IS reklamiert Anschlag in Wien für sich
4. November 2020Der "Islamische Staat" (IS) bekannte sich auf einer Nachrichtenplattform der Dschihadisten-Miliz zu dem Attentat in der österreichischen Hauptstadt Wien. Der IS verbreitete ein Foto des Angreifers, auf dem ein bärtiger Mann mit schwarzer Wollmütze zu sehen ist. In den Händen hält er Gewehr, Pistole und Machete.
Behörden überprüfen Bekennerschreiben
Es entspreche einem Foto, das kurz nach dem Angriff im Internet kursierte, sagte Rita Katz, Direktorin der auf Propaganda von Extremisten spezialisierten Site Intelligence Group. Der IS verbreitete auch ein Video des Mannes, in dem dieser dem IS und dessen Anführer Abu Ibrahim al-Kuraischi die Treue schwört. Die Echtheit des Bekennerschreibens werde geprüft, teilte das österreichische Innenministerium der Nachrichtenagentur APA mit.
Der Attentäter, nach Behördenangaben ein 20 Jahre alter IS-Sympathisant, wurde von der Polizei erschossen. Nach dem Blutbad am Montag wurden 14 Menschen aus seinem Umfeld vorläufig festgenommen und 18 Wohnungen durchsucht. Man befinde sich in einer "sensiblen Phase", in der sicherzustellen sei, dass es nicht zu Nachahmungstaten komme, sagte Österreichs Innenminister Karl Nehammer (ÖVP).
Attentäter war Polizei als IS-Sympathisant bekannt
Für die Behörden war der Attentäter kein Unbekannter. Der Mann mit österreichisch-nordmazedonischer Doppelstaatsbürgerschaft hatte nach Angaben Nehammers versucht, nach Syrien auszureisen, um sich dort dem IS anzuschließen. Er wurde daran gehindert und am 25. April 2019 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu 22 Monaten Haft verurteilt. Er wurde jedoch Anfang Dezember vorzeitig entlassen, nachdem er die Justizbehörden von seiner Deradikalisierung überzeugen hatte.
Er habe das entsprechende Programm "brutal, perfide ausgetrickst", sagte Nehammers. Bundeskanzler Sebastian Kurz erklärte im ORF: "Die Entscheidung, dass der Täter freigelassen wurde, war definitiv falsch." Wichtig sei nun die Suche nach Komplizen. "Der Terrorist ist nicht vom Himmel gefallen, es muss Menschen gegeben haben, die ihn verführt und radikalisiert haben." Von einem zweiten Attentäter gehen die Behörden indes inzwischen nicht mehr aus. In der Tatnacht war noch nach einem weiteren Täter gefahndet worden.
Deutsche Staatsbürgerin unter den Opfern
Der Anschlag ereignete sich am Montagabend in der Nähe der jüdischen Hauptsynagoge in der Wiener Innenstadt. Viele Menschen nutzten bei milden Temperaturen die Chance, noch einmal auszugehen, bevor um Mitternacht ein neuerlicher Corona-Lockdown in Kraft trat. Der Attentäter eröffnete nach Angaben Nehammers um 20 Uhr das Feuer. Neun Minuten später habe eine Spezialeinheit ihn ausgeschaltet - der Attentäter wurde durch Schüsse der Polizei getötet.
Der Attentäter war mit einem Sturmgewehr, einer Pistole und einer Machete bewaffnet und trug zudem eine Sprengstoffgürtel-Attrappe. Augenzeugen zufolge feuerte er wahllos in die Lokale. Getötet wurden nach Angaben von Kanzler Sebastian Kurz ein älterer Mann, eine ältere Frau, ein junger Passant und eine Kellnerin. Bei dem Anschlag wurde auch eine Deutsche getötet, wie Außenminister Heiko Maas bestätigte.
Dreitägigen Staatstrauer in Österreich
Österreich ehrt die Opfer des Terrorakts mit einer dreitägigen Staatstrauer, wie der Sonder-Ministerrat in Wien beschloss. Die Staatstrauer gilt bis einschließlich Donnerstag. Prominente Vertreter aus Politik und Gesellschaft kamen am Dienstag zudem im Bereich des Tatorts in der Wiener Innenstadt zu einer Kranzniederlegung zusammen, darunter auch Österreichs Bundespräsident Van der Bellen, Kanzler Kurz und der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Österreich (IKG), Oskar Deutsch.
Am Abend gedachten verschiedene Religionsgemeinschaften sowie die Staatsspitze bei einem ökumenischen Gottesdienst im Stephansdom der Opfer. Vertreter der Religionsgemeinschaften sprachen jeweils ein Gebet aus ihren Heiligen Schriften und zündeten Kerzen für die Toten der vergangenen Nacht.
Kurz fordert mehr Engagement der EU
Kurz warnte in einer Fernsehansprache vor einer Spaltung der Gesellschaft. "Es muss uns stets bewusst sein, dass dies keine Auseinandersetzung zwischen Christen und Muslimen oder zwischen Österreichern und Migranten ist." Es sei ein Kampf zwischen den vielen Menschen, die an den Frieden glaubten, und jenen wenigen, die sich den Krieg wünschten. Der Kanzler forderte außerdem mehr Engagement der EU gegen den politischen Islam, der die Freiheit und das europäische Lebensmodell gefährde.
ww/rb (dpa, afp)