Kindersoldaten im "Islamischen Staat"
5. Februar 2015Sie werden missbraucht, verkauft oder gezwungen, Menschen zu töten. Der jüngste UN-Bericht zur Lage von Kindern im Herrschaftsgebiet des "Islamischen Staats" im Irak dokumentiert, dass die Terrororganisation "Islamischer Staat" auch vor brutalster Gewalt gegen Kinder nicht zurückschreckt. Kinder, die in seine Hände gelangen, werden als Soldaten wie auch als Henker missbraucht. So werden sie etwa dazu genötigt, andere Kinder zu kreuzigen oder lebendig zu begraben.
Das Dokument über das Wirken des IS im Irak bestätigt jene Befunde, die ein andere UN-Papier bereits im November erhoben hatte, damals zum Herrschaftsbereich des IS in Syrien. Auch dort wurden ein in seiner Brutalität schwer fassbarer Umgang mit Kinder dokumentiert.
Foltervideos für Kinder
Dieses Papier berichtet etwa von der Tortur, der rund 150 kurdische Schuljungen vom Mai 2014 an ausgesezt waren. Damals gerieten sie den Häschern des IS in die Hände. Eingepfercht in einer Schule nahe der syrischen Stadt Aleppo, musste die Gruppe eine fünf Monate dauernde Indoktrinierung durch den IS über sich ergehen lassen.
Der Unterricht bestand aus Videos mit Enthauptungen und religiöser Indoktrination, heißt es in dem UN-Report "Rule of Terror: Living under Isis in Syria". Der Bericht der internationalen Untersuchungskommission beruft sich auf Augenzeugenberichte aus der Konfliktregion und geht auch auf die Lage von Kindern ein. Danach soll auch ein gerade 16-jähriger Kämpfer im August 2014 zwei Soldaten, die in die Hände des IS gefallen waren, die Kehle durchgeschnitten haben.
Attacken auf feindliche Stellungen, voll blutiger Szenen. Wieder und wieder mussten die Kinder sich diese Horrarszenarien anschauen. Zum anderen wurden sie laut UN-Report in das eingewiesen, was der IS zum rechten Glauben erklärt hatte. Wer nicht mitmachen wollte, wurde geschlagen. Im Oktober 2014 waren die Jungen dann wieder frei gelassen worden.
Nach Hause aber, so kalkulierten die IS-Soldaten, kämen die Kinder als veränderte, nämlich völlig verrohte Menschen. Liefe alles wie geplant, hätten einige der Jungen in der fünfmonatigen Schocktherapie die Ideologie des IS sogar dauerhaft verinnerlicht. Diese würde sie dann in die kurdische Gemeinschaft tragen. Auf diese Weise würde diese von innen ausgehöhlt.
Das Schicksal der kurdischen Jungen, das die Vereinten Nationen in ihrem Report veröffentlichten, ist nur ein Beispiel dafür, wie die Dschihadisten mit jungen Menschen umgehen. Die kurdischen Jungen entkamen dem grausamen Schicksal als Kindersoldaten für den IS zu dienen. Diese Rolle bleibt syrischen Kindern vorbehalten, im Alter von fünf Jahren aufwärts.
Kindheit im Krieg
Doch das Prinzip, nach dem sie ausgebildet werden, ist vergleichbar. Die jungen Männer werden systematisch an die Gewalt herangeführt - und zwar an größtmögliche Gewalt. Auch sie müssen sich Videos mit Enthauptungen und anderen Formen von Folter und Mord anschauen.
In Städten wie dem vom IS beherrschten Al-Raqqa wird der Unterricht durch direkte Anschauung ersetzt: Dort werden Bürger, die wegen Ehebruch oder Diebstahl angeklagt sind, auf öffentlichen Plätzen gefoltert oder getötet. Zu den Strafen gehören Steinigungen für Frauen und Kreuzigungen für Männer. Vergehen, die in den Augen des IS von minderer Tragweite sind, werden mit der Amputation einzelner Gliedmaßen oder Auspeitschungen bestraft.
Auch zu diesen Szenen werden systematisch Kinder herbei getrieben. Nach Auffassung des UN-Berichts lässt das nur einen Schluss zu: "Bei seinem Versuch, langfristige Loyalitäten herzustellen, setzt der IS vor allem auf Kinder. Sie gelten als besonders wichtig, um ideologisch verlässliche Anhänger und ihm ergebene Kämpfer zu gewinnen."
Die Taktik, die Kinder mit äußerster Brutalität zu konfrontieren, verfolgt laut UN-Bericht noch einen weiteren Zweck: Sie soll dazu beitragen, den Jungen ihre Skrupel zu nehmen, Gewalt selbst anzuwenden. Mit anderen Worten: Gewalt soll ein Teil des Lebensstils werden. Auf diese Weise fügen die IS-Kämpfer den Kindern psychische Schäden zu, die sie ihr Leben lang kaum mehr los werden - und die sie zu einer dauerhaften Gefahr für ihre Umgebung werden lassen.
Jugendliche als Henker
Um den Verrohungsprozess voranzutreiben, trainiere der IS die Kinder zudem nach kurzer Zeit an der Waffe. Die etwas Älteren werden gezwungen, selbst Hinrichtungen durchzuführen.Um sie gefügig zu machen, versucht der IS den Willen den Kinder systematisch zu brechen. Sie werden eingeschüchtert und bedroht, teils auch geschlagen.
Zudem wird ihnen immer wieder eingeredet, sie hätten es mit einer Welt voller Feinde und "Ungläubiger" zu tun: dazu zählen Schiiten und Kurden ebenso wie Bürger des Westens. Sie alle würden die Sunniten bedrohen, trichtern die IS-Kämpfer den Kindern ein. Darum müssten sie lernen, sich zu verteidigen. Nur mit der Waffe in der Hand könnten sie sich und ihre Familien schützen.
Ohne Skrupel spannt der IS Kinder und Jugendliche für seine Zwecke ein. Junger Menschen, die sich der Organisation im Zuge des syrischen Aufstands aus zunächst rein idealistischen Gründen anschlossen, bedient er sich ebenso sehr wie den Söhnen vertriebener oder ermordeter Gegner. Dem UN-Papier zufolge werden gefangen genommene Frauen auch mit dem Ziel vergewaltigt, Söhne zur Welt zu bringen, die später in den Reihen des IS kämpfen werden.
Ein Teenager hatte sich dem IS aus freien Stücken angeschlossen. Zu Beginn der syrischen Revolution hielt er jene Gruppen, aus denen später der IS entstand, für Mitglieder der Anti-Assad-Koalition. Überzeugt, mit ihnen zusammen den ihm verhassten Diktator erfolgreich besiegen zu können, schloss er sich ihnen an. Doch die Brutalität, die er erlebte, schreckte ihn bald wieder ab. Es dauerte Monate, bis er sich aus den Händen des IS befreien konnte. Aus dieser Zeit, berichtete er in einem Interview, habe er nur eine Lehre mitgenommen: "Schließt euch nicht dem IS an!".