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Irland kommt bei Mindeststeuer doch an Bord

7. Oktober 2021

Lange hat Irland mit niedrigen Steuern große Konzerne angelockt - und stand deshalb der Idee einer weltweiten Steuerreform entsprechend skeptisch gegenüber. In letzter Minute lenkte Dublin ein.

Irland und die Mindeststeuer
Die "Silicon Docks" beherbergen viele der großen und mittelgroßen DigitalkonzerneBild: David Ehl

Facebooks Hauptquartier für Europa, Nahost und Afrika befindet sich am Grand Canal Square in Dublin - doch nicht mehr lange: Zwei Kilometer weiter südlich lässt der Tech-Riese einen neuen Campus für bis zu 7000 Mitarbeitende bauen. Der Konzern bekennt sich in Pressestatements zum Standort Irland und verspricht, die Belegschaft weiter zu vergrößern. Neben Facebook betreiben rund 800 weitere US-Konzerne wichtige Niederlassungen in Irland, investieren dort jedes Jahr Milliarden und beschäftigen 180.000 Menschen - ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für das kleine EU-Land.

Sparte von Dublin aus bislang Steuern: Der Social-Media-Gigant FacebookBild: David Ehl

Die irische Regierung hatte lange befürchtet, die großen US-Konzerne zu vergraulen, wenn sie die Unternehmenssteuern erhöht und somit die eigene Position im Wettbewerb mit anderen Standorten schwächt. Als US-Präsident Joe Biden im Frühjahr Unterstützung für die Pläne einer globalen Mindeststeuer signalisierte, wurde man hellhörig in Dublin. Inzwischen haben knapp 140 Staaten eine Reformagenda unter dem Dach der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ausgearbeitet. Irland war an dem Prozess beteiligt, wenn auch höchst zurückhaltend. In diesem Monat soll die finale Entscheidung fallen - und erst an diesem Donnerstag hat das irische Kabinett die Kehrtwende vollzogen: Irland ist nach dem Kabinettsbeschluss nun offiziell an Bord.

Warum war Irland lange gegen die Steuerreform?

Seit Jahrzehnten hat Irland seine Industriepolitik konsequent darauf ausgerichtet, als Standort für ausländische Direktinvestitionen attraktiv zu sein. Niedrige Sozialabgaben, schlanke Planungsverfahren und eine verhältnismäßig zahme Aufsicht gehörten dazu - im Zentrum stand jedoch der seit mehr als 20 Jahren unveränderte Unternehmenssteuersatz von 12,5 Prozent. Zum Vergleich: Im OECD-Schnitt beträgt die Steuer rund 23 Prozent, in Deutschland knapp 30 Prozent.

Selbst als irische Banken und anschließend auch die Staatskasse durch die weltweite Finanzkrise ins Straucheln gerieten und die Troika (aus IWF, EZB und EU-Kommission) weitreichende Reformen anordnete, verwehrte sich Dublin erfolgreich gegen eine Anhebung des Steuersatzes.

Der Bauboom in den Dubliner Docklands ist auch im Corona-Jahr 2021 ungebrochenBild: David Ehl

Ausländische Direktinvestitionen sorgten anschließend für hohe Wachstumsraten; Irland profitierte wie wohl kein anderes europäisches Land vom gigantischen Aufschwung der großen Digitalkonzerne. Doch das birgt Gefahren für die Zukunft, erläutert der Finanzprofessor Jim Stewart von der Dubliner Trinity Business School: "Ein großer Teil der Steuereinnahmen kommt von zehn Firmen. Wenn sie Irland infolge der Steuerreformen verlassen würden, hätte das ernste Konsequenzen für den Arbeitsmarkt und die Steuereinnahmen." Die Digital- sowie die für Irland ebenfalls wichtigen Pharmakonzerne sind über die Pandemie noch wichtiger für die irische Wirtschaft geworden, während viele heimische Unternehmen die Krise noch nicht überwunden haben.

Wie kam die Wende zustande?

Ein wesentlicher Bestandteil der Pläne ist, dass multinationale Konzerne mit mehr als 750 Millionen Euro Jahresumsatz 15 Prozent zahlen sollen. Hätte Irland weiter nur maximal 12,5 Prozent eingetrieben, so wäre die Differenz im Heimatland eines Konzerns fällig geworden; also in den meisten Fällen in den USA. Die irische Regierung überlegte sich einen Kompromiss, den sie nach eigenen Angaben sogar schon bei der EU-Kommission eingestielt hat: Für Unternehmen unterhalb der Umsatzschwelle von 750 Millionen soll weiter der Steuersatz von 12,5 Prozent gelten.

Zuletzt stellte ein kleines, aber wichtiges Wort die größte Hürde dar: Irland wollte das Bekenntnis zu einem Satz von "mindestens 15 Prozent" nicht mittragen, da es befürchtete, damit würde weiteren Anhebungen Tür und Tor geöffnet. Die irische Regierung verkauft es nun auch als ihren Erfolg, dass das Wort "mindestens" aus der aktualisierten Fassung gestrichen wurde. Ministerpräsident Micheál Martin deutete bereits am Mittwoch auf dem EU-Gipfel in Slowenien Zustimmung an: "Diese Sprachregelung wurde getilgt. Das verbessert aus unserer Sicht die Situation erheblich."

Wie viel diplomatische Überzeugungskunst im irischen Umschwenken steckt, ist schwer zu ermessen: Zuletzt waren etwa EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Dublin zu Gast. Ersterer reiste in den vergangenen Wochen in alle EU-Staaten, die noch nicht an Bord waren, und letzterer war bereits mit einer eigenen Digitalsteuer vorgeprescht.

EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni (l.) mit Finanzminister Paschal Donohoe, derzeit auch Chef der EurogruppeBild: James Ward/picture alliance

Und auch die US-Finanzministerin Janet Yellen ließ nach einem Treffen mit ihrem irischen Kollegen Paschal Donohoe verkünden, diese einmalige Gelegenheit der OECD-Reformen müsse genutzt werden, um das internationale Steuersystem zu stabilisieren und den Unterbietungswettbewerb zu beenden. Nach allen Treffen ließ die irische Regierung wissen, sie sei nicht unter Druck gesetzt worden. Infolge des Brexit ist Irland jedoch mehr denn je auf gute Beziehungen in die EU angewiesen - und diese wiederum, dass Irland die Steuerpläne letztlich mitträgt.

Welche Auswirkungen kommen jetzt auf Irland zu?

Finanzminister Donohoe erklärte vor einigen Tagen, für Irland werde es so oder so weitreichende Konsequenzen geben - egal, ob Irland bei der globalen Steuerreform mitmacht oder nicht. Sein Haus hatte im August bereits eine vorläufige Schätzung abgegeben, wonach die Vorhaben Irland um jährlich zwei Milliarden Euro Steuereinnahmen bringen könnten.

Jim Stewart von der Trinity Business School glaubt, dass Irland mit einer Zustimmung langfristig besser fährtBild: David Ehl

Diese Zahl sei jedoch nie wirklich erklärt worden, sagt Finanzprofessor Stewart. "Ich bin etwas misstrauisch, woher Donohoe diese Zahl hat. Wie kann man vorhersagen, wie die multinationalen Konzerne reagieren werden?", fragt Stewart.

Allerdings gibt der Finanzprofessor zu bedenken, dass Irland als Standort teurer wird: "Ich persönlich glaube, dass Google und Facebook nach und nach ihre Jobs dorthin verlagern, wo sie das Geld verdienen. Große Teile der Einnahmen kommen aus Deutschland oder Frankreich. Sie werden auch nicht über Nacht verschwinden, aber langsam Jobs verlagern." Langfristig müsse Irland seine Wirtschaftspolitik grundlegend überdenken und mehr auf Wertschöpfung im eigenen Land setzen.

Auch weil der Tech-Boom die Mieten explodieren ließ, leidet Irland unter einer Wohnraumkrise: In Dublin sind 4000 Menschen obdachlosBild: David Ehl

Den Menschen in Irland scheint der bevorstehende Wandel mehrheitlich nicht zu behagen: Gerade erst veröffentlichte die Irish Times eine von ihr beauftragte Umfrage, wonach nur jeder Vierte die Anhebung des Unternehmenssteuersatzes auf 15 Prozent mitträgt; 59 Prozent sprachen sich für eine Beibehaltung der 12,5 Prozent aus.

Die irische Regierung wird im Nachgang ihrer Entscheidung wohl noch einige Überzeugungsarbeit leisten müssen.

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