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IS-Rückkehrerin: Neues Urteil nach Tod des Jesiden-Mädchens

Veröffentlicht 28. August 2023Zuletzt aktualisiert 29. August 2023

14 Jahre Haft lautet das verschärfte Urteil gegen Jennifer W. Der Prozess gegen die IS-Rückkehrerin schrieb Rechtsgeschichte und zeigte die Grausamkeit des "Islamischen Staates" gegen die Jesiden.

Jennifer W., die sich der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) im Irak angeschlossen haben soll, hält sich im Gerichtssaal vom Oberlandesgericht München einen Aktenordner vors Gesicht, neben ihr Verteidiger Tarig Elobied
Ins Terrorkalifat und zurück - mit dem Tod eines Kindes auf dem Gewissen: Jennifer W. (l) mit ihrem AnwaltBild: Matthias Balk/dpa/picture alliance

Wie schwer wiegt ein Leben? Und wie schwer wiegt die individuelle Schuld, beim Tod eines fünfjährigen Mädchens zugeschaut zu haben? Beim Tod des jesidischen Mädchens Rania, das zusammen mit seiner Mutter von Terrormilizen des sogenannten "Islamischen Staates" aus seiner Heimat verschleppt und dann als Sklavin verkauft wurde. Bis sie im Haushalt eines Dschihadisten-Ehepaares landeten: Bei der ins Terrorkalifat ausgewanderten deutschen Islamistin Jennifer W. und dem Iraker Taha A., im irakischen Falludscha. Wo Rania von Taha A. im August 2015 zur Strafe in sengender Hitze angekettet wurde und das Mädchen qualvoll verdurstete. Die deutsche IS-Anhängerin tat nichts, um das Kind zu retten.

Zum zweiten Mal befand jetzt das Oberlandesgericht München darüber, welche Strafe für die Mitschuld der mittlerweile 32-jährigen Jennifer W. an Ranias Tod angemessen ist. Und kam mit einer Haftstrafe von 14 Jahren zu einem deutlich härteren Urteil als im Oktober 2021: Damals hatte das Münchner Gericht die IS-Rückkehrerin noch zu zehn Jahren Haft verurteilt. Wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung mit Todesfolge in einem minderschweren Fall.

Zehn Jahre waren der Bundesanwaltschaft nicht genug

Der Bundesanwaltschaft hatten zehn Jahre Freiheitsstrafe und die Einstufung als minderschwerer Fall nicht ausgereicht. Sie ging vor dem Bundesgerichtshof in Revision. Und hatte Erfolg: Der Bundesgerichtshof erkannte Rechtsfehler in dem Urteil. Deshalb wurde seit Juli erneut über das Strafmaß verhandelt.

Späte Gerechtigkeit für Jesiden

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In seinem neuen Urteil lasteten die Richter der Ex-Dschihadistin aus dem westfälischen Lohne Versklavung mit Todesfolge an und warfen ihr vor, aus Menschenverachtung gehandelt zu haben. Das Oberlandesgericht bewertete die Tat damit nicht mehr als minderschweren Fall.

"Es kann keinen minderschweren Fall von Versklavung geben kann", betont die deutsch-jesidische Journalistin Düzen Tekkal. Gegenüber der DW ist der Gründerin der Hilfsorganisation HAWAR.help wichtig, das Bild der Frauen beim "IS" zurechtzurücken: "Das waren keine bloßen Heimchen am Herd, die den bösen Männern den Haushalt gemacht haben. Sie haben mitgemordet, mitversklavt. Sie haben die ganze Ideologie des Dschihadismus im Herzen getragen", sagt Tekkal.

Die Journalistin Düzen Tekkal ist selbst JesidinBild: DW

Prozess schreibt Rechtsgeschichte

Die Mutter des getöteten Mädchens ist Nebenklägerin in dem Prozess. Vertreten wird sie durch die Berliner Anwältin Natalie von Wistinghausen. Die Mutter habe sich eine hohe Strafe für Jennifer W. gewünscht, vor allem aber, dass Jennifer W. überhaupt zur Verantwortung gezogen werde, sagt von Wistinghausen der DW. Zugleich, betont die Strafrechtlerin, sagten "sowohl diese Mandantin als auch unsere anderen jesidischen Mandantinnen immer wieder, dass es ihnen nicht nur darum geht, dass die Verbrechen bestraft werden, die ihnen persönlich gegenüber begangen wurden. Sondern dass die Welt weiß, was den Jesidinnen und Jesiden passiert ist und dass sich so etwas nicht wiederholt."

Schon der erste Prozess hatte da eine wichtige Rolle gespielt und Rechtsgeschichte geschrieben: Weil hier weltweit zum ersten Mal gegen ein Mitglied der Terrormiliz "IS" Anklage erhoben wurde wegen Straftaten gegen das Völkerrecht in Zusammenhang mit dem Völkermord an den Jesiden.

"Das war von größter Bedeutung dahingehend, dass der Straflosigkeit des Völkermords und der Menschenrechtsverbrechen an den Jesiden weltweit erstmals ein Ende gesetzt wurde", analysiert die Jesidenaktivistin Düzen Tekkal. Sie sieht die Vorarbeit der Bundesanwaltschaft und des Münchner Gerichts auch als wegweisend für die Entscheidung des Deutschen Bundestages im Januar 2023, die Verfolgung der Jesiden durch den "IS" als Völkermord einzustufen.

Verfolgen die Debatte über den Völkermord an ihrer Minderheit: Vertreter der Jesiden im BundestagBild: Carsten Koall/dpa/picture alliance

Vernichtungsfeldzug im Nordirak

Keine Gruppe hat so unter dem IS-Terror gelitten wie die von den Dschihadisten als "Teufelsanbeter" diffamierten Jesiden. Kämpfer der Terrormiliz überfielen Anfang August 2014 das Siedlungsgebiet der Jesiden im Nordirak, um die Minderheit auszulöschen. Es folgten: Massenmord an den Männern und die Verschleppung und Versklavung der Frauen und Kinder. Sowie die dramatische Flucht Zehntausender, von denen die meisten noch immer in Flüchtlingscamps leben, viele schwer traumatisiert.

Die Verschleppung von Rania und ihrer Mutter war Teil dieses Feldzuges. Der Iraker Taha A., der die beiden als Sklavinnen gekauft und später das Mädchen in der Sonne angekettet hatte, wurde im November 2021 vor dem Oberlandesgericht Frankfurt zu lebenslanger Haft verurteilt: Wegen Völkermords an den Jesiden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Da war das erste Urteil gegen seine Ex-Frau Jennifer W. schon einen Monat alt.

Deren Prozess hatte sich über zweieinhalb Jahre lang hingezogen. Tausende Kilometer vom Tatort entfernt gestaltete sich das Verfahren schwierig. Eine Fülle von Zeugen musste auftreten, um Jennifer W. die Tat nachzuweisen. Auch Ranias Mutter musste immer wieder vom wohl schwersten Tag in ihrem Leben berichten.

Schmerz, der nicht vergeht: Jesidische Frauen im Nordirak betrauern ihre ermordeten Männer, Väter und SöhneBild: Ismael Adnan/dpa/picture alliance

Jennifer W. zeigt Reue

Dieses Mal dauerte der Prozess gerade einmal zwei Monate. Und Jennifer W. zeigte sich von einer neuen Seite: Im ersten Prozess hatte die junge Frau mit den langen schwarzen Haaren meist geschwiegen und wenig Gemütsregungen erkennen lassen. Diesmal sprach die 32-Jährige, die selbst Mutter einer Tochter ist, von Reue; bei ihrem Schlusswort brach sie in Tränen aus. Sie gab auch zu, der Mutter des Mädchens eine Waffe an den Kopf gehalten zu haben: Sie hatte aufhören sollen, um ihr getötetes Kind zu weinen. Die Ex-Dschihadistin erklärte ferner, sie habe sich "falsch verhalten im vorigen Verfahren", sie habe Angst gehabt vor der Strafe.

Der Verteidiger von Jennifer W. hatte in seinem Plädoyer gefordert, das Gericht solle bei den ursprünglich verhängten zehn Jahren Freiheitsstrafe bleiben. 

Dieser Text ist eine aktualisierte Version des ursprünglich am 28. August 2023 veröffentlichten Berichts.