Pünktlich zu ihrem runden Geburtstag legt die berühmteste Schriftstellerin Lateinamerikas ein neues Buch vor. Im Leben von Isabel Allendes Romanheldin Violeta spiegelt sich ein ganzes Jahrhundert wider.
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Sie hat 26 Bücher geschrieben, übersetzt wurden sie in 42 Sprachen und rund 75 Millionen hat sie verkauft. 60 Mal wurde sie in 15 Ländern für ihr Werk und ihre Verdienste ausgezeichnet und zwei internationale Filmproduktionen basieren auf ihren Romanen.
Das sind die harten Fakten, die Isabel Allende auf ihrer Homepage unter der Rubrik "Biografie" auflistet. Wohl einfach nur, damit das schon einmal abgehakt ist. Denn eigentlich findet sie es befremdlich, so auf ihr eigenes Leben zurückzublicken: "Es ist nur eine Liste von Daten, Ereignissen und Leistungen. In der Realität spielen sich die wichtigen Dinge meines Lebens in den verborgenen Kammern meines Herzens ab und haben keinen Platz in einer Biografie."
Nicht die Bücher seien ihre größten Erfolge, sondern die Liebe, die sie mit einigen Menschen verbinde und die Momente in denen sie versucht habe, anderen zu helfen. Etwa als sie sich während der Militärdiktatur unter dem chilenischen Machthaber Augusto Pinochet für politisch Verfolgte engagierte oder als Feministin, die bis heute in ihrer "Isabel Allende Foundation" für die Rechte der Frauen kämpft.
Insofern ist auch ihr jüngster Roman "Violeta" ein Plädoyer für diejenigen, die sich in der Macho-Welt behaupten müssen. Es ist die Biografie ihrer Mutter Panchita, mit der Isabel Allende bis zu deren Tod 2018 eng verbunden war. Und es ist auch wieder keine Biografie, sondern ein Wunschdenken der Tochter: Denn während die Romanheldin sich dank ihrer Geschäftstüchtigkeit finanzielle Unabhängigkeit und Freiheit erkämpft, war Allendes Mutter von ihren zwei Ehemännern abhängig. Auch die fiktive Violeta ist zwar einerseits stark und kämpferisch, verhält sich aber gerade in der Liebe nicht immer emanzipiert.
Der ein Jahrhundert umfassende Roman ist erstaunlich aktuell. Er beginnt im Geburtsjahr Violetas 1920, in dem weltweit die Spanische Grippe grassiert, und endet 2020 mit der Corona-Pandemie.
"Das Geisterhaus" - Allendes Erstlingswerk
Auch Allendes Erstlingswerk "Das Geisterhaus", das sie weltberühmt machte, hat biografische Züge. In dem Roman geht es um das Leben einer großbürgerlichen Familie, die unter dem gewalttätigen Patriarchen Esteban Trueba leidet. Als dann gegen Ende ein Militärputsch den sozialistischen Staatspräsidenten entmachtet, setzt Trueba große Hoffnungen in die neue Regierung. Er wird enttäuscht, denn die neuen Machthaber, die Terror und Verfolgung über das Land bringen, verschonen auch seine Familie nicht.
Als Isabel Allende die Familiensaga 1982 schrieb, war sie bereits im Exil in Venezuela. Das Militär unter Pinochet hatte ihren Großcousin, den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende, 1973 in Chile gestürzt. Kurze Zeit später beging er Selbstmord. Von da an fühlte sich die Autorin, Journalistin und Feministin in ihrer Heimat nicht mehr sicher.
Die Rechte der Frauen stärken
Isabel Allende wurde am 2. August 1942 in Lima als älteste Tochter eines chilenischen Diplomaten geboren. Weil sich ihre Eltern getrennt hatten, verbrachte sie den größten Teil ihrer Kindheit im Haus ihres Großvaters. Später lebte sie in Bolivien und im Libanon und kehrte dann nach Chile zurück. Dort arbeitete sie als Journalistin, heiratete und bekam zwei Kinder - Tochter Paula und Sohn Nicolás. Ihrer Tochter, die mit 29 Jahren an einer Stoffwechselkrankheit gestorben war, widmete sie 1994 ihren gleichnamigen, sehr persönlichen Roman, in dem sie ihren Tod thematisiert.
Schon früh hat sich Isabel Allende für die Rechte der Frauen eingesetzt. 1968 gründete sie die einzige feministische Zeitschrift Chiles, "Paula", in der sie auch ihren Großonkel Salvador Allende unterstützte. Außerdem schrieb sie schon damals diverse Theaterstücke und machte sich als Fernsehmoderatorin einen Namen.
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Die Arbeit im Exil
Nach ihrem Weggang ins venezolanische Exil begann sie, einen imaginären Brief an ihren verstorbenen Großvater zu schreiben. Aus dem langen Brief wurde ein Manuskript, aus dem Manuskript der Roman "Das Geisterhaus". Der Roman wurde 1993 unter anderem mit Meryl Streep und Winona Ryder verfilmt. Schon in ihrem Erstlingswerk fiel der ungewöhnliche Erzählstil von Isabel Allende auf, bei dem Fiktion und Realität miteinander verwoben sind, der sogenannte "magische Realismus". Die grausame Wirklichkeit verband sie mit einer Fantasiewelt voller Magie, die immer wieder von Hoffnung geprägt war.
Kritiker werfen ihr allerdings vor, sie habe den Literaturpreisträger Gabriel García Márquez kopiert, der den magischen Realismus, das Verschwimmen von Fiktion und Realität, geprägt habe. Ihre Geschichten über starke Frauen und große Lebenszyklen haben die Jury des chilenischen Nationalpreises für Literatur trotzdem überzeugt, sodass sie 2010 mit dem Preis geehrt wurde.
"Ich schaue zufrieden auf mein Leben"
Seit über 25 Jahren lebt Isabel Allende in den USA, Chile aber ist und bleibt, wie sie einmal in einem DW-Interview sagte, ihre Heimat: "Ich fühle mich noch immer als Chilenin. Meine Eltern sind Chilenen, meine Familie ist chilenisch und ich habe die ersten Jahre meines Lebens in Chile gelebt, wichtige Jahre, Jahre die prägen."
Mit 75 Jahren hat sie sich nach der Scheidung von ihrem zweiten Ehemann noch mal verliebt. Roger Cukras war ursprünglich ein Fan von ihr, der ihr E-Mails schickte. Heute ist sie mit ihm in dritter Ehe verheiratet. Und mit Sicherheit freut er sich schon auf ihren nächsten Roman, denn Isabel Allende will auf jeden Fall weiterschreiben.
Mit ihrem Alter hadert sie nicht, im Gegenteil, sie hält es für "ein kostbares Geschenk": "Als ich jung war, fühlte ich mich oft verzweifelt", schreibt die Autorin auf ihrer Homepage. "Da war so viel Leid in der Welt und so wenig, was ich hätte tun können, um es zu lindern. Aber jetzt schaue ich zurück auf mein Leben und bin zufrieden, denn es sind nur wenige Tage vergangen, an denen ich nicht versucht habe, etwas zu bewirken."
Dies ist die aktualisierte Fassung eines Geburtstagsporträts aus dem Jahr 2017.
Nach der Flucht: Putsch, Diktatur und der Weg zur Demokratie in Chile
Der 11. September 1973 verändert das Leben vieler Chilenen für immer: Ein Putsch gegen Präsident Allende bringt Augusto Pinochet an die Macht. 16 Jahre später wird der Diktator durch eine spektakuläre Kampagne gestürzt.
Bild: WDR
Chiles 11. September
Der 11. September 1973 verändert das Leben vieler Chilenen für immer: Der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, General Augusto Pinochet, putscht gegen den amtierenden sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Die Militärs bombardieren den Präsidentenpalast "La Moneda" in der Hauptstadt Santiago, verhaften Regierungstreue, Linke und Pinochet-Gegner.
Bild: OFF/AFP/Getty Images
Salvador Allende: Ein Präsident des Volkes
Erst drei Jahre zuvor war der Sozialist Salvador Allende ins Amt gewählt worden. Weil er Firmen verstaatlicht und Großgrundbesitzer enteignet, begegnet seine Regierung von Anfang an heftigem Widerstand. Auch den USA ist so viel Sozialismus in Südamerika ein Dorn im Auge. Mit Hilfe der CIA boykottiert sie Allendes Wirtschaftspolitik und macht in chilenischen Medien Stimmung gegen die Regierung.
Bild: picture-alliance/dpa
Tod des Präsidenten
Noch am Tag des Putsches begeht Salvador Allende im Präsidentenpalast Selbstmord (im Bild wird seine Leiche aus dem Gebäude getragen). "Von hier zum Friedhof, ich bin kein Mann des Exils", hatte er schon beim Amtsantritt gesagt. Währenddessen wird das "Estadio Nacional", wo sonst Fußball gespielt wird, zum Konzentrationslager: 40.000 Menschen werden eingesperrt, Tausende gefoltert und ermordet.
Bild: picture-alliance/AP
Ein Stadion als Konzentrationslager
Auch Walter Ramirez, Kameramann des Films "Nach der Flucht", wird verhaftet. Am 11. September 1973 läuft der Student mit einem Kommilitonen durch Santiago. Soldaten nehmen beide fest - weil sein langhaariger Freund argentinische Pesos dabei hat, die er für eine Reise zu Frau und Sohn nach Argentinien braucht. Als mutmaßliche "Landesverräter" werden beide tagelang im Nationalstadion festgehalten.
Bild: DW/S. Spröer
Schüsse auf die Umkleidekabine
Walter Ramirez und sein Freund werden in einer Umkleidekabine mit fast einhundert anderen Männern zusammengesperrt. Alle teilen sich zwei Toiletten, Soldaten schießen von außen auf die Fenster - aus Langeweile. Nach einigen Tagen werden Walter und sein Freund freigelassen. Warum, weiß er bis heute nicht. Vielleicht, weil sein Vater für eine US-Firma arbeitete? Das Thema ist in seiner Familie tabu.
Bild: DW/S. Spröer
Vom General zum Diktator: Augusto Pinochet
Der Kopf hinter dem Putsch ist General Augusto Pinochet, Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Von 1973 bis 1990 regiert er Chile diktatorisch: Linke Parteien und Gewerkschaften sind verboten, Presse- und Meinungsfreiheit abgeschafft. Von den USA, aber auch von Politikern in Deutschland, wird das Pinochet-Regime massiv unterstützt.
Bild: picture-alliance/dpa
Folter, Morde und Bücherverbrennung
Nun leben auch Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle in Chile gefährlich. Der Liedermacher Victor Jara wird verhaftet, gefoltert und in einem Basketball-Stadion in Santiago erschossen. Auf den Straßen werden Bücher unliebsamer Autoren verbrannt. Viele Gegner der Diktatur verlassen Chile in den nächsten Monaten und Jahren.
Bild: AFP/Getty Images
Antonio Skármeta: Aus Chile ins Berliner Exil
Auch der Schriftsteller und Uni-Dozent Antonio Skármeta verlässt Chile 1973. 16 Jahre lang lebt er im Exil in Berlin, schreibt dort unter anderem die erfolgreichen und teils mehrfach verfilmten Bücher "Nixpassiert" und "Mit brennender Geduld". Das Thema Exil wird eines seiner Lebensthemen. Im DW-Special "Nach der Flucht" wird Antonio Skármetas Geschichte erzählt.
Bild: WDR
Isabel Allende: Aus Chile über Venezuela in die USA
Eine andere prominente Exilantin ist Isabel Allende, Autorin des Welt-Bestsellers "Das Geisterhaus". Die Journalistin und Frauenrechtlerin geht 1975 ins Exil nach Venezuela. Präsident Salvador Allende war übrigens nicht ihr Onkel, wie es oft heißt, sondern der Cousin ihres Vaters. Im Roman "Paula" beschreibt Allende ihre Zeit im Exil. Heute lebt sie in den USA.
Bild: VICTOR ROJAS/AFP/Getty Images
Pinochet und die Militärs: Das Ende naht
Im August 1987 nimmt Diktator Augusto Pinochet die Militärparade zum 14. Jahrestag seiner Machtübernahme ab. Doch seine Tage sind gezählt: Für das nächste Jahr steht eine Volksabstimmung über seine Zukunft an. Die Gegner der Diktatur mobilisieren alle Kräfte. Mit einer spektakulären Aktion leiten sie für Chile die Wende ein...
Bild: picture-alliance/dpa
Eine Werbekampagne beendet die Diktatur
Im Oktober 1989 entscheiden die Chilenen darüber, ob Augusto Pinochet als alleiniger Kandidat bei den nächsten Wahlen antreten darf. Ja oder nein? Ein buntes Werbe-Video mobilisiert die Massen – eine Mehrheit traut sich und stimmt mit "No!". Das Ende der Diktatur ist eingeleitet.
Bild: picture-alliance/dpa/epa
Friedlicher Übergang zur Demokratie
Im März 1990 übergibt Pinochet das Präsidentenamt an den Christdemokraten Patricio Aylwin (rechts). Pinochet bleibt bis 1998 Chef des Heeres. Keines der zahlreichen internationalen Verfahren gegen ihn führt zu einer Verurteilung. Am 10. Dezember 2006 stirbt Augusto Pinochet mit 91 Jahren – ohne je für die Verbrechen der Diktatur zur Rechenschaft gezogen worden zu sein.
Bild: Biblioteca del Congreso Nacional de Chile
Erbe der Diktatur in einer gespaltenen Gesellschaft
Erst langsam wird die Diktatur in Chile aufgearbeitet, die Demokratie hat nicht alle Probleme gelöst. 2017 demonstrieren Menschen immer wieder gegen das in der Pinochet-Zeit privatisierte AFP-Rentensystem, das viele Chilenen ausschließt oder nur Mini-Renten bereitstellt. Das Erbe der Diktatur wirkt bis heute weiter. Aber immerhin: Jetzt dürfen die Menschen für ihre Meinung auf die Straße gehen.