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Ischinger: "Bestrafung Putins nicht wichtigstes Ziel"

Gero Schließ (Washington) 2. Mai 2014

Angela Merkel kommt in dramatischen Zeiten nach Washington. Doch nach der NSA-Affäre biete die Ukraine-Krise die Chance, die transatlantischen Beziehungen wieder zu stärken, meint Wolfgang Ischinger.

Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Botschafter Ischinger, hier in Washington spricht man vom dramatischen Scheitern der Russlandpolitik. Einige sehen schon einen neuen Kalten Krieg heraufziehen. Welche Belastungen und Herausforderungen bringt das für das transatlantische Verhältnis mit sich, das ja noch unter dem Vertrauensverlust durch die NSA-Affäre leidet und das auch bei den Sanktionen gegenüber Russland nicht hundertprozentig funktioniert?

Wolfgang Ischinger: Ich habe eher den Eindruck, dass die Ukraine-Krise mit einer jetzt nachfolgenden Krise unserer Russlandpolitik die transatlantischen Beziehungen stärken und nicht weiter schwächen wird. Wenn diese Krise uns jetzt nicht so massiv beschäftigen würde, würden wir uns weiterhin unser Scheitern in Syrien und das schwierige Thema Handy-Cyber-Snowden gegenseitig um die Ohren hauen. In einer gewissen Weise - ich meine das nicht ganz ernst - kann man jetzt sagen: Vielen Dank Präsident Putin, Sie haben uns Deutsche und Amerikaner daran erinnert, dass die Nato noch eine Rolle hat. Sie haben uns daran erinnert, dass es wichtig ist, dass Europa mit einer Stimme spricht und dass es strategisch wichtiges Ziel bleibt, die Energieversorgung Europas so zu diversifizieren, dass wir nicht nur von einer Quelle abhängig sind.

Hier in Amerika denkt man ja schon sehr intensiv nach über eine Neuformulierung der globalen Sicherheits- und Außenpolitik auch Richtung Russland. Plötzlich taucht der Begriff der Containment-Politik wieder auf. Was erwarten die USA hier von Deutschland?

Man kann folgendes sagen: Erstens hat sich die Europäische Union nicht von Herrn Putin auseinanderdividieren lassen. Das wird in Washington positiv registriert. Es gibt nicht nur eine europäische Stimme, sondern es gibt auch eine ganz gut funktionierende transatlantische Abstimmung. Zweitens: Sanktionen sind natürlich kein Ersatz für Politik. Wir werden sehen, ob die Sanktionen das Verhalten der russischen Führung beeinflussen. Daran sind Zweifel erlaubt. Das heißt wir brauchen eine Strategie. Das erste Ziel einer solchen Strategie sollte nicht die Bestrafung Putins sein. Manche amerikanische Kommentare kann man so lesen, als dass nichts wichtiger wäre als die Bestrafung und das In-die-Ecke-Stellen Putins. Das ist ganz falsch. Wir werden Präsident Putin und die russische Führung in vielen internationalen Themen weiterhin brauchen. Wir müssen also die Prioritäten richtig definieren.

Zivilen Sieg über Putin anstreben

Welche Prioritäten sind das?

Die erste Priorität ist: Die USA und die europäischen Partner müssen sich über eine Ukraine-Strategie verständigen. In dem Maße wie es uns gelingt, aus dem dysfunktionalen Staat der letzten Jahre einen funktionsfähigen Staat zu machen, haben wir nicht einen militärischen, aber einen zivilen, einen Soft-Power-Sieg über Wladimir Putin errungen.

Wie stark können die Deutschen da mitspielen? Man hat in Washington den Eindruck, es wird sehr viel von ihnen erwartet. Gleichzeitig werden sie kritisiert, unwillig zu sein, nicht wirklich bei den Sanktionen mitzuziehen. Und Angela Merkel, die man auf der einen Seite sehr stark sieht, wird vorgeworfen, gegenüber Putin eine Art Appeasementpolitik zu verfolgen.

Also das ist garantiert falsch. Gegen den Vorwurf muss man auch massiv arbeiten. Bei Lichte betrachtet ist es so, dass jede Sanktionsmaßnahme der USA fast folgenlos für die amerikanische Wirtschaft bleibt, weil der Russlandhandel für Amerika bedeutungslos ist. Für Europa und insbesondere für Deutschland ist das nicht ganz so bedeutungslos. Jede Sanktionsmaßnahme, die wir treffen, hat für Russland eine zehnmal größere Wirkung als jede amerikanische Sanktion…

….und eben auch für die deutschen Firmen….

….möglicherweise auch negative Auswirkungen auf unsere eigenen Interessen. Ich glaube wir müssen uns zu Wehr setzen gegen den Vorwurf, wir würden hier mit zu weicher Stimme auftreten. Was sich hier im Hintergrund abspielt, sind die Nachwehen der Libyenkrise. In der amerikanischen politischen Szene ist nicht vergessen, dass die Deutschen bei der Bewältigung der Libyen-Krise am Spielfeldrand standen. Jetzt möchte man die Bestätigung sehen, dass diesmal Deutschland als das wichtigste europäische Land mit dem - auch die Bundeskanzlerin persönlich - größten Einfluss auf Moskau eine zentrale Rolle mitspielt.

Nach NSA-Affäre nicht einfach zur Tagesordnung übergehen

In Washington hat für Irritation gesorgt, dass die Kanzlerin ihre einzige öffentliche Rede zum Thema des gemeinsamen Transatlantischen Marktes (TTIP) hält. Halten sie es für nachvollziehbar, dass man von ihr lieber etwas über Russland und transatlantische Sicherheitsfragen gehört hätte?

Also das Thema TTIP ist ein transatlantisches Thema von größter strategischer Bedeutung. Die Bundeskanzlerin tut das Richtige, dass sie sich insbesondere an die amerikanische Wirtschaft wendet, indirekt auch an die deutsche Wirtschaft. Wir brauchen eine Kampagne auf beiden Seiten des Atlantiks, um das Projekt überhaupt weiter nach vorne treiben zu können. Im Moment bläst TTIP der Wind ins Gesicht.

Kommen wir zur NSA-Affäre, die ja in Deutschland eine sehr wichtige Rolle spielt. Hier in Washington ist sie von untergeordneter Bedeutung. Mit welcher Botschaft sollten hier Merkel und Obama an die Öffentlichkeit treten?

Es ist leider so, dass in breiten Teilen der amerikanischen politischen Öffentlichkeit bis heute nicht verstanden worden ist, welchen Vertrauensschaden der NSA-Skandal in der deutschen Bevölkerung verursacht hat. Das Ansehen Amerikas als Partner hat laut Umfragen massiv gelitten. Es ist richtig, wenn wir insistieren, dass wir in dieser Sache nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können, sondern dass wir Vertrauen reparieren müssen. Der in Aussicht gestellte transatlantische Cyber-Dialog ist bestimmt eine sinnvolle Methode. Wir dürfen allerdings auch keine Wunder erwarten.

Wolfgang Ischinger war von 2001 bis 2006 deutscher Botschafter in den USA. Zurzeit ist er Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz.

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