschen Fregatte kritisiert, die am Sonntag ein türkisches Schiff vor der libyschen Küste wegen des Verdachts auf Waffenschmuggel kontrolliert hat. Nach Ansicht der Türkei wurde die Aktion "ohne Befugnis und mit Gewaltanwendung durchgeführt". Mehrere türkische Tageszeitungen sprachen am Dienstag von "Piraterie". Das oppositionelle Blatt "Sözcü" stellte Merkel sogar als Piratin dar. 

Die deutsche Marine beruft sich dagegen auf ihre Befugnisse im Rahmen der Operation "Irini". Die Mission ist seit März im östlichen Mittelmeer unterwegs und soll das UN-Waffenembargo für Libyen umsetzen. Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer weist deshalb die Vorwürfe aus Ankara zurück: "Die Soldaten haben sich korrekt und absolut im Rahmen der europäischen Irini-Mission verhalten."

Unabhängig davon haben Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland erneut den UN-gestützten politischen Prozess in Libyen bekräftigt und "Maßnahmen" gegen Verstöße angedroht. Ende Oktober war ein Waffenstillstand zwischen der GNA - der provisorischen Regierung der Nationalen Einheit - und den Milizen von General Haftar geschlossen worden. Die GNA wird von der türkischen Regierung, Haftar unter anderem von Russland unterstützt. Die rivalisierenden Parteien verhandeln inzwischen über eine politische Lösung. Sie haben einen Wahltermin im Dezember 2021 festgelegt, sich aber noch nicht auf eine Übergangsregierung geeinigt. 

Irini-Mission: Genaue Beobachtung "nützlich"

Trotz des jüngsten Streits mit der Türkei über die Zuständigkeit der Irini-Mission hält Tarek Megerisi vom European Council on Foreign Relations (ECFR) sie nicht für überflüssig: "Genau zu beobachten, was vorgeht und die Ladung auf gewissen Schiffen zu kontrollieren, ist nützlich, weil es zeigt, wer auf welche Weise gegen das Waffenembargo verstößt." So könnten Unternehmen und halbstaatliche Organe dann sanktioniert werden.

Kramp-Karrenbauer verteidigt die Kontrolle eines türkischen FrachtschiffsBild: picture-alliance/dpa/Bundeswehr/Tobias Koch

Dennoch sieht Megerisi auch die Probleme der Mission. Denn man brauche den politischen Willen und eine Strategie, um der Aktion einen Abschreckungseffekt zu verleihen. Außerdem sei Irini ausbaufähig: Man könnte die Mission künftig mit der Kontrolle des Waffenstillstands oder der Demilitarisierung in Libyen beauftragen.

Werden weniger Waffen nach Libyen geliefert?

Der Waffen-Zustrom hatte seinen Höhepunkt nach der Berlin-Konferenz im Januar und habe sich inzwischen verringert, erklärt der Politikwissenschaftler. Dennoch gebe es immer noch einen stetigen Zufluss aus den verschiedensten Quellen. "Wenn Irini einen Abschreckungseffekt hat, dann ist das greifbarste Ergebnis, dass die Türkei ihre Waffen jetzt ins Land einfliegt", spottet Megerisi.  

Aber auch das bleibe nicht unbeobachtet: "Libyer posten alles auf Facebook", und das gelte besonders für die Amateurbeobachter von Flugbewegungs-Apps, die den Transponder-Signalen der großen Cargo-Maschinen mit Kurs auf Libyen folgten. Inzwischen würden die Maschinen ihre Transponder ausschalten, wenn sie sich libyschem Gebiet näherten. 

Mehr Engagement von Europa

Megerisi ist pessimistisch, was die Aussichten für eine politische Lösung und einen friedlichen Weg zu landesweiten Neuwahlen angeht. "Es ist ein diplomatischer Weg und die Europäer ziehen den Anschein von Fortschritt echtem Fortschritt vor. Die Verkündung eines Wahldatums am libyschen Unabhängigkeitstag soll jetzt der Sache mehr Schwung und Optimismus verleihen."

Tatsächlich aber seien die Entwicklungen im Land beunruhigend: Hinter den Kulissen manövrieren alle Seiten und warten auf ihre Gelegenheit. Teil des Waffenstillstands war die Zusage, dass alle fremden Kämpfer innerhalb von drei Monaten das Land verlassen müssten. Einen Monat später aber finde man mehr Söldner an der Front denn je. Der Beobachter fürchtet, dass das Land trotz der Bemühungen auf eine Teilung und auf neue Kriegshandlungen zutreibt.

Einigung auf Waffenstillstand in Libyen: Gespräch mit Guido Steinberg (SWP)

04:24

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"Das Problem ist, dass die EU und die USA den ganzen Prozess an die Vereinten Nationen outgesourct haben", sagt Tarek Megerisi. Auf dem Papier sehe die "Roadmap" gut aus, aber weil kein Land wirklich dahinterstehe, werde sie nicht ernst genommen. Die Europäer müssten viel härtere Diplomatie betreiben und Russland wie die Türkei im UN-Sicherheitsrat angreifen. Auch mit der neuen Biden-Regierung in Washington werde sich das Bild nicht grundsätzlich verändern: "Seit Obama heißt es: Libyen ist Europas Problem. Wir helfen mit, aber wir ziehen uns den Schuh nicht an."

Milizenchef Haftar und die Türkei als Gegenspieler

Auch Dario Christiani vom Instituto Affari Internazionali (IAI) in Rom ist wenig optimistisch. "Haftar ist am Boden, aber nicht endgültig geschlagen", sagt er über die anhaltende Bedrohung für Friedensgespräche durch den Milizenführer im Osten des Landes. Der Waffenstillstand könnte für ihn eine Chance sein, seine Truppen wieder zu formieren und seinen Einfluss wieder durch neue Kampfhandlungen geltend zu machen.

Die Türkei dagegen habe Interesse an einer Stabilisierung und sei gegen eine drohende Teilung. Andererseits habe Ankara deutlich gemacht, dass man trotz der UN-Auflagen nicht daran denke, türkische Milizsoldaten aus dem Konflikt abzuziehen. "Die türkische Regierung könnte einen Grund sehen, den Friedensprozess zu stören und die militärische Lage einzufrieren, um sich den politischen Hebel in der Region zu erhalten", fürchtet der italienische Nahostexperte.

Ein Kämpfer der von den Vereinten Nationen unterstützten libyschen Regierung des Nationalen Abkommens (GNA)Bild: Hamza Turkia/XinHua/dpa/picture-alliance

Er sieht allerdings eine Chance im Regierungswechsel in Washington: Wenn Ankara die Handlungsfreiheit aus der Trump-Periode verliere, könnte Präsident Erdogan seine kämpferische Außenpolitik überdenken, die ihn im Mittelmeer immer mehr isolieren würde. 

Die EU müsse zweierlei tun: Eine politische und militärische Deeskalation im östlichen Mittelmeer betreiben und die anti-türkische Rhetorik aus Paris oder Athen mäßigen. Außerdem müsste die ganze EU sich geeint hinter den UN-geführten Friedensprozess stellen. Erst dann könne sie ihre zwei wichtigsten Ziele erreichen, so der Außenpolitikexperte: "Eine Rolle bei der Gestaltung der Zukunft Libyens und eine Reduzierung des politischen Störfeuers durch die Türkei im Mittelmeer." In Brüssel dagegen weist alles in die andere Richtung: Die Geduld mit der Türkei scheint bei vielen am Ende und die Forderungen nach Sanktionen werden immer lauter.

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