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Gesellschaft

Islamische Normen und deutsches Recht

6. Juni 2017

Der Bundestag hat ein Verbot von Kinderehen beschlossen. Islamisches und westliches Familienrecht haben zwar einige Gemeinsamkeiten. Doch der Umgang mit islamischen Rechtsnormen in Deutschland wirft einige Fragen auf.

Africa Child Marriage Mosambik
Bild: picture alliance/AP Photo/S.Mohamed

Kinderehen sind in Deutschland künftig verboten. Das hat der Deutsche Bundestag Anfang Juni beschlossen. Die Regelung sieht zudem die Aufhebung nahezu aller bereits bestehenden Kinderehen vor. Ehen von Partnern unter 16 Jahren gelten fortan grundsätzlich als nichtig. Gemeint sind damit Ehen, die nach islamischem Recht geschlossen wurden.

Tatsächlich sind mögliche Eheschließungen von Minderjährigen eine der grundlegenden Unterschiede des islamischen und des westlichen, und darum auch des deutschen Eherechts. Gemeinsam ist beiden Rechtssystemen nach Ansicht des Juristen und Islamwissenschaftlers Mathias Rohne jedoch, dass sie die Ehe in erster Linie als zivilrechtliche Instanz bewerten. "Die Ehe", so Rohe in seiner Studie über das islamische Recht, "wird ausschließlich als zivilrechtlicher Vertrag angesehen, auch wenn viele Gelehrte ihr zusätzlich eine religiöse Dimension zusprechen."

Grundlagen und Quellen des Rechts

Islamischer Rechtstheoretiker: Ibn Chaldun, hier seine Statue in TunisBild: cc-by-sa-3.0-Kassus

Wie auch die übrigen Rechtsbereiche gründet das islamische Zivilrecht auf der religiösen Überlieferung. Deren Grundlage waren zunächst die Entscheidungen des Religionsstifters Mohammed. Zu seinen Lebzeiten bildeten sie eine hinreichende Grundlage, um Rechtsstreitigkeiten zu regeln.

Nach dessen Tod im Jahr 632 änderte sich jedoch diese Situation: "Man musste, um das expandierende Staatswesen legitim zu regieren, auf dem Vorgefundenen aufbauen, aber auch das Vorgefundene ausbauen", schreibt der Arabist und Jurist Hans-Georg Ebert. Mit zunehmendem Abstand zu den Lebzeiten des Religionsstifters kam es darauf an, die Entscheidungsfindung zu objektivieren. "So entwickelte sich die islamische Jurisprudenz (fiqh) im Einklang mit der Sammlung und späteren Verschriftlichung der Überlieferung." Die moderne Islamwissenschaft datiert den Beginn dieses Prozesses auf den Beginn des Jahres 700.

Die grundsätzliche Ambivalenz des Rechts

In dessen Folge ergab sich ein grundlegendes Problem: Welche juristischen Entscheidungen entsprechen dem Geist des Islam, und welche nicht? Die Frage, resümiert Mathias Rohe die im Werk des islamischen Rechtsgelehrten Ibn Chaldun (1332-1406) gipfelnde Diskussion der islamischen Jurisprudenz, lasse sich eindeutig nicht beantworten. Sowohl die sprachliche wie auch die verschiedenen Überlieferungen und Methoden, Normen zu begründen, liefen auf eine grundsätzliche Mehrdeutigkeit des Rechts hinaus.

Das, so Rohe, habe dann zu einer entscheidenden Konsequenz geführt: Das islamische Recht verlor zumindest implizit seinen ehemals Gott zugerechneten Charakter und wurde stattdessen zu einer rein irdischen Institution. "Die strukturelle Unsicherheit stellt also notwendigerweise menschliche Erkenntnisprozesse in den Mittelpunkt der Materie. Damit wird der Anspruch, es handele sich um gottgegebenes Recht, weitestgehend relativiert." 

Frei und gleichberechtigt? Szene aus AfghanistanBild: Getty Images/AFP/N. Shirzada

Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Rechtsauffassung

Islamisches und westliches Recht sind damit faktisch säkulare Einrichtungen. Das verbindet sie. Was sie trennt, sind Fragen im Detail. Das gilt etwa für Teile des Eherechts - allen voran das nach dem angemessenen Alter, um eine Ehe schließen zu können. Nach traditioneller islamischer Auffassung, so Rohe, beginnt dieses so genannte Ehemindestalter mit dem Eintritt der Pubertät - gemeint war damit der Zeitraum zwischen neun und zwölf Jahren bei Jungen und neun Jahren bei Mädchen. Ab 15 Jahren galten Personen der ursprünglichen islamischen Rechtsauffassung nach in der Regel sogar als volljährig.

Ein weiterer Punkt, in dem sich das - in letzter Zeit vielerorts modifizierte - islamische Eherecht von dem westlichen unterscheidet, ist der Status der Eheleute. So hat die Ehefrau dem Ehemann gegenüber nach traditionellem islamischem Verständnis eine weitreichende "Gehorsamspflicht" zu erfüllen. Bei zahlreichen - wichtigen und weniger wichtigen - Entscheidungen ist sie auf die Zustimmung des Ehemannes angewiesen. In Ländern wie Saudi-Arabien gilt dies noch heute. In einigen Fällen entscheidet er sogar, ob seine Frau das Haus verlassen darf oder nicht. Lehnt sich die Frau gegen den Willen ihres Ehemannes auf, kann sie den Unterhaltsanspruch verlieren.

Recht und Reform

Inwiefern und auf welcher Grundlage eine solche Rechtspraxis derzeit noch Gültigkeit haben kann, ist jedoch auch innerhalb der islamischen Welt umstritten. In vielen Ländern hat es Reformen gegeben, nahezu überall ist das Heiratsmindestalter inzwischen angehoben worden. Es liegt derzeit zwischen 15 und 20 Jahren. Ebenfalls diskutieren islamische Feministinnen darüber, ob Rechtsgelehrte mit einer oft zweifelhaften theologischen Ausbildung weiterhin befugt sein sollten, über zivilrechtliche Fragen - und damit auch über das Eherecht - zu entscheiden. In Bangladesch spricht die Wissenschaftlerin Taj Hashim den Mullahs dieses Recht ab. 

Kinderehe? Nein, danke! Eine junge Schauspielerin stellt eine junges, mit zehn Jahren verheiratetes Mädchen darBild: Getty Images/AFP/G.Bouys

Gültigkeit islamischer Normen auch im Ausland?

Schwierig ist die Frage, welche Gültigkeit im Ausland etablierte Rechtsnormen in einem anderen Land haben sollen. Grundsätzlich gilt das Territorialprinzip: Jeder Staat wendet die ihm eigenen Sachnormen an. Allerdings, so Mathias Rohe in seinem Buch über den Islam in Deutschland, gelte noch ein weiteres Prinzip: Aus Gründen der Rechtssicherheit soll ohne begründeten Anlass in einmal wirksam entstandene Rechtsbeziehungen nicht eingegriffen werden - und zwar auch dann nicht, wenn diese nicht in jeder Hinsicht den Regelungen des deutschen Rechts entsprechen. "Deutschland ist deshalb wie alle anderen Staaten der Welt dazu bereit, in selbst festgelegtem Umfang fremdes Recht anzuwenden, und damit auch solche staatlichen Rechtsvorschriften, die auf islamischen Grundlagen beruhen."

Bei dem Verbot der Kinderehe war aus Sicht des Deutschen Bundestags ein guter Grund gegeben: nämlich der des Kindeswohls, dem der Gesetzgeber verpflichtet ist. Bei anderen Fragen besteht ein rechtlicher Spielraum. Die Diskussion um die Geltung des islamischen Familienrechts in Deutschland dürfte Juristen, Rechtsphilosophen und Gerichte auch in Zukunft beschäftigen.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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