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Politik

Islamismus im Kosovo

18. Mai 2017

Die Bundesregierung beobachtet einen wachsenden islamistischen Einfluss im Kosovo, zu dem offenbar Prediger aus Saudi-Arabien beitragen. Im jüngsten Staat Europas werden immer wieder radikalisierte Muslime festgenommen.

Kosovo Festnahmen IS Kämpfer 12.08.2014
Festnahme eines IS-Kämpfers nach seiner Rückkehr in den KososvoBild: Reuters

"Saudi-arabische Missionierungsorganisationen sind auch im Kosovo aktiv und verbreiten hier die von Saudi-Arabien vertretene wahhabitische Interpretation des Islam, etwa durch die Entsendung von Predigern", schreibt die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion. Darüber hinaus sei "ein kontinuierliches Engagement arabischer Geldgeber - Einzelpersonen, Nichtregierungsorganisationen sowie staatliche und halbstaatliche Institutionen - in der Islamischen Gemeinde Kosovos (BIK) feststellbar".

Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen, die die Anfrage gestellt hatte, sagte, dass sich das Land unter den Augen der multinationalen Kosovo-Truppe KFOR "zum islamistischen Terrorzentrum in der Region entwickelt hat". Es sei skandalös, dass "dank der Präsenz deutscher Soldaten saudische Gewalt- und Hassprediger ungestört die ideologische Basis dafür schaffen konnten". Die Bundesregierung sei gefordert, "die Öffentlichkeit nicht weiter im Unklaren zu lassen über die konkreten Zahlen der Rekrutierung für islamistische Terrornetzwerke, für den IS und andere Organisationen im KFOR-Gebiet", verlangte Dagdelen.

Mehr als 300 reisten aus, um sich der Terrormiliz IS anzuschließen

Knapp zwei Millionen Einwohner zählt der Kosovo. Von 2012 bis Ende vergangenen Jahres sollen 316 von ihnen ausgereist sein, um sich dem Kampf der Terrororganisation "Islamischer Staat" anzuschließen, darunter auch Frauen und Kinder. Mindestens 58 von ihnen sollen getötet worden sein, rund 120 seien in den Kosovo zurückgekehrt, sagte Baki Kelani, Pressesprecher des kosovarischen Innenministeriums, auf Anfrage der Deutschen Welle. Nach Angaben Kelanis laufen Untersuchungen gegen rund 240 Personen unter dem Vorwurf der Organisation und Teilnahme an terroristischen Taten, Teilnahme an terroristischen Akten außerhalb Kosovos sowie Rekrutierung, Unterstützung, Finanzierung von Terrorismus. Etwa 130 der Beschuldigten seien seit 2013 verhaftet worden.

Polizeieinsatz: Ende 2014 wurde in Prishtina der Imam der Großen Moschee festgenommenBild: Reuters/Hazir Reka

Diese Zahlen belegen, dass der radikale Islam im mehrheitlich muslimischen Kosovo ein wachsendes Problem geworden ist, zumal die kosovarischen Behörden, trotz massiver internationaler Unterstützung, der Lage kaum Herr werden können. Denn hinter den Zahlen stecken gesellschaftliche Phänomene größeren Ausmaßes: verbreitete Armut, 40 Prozent Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit. Daraus erwächst eine Frustration vieler Menschen, gepaart mit einer wachsenden Hinwendung zu strengeren Auslegungen des Islam, wie sie im Kosovo früher nicht zu finden waren.

Immer mehr Kopftücher - die Identität verändert sich

Nach Angaben von Sicherheitsexperten sollen bis zu 50.000 Kosovaren heute einem konservativen Islam anhängen. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung im jüngsten Staat Europas ist muslimisch: Albaner, Roma, Türken, Bosniaken. Heute sieht man, in der Hauptstadt Prishtina wie in der Provinz, immer mehr Mädchen und Frauen mit Kopftuch - vor 15 Jahren war das noch eine Ausnahmeerscheinung. Selbst vollverschleierte Frauen sind mittlerweile keine Seltenheit mehr. Schon hieran ist sichtbar, dass der tradierte, liberale Islam aus der osmanischen Zeit, der stark von der Mystik des Sufismus geprägt ist, verdrängt wird. Überlagert wird er mehr und mehr von strengeren Formen, die durch saudischen Einfluss auf den Balkan gelangt sind.

Im Sommer 2016 veröffentlichte das Institut für Politische Studien (KIPRED) eine Studie über den Einfluss der Religion für die kosovarische Identität. Laut Lulzim Peci, dem Autor der Studie, fühlen sich 57 Prozent der muslimischen Albaner im Kosovo vor allem als Albaner, 32 Prozent definieren sich zunächst als Muslime und erst danach als Albaner. "Wir sehen bei diesen Menschen eine große Identitätsverschiebung von der linguistischen ethnischen Zugehörigkeit, der sogenannten Sprachnation, hin zu einer religiös-ethnischen Gesellschaft", sagt Peci der DW. Wenn sich dieser Prozess fortsetze, befürchtet der Politikwissenschaftler, bestehe die Gefahr, dass dies das Ende des "Albanertums", wie wir es kennen, bedeute. Und das Ende des säkularen und pro-westlichen Kosovos.

Einfluss islamischer Länder: Moscheen, Prediger und Geld für Bedürftige

Die Islamisierung der Albaner begann nach dem Ende des Kosovokrieges zunächst schleichend. Saudi-Arabien, Kuweit und andere islamische Länder investierten massiv in den Wiederaufbau und Neubau von Moscheen, sie entsandten Prediger und unterstützen Bedürftige. Heute stehen im Kosovo 742 Moscheen, dazu kommen andere muslimische Bauten wie Koranschulen. Doch mit dem Geld und den Predigern kam auch ein anderer Islam ins Land.

Der Politikwissenschaftler Agon Demjaha, der an der Untersuchung zur Identitätsbildung der Kosovaren mitgearbeitet hat, sagt, dass Politiker und Parteien gegenüber diesem Phänomen zu lange indifferent und unentschlossen gewesen seien. Der Soziologe Smajl Hasani sieht eine Ursache auch im schlechten Bildungssystem Kosovos. Es sei zu wenig Wert darauf gelegt worden, die kosovarische Identität mit einer religiös toleranten, multireligiösen Identität zu belegen.

Schülerinnen der islamischen Schule Medresse in Prizren: Immer mehr Frauen im Kosovo tragen ein KopftuchBild: DW/R. Alija

Vertreter der islamischen Gemeinschaft weisen eine Mitschuld an der Radikalisierung zurück. Im Gegenteil: Die Theologin Besa Ismaili sagt, keiner der Kosovaren, die sich den terroristischen Netzwerken angeschlossen haben, sei aus ihrer Gemeinschaft hervorgegangen. Der Kampf im Namen der Religion sei falsch. Und diese Ideologie sei bei den Albanern nie verbreitet gewesen. Der Terror habe nichts mit dem Glauben zu tun. "Unter den wahrhaft Gläubigen gibt es keinen Extremismus, im Glauben gibt es nicht Gewalt, sondern nur Liebe", unterstreicht Ismaili.

Deutsche Soldaten im Kosovo, kosovarische Extremisten in Deutschland?

Doch allen Aufklärungsbemühungen zum Trotz bleiben die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im Kosovo schwierig. Florian Qehaja, Direktor des Zentrums für Sicherheitsstudien im Kosovo, hat sie untersucht und nennt als Gründe vor allem die katastrophale Wirtschaftslage und die schwachen staatlichen Strukturen - geprägt durch Unschlüssigkeit, Korruption und Unfähigkeit. Junge Menschen, sagt Qehaja, litten unter fehlenden Perspektiven. Sie fühlten sich in Europa zunehmend isoliert und suchten folglich andere Wege. Um dem Islamismus Einhalt zu gebieten sei eine ganzheitliche Strategie nötig: bei der Ausbildung der Jugend, der Auswahl der Imame, bei den Medien wie auch bei der Sicherheitsarchitektur im Lande. Außerdem brauche das Land regionale Zusammenarbeit mit den Nachbarländern Mazedonien und Albanien sowie weitere internationale Unterstützung, vor allem von den USA und der EU, da diese Staaten ein hohes Renommee im Kosovo genössen.

Gut besucht - das Mittagsgebet in der Moschee in Podujevo im Nordosten des KosovoBild: DW

Deutschland ist im Kosovo sowohl in der militärischen KFOR-Mission der UN mit 800 Soldaten vertreten, als auch mit Polizisten und Experten der Eulex-Mission, mit der die EU den Rechtsstaat stärken will. Insbesondere aber ist Deutschland durch eine große Immigration von rund 400.000 Kosovaren eng mit den Entwicklungen verbunden. Der Attentäter, der 2011 am Frankfurter Flughafen zwei US-amerikanische Soldaten erschoss, war ein Kind albanischer Migranten. Und auch die Verhaftung von zwei Kosovaren unter Terrorverdacht Ende 2016 in Duisburg zeigt, welche Brisanz die Radikalisierung im Kosovo für Deutschland hat. Sie Männer wurden verdächtigt, einen Anschlag auf das Einkaufszentrum Centro in Oberhausen geplant zu haben.

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