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Politik

IS terrorisiert Zivilisten in Mossul

3. November 2016

Die Terrororganisation "Islamischer Staat" geht in Mossul immer rücksichtsloser gegen Zivilisten vor. Sie werden als Schutzschilde missbraucht. Widerstand wird drakonisch geahndet. Selbst Kinder werden nicht verschont.

ISIS / Mossul / Kämpfer
Bild: Reuters

Die Truppen der internationalen Koalition gegen die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) rücken immer näher auf das Stadtzentrum Mossul zu. Die Truppen seien schneller, als der Zeitplan es vorsehe, so der US-Sonderbeauftragte für die IS-Bekämpfung, Brett McGurk. Damit wird die Lage nicht nur für die Dschihadisten immer brenzliger, sondern auch für die dort gefangen gehaltenen Bürger. Der IS habe zehntausende Zivilisten in seiner Gewalt und missbrauche sie als menschliche Schutzschilder, gaben die Vereinten Nationen kürzlich bekannt. 

"Die verkommene und feige Strategie des IS besteht darin, bestimmte Örtlichkeiten, Stadtviertel oder militärische Anlagen gegen Angriffe zu schützen, indem sie Tausende von Geiseln dorthin bringen", sagte Ravina Shamdasani, Sprecherin der UN-Menschenrechtskommission.

Terror gegen Zivilisten

Zunehmend überziehen die Dschihadisten die Bevölkerung mit Terror. Ende Oktober hätten IS-Milizen einen Familienvater enthauptet, der IS-Führer Abu Bakr Al-Baghdadi beschimpft habe, heißt es internationalen Presseberichten zufolge. Außerdem hätten sie inmitten einer Versammlung in der Stadt lebender Schiiten eine Bombe gezündet und über 40 Personen getötet. Ungefähr zeitgleich hätten sie 57 eigene Kämpfer getötet, die sie der Kollaboration verdächtigten.

"Solche Akte sind ein klares Zeichen, dass die Terrororganisation nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in den eigenen Reihen an Unterstützung verliert", erklärte Sabah al-Numani, Sprecher der irakischen Anti-Terror-Einheiten, in einem Pressegespräch.

Graffiti des IS in einer Kirche in Bartella nahe MossulBild: picture alliance/AP Photo/K.Mohammed

Flucht ist kaum möglich

Schon vor Monaten haben zahlreiche IS-Kämpfer Mossul verlassen und sich nach Syrien abgesetzt. Die in der irakischen Millionenstadt verbliebenen Dschihadisten scheinen entschlossen, sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen. Bei seinem Rückzug aus den umliegenden Dörfern habe der IS deren Bewohner mit in das Zentrum der Stadt verschleppt. Dort verstärkten sie nun den Ring menschlicher Schutzschilde zusätzlich, sagt ARD-Korrespondent Björn Blaschke.

Augenzeugen berichteten, dass sich zahlreiche Personen in Mossul in ihren Häusern verschanzt hätten, um dem IS auf diese Weise zu entkommen. "Jetzt hören wir aber, dass diese Leute aus den Häusern gezerrt und auf grausamste Weise umgebracht werden, damit andere gar nicht erst auf den Gedanken kommen, aus der Stadt zu fliehen", so Blaschke.

"Immer brutalere Hinrichtungsmethoden"

Augenzeugen zufolge sei es geradezu zu einem Hobby der Dschihadisten geworden, sich immer brutalere Methoden der Hinrichtung auszudenken, berichtet die ARD-Journalistin Anna Osius, die sich bis vor kurzem im Irak aufgehalten hat. Drakonische Strafen für Kleinstdelikte seien offenbar an der Tagesordnung. "Frauen schildern, dass sie das Haus nur mit Vollschleier und Handschuhen verlassen durften, Handys sind für alle Bewohner ebenso verboten wie Ballspielen für die Kinder."

In Sicherheit: Diese Irakerin konnte sich vor dem IS retten Bild: Reuters/A. Lashkari

Vor Gewalt schrecken die Dschihadisten nicht einmal gegenüber den Jüngsten und Schwächsten zurück, so Osius weiter. Aus Mossul geflohene Kinder berichteten, dass der IS Zivilisten die Hände abhacke. "Eine junge Mutter mit Baby hat mir weinend erzählt, dass sie hochschwanger vom IS gefoltert wurde - da scheint wirklich jede Menschlichkeit verloren gegangen zu sein."

Durch die Kämpfe um die Millionenstadt geraten die Zivilisten zusätzlich in Gefahr. "Wir dürfen nicht vergessen, dass die große Mehrheit der Menschen in Mossul Unschuldige sind, die unter der brutalen Herrschaft des IS furchtbar gelitten haben", erklärte Alex Mulitonovic, Irak-Verantwortlicher des Internationalen Roten Kreuzes. Es müssten Wege gefunden werden, dass diese Menschen die Stadt so schnell wie möglich verlassen könnten. "Ansonsten wird die Stadt für sie zu einer Falle."

Ebenfalls im Visier des IS: GlaubensstättenBild: justpaste.it/atrah

Häuserkampf ist absehbar

Es steht zudem zu befürchten, dass schiitische Milizen, die zur Anti-IS-Koalition gehören, Übergriffe auf Sunniten in und um Mossul verüben könnten. Laut UN-Berichten war es in der IS-Hochburg Falludscha zu entsprechenden Massakern gekommen. Die Anti-IS-Koalition nimmt nach eigenen Angaben jedoch größtmögliche Rücksicht auf Zivilisten. Zwar könne man aus der Luft grundsätzlich jede als IS-Kämpfer erkennbare Person ausschalten, so ARD-Korrespondent Björn Blaschke. Da sich die IS-Milizionäre aber immer zwischen Zivilisten bewegten oder diese als menschliche Schutzschilde missbrauchten, habe man darauf verzichtet, sie zu beschießen. "Das heißt aber auch, dass man sich irgendwann auf den Häuserkampf einlassen muss."

Gelänge es den Zivilisten, aus Mossul  zu fliehen, wäre ihr Martyrium zwar gelindert, aber noch nicht endgültig vorbei. Denn rund um Mossul ist man trotz aller Bemühungen nicht in der Lage, Flüchtlinge in großer Zahl unterzubringen und zu versorgen. In den kurdischen Gebieten des Iraks stünden zwar rund 60.000 Plätze bereit, sagt Björn Blaschke. Aber das sei allenfalls ein Anfang. Laut UN-Angaben könnten bis zu einer Million Menschen versuchen, aus der Stadt zu fliehen.

 

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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