1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Islamophobie und Opfermentalität - zwei Seiten einer Medaille?

Marcus Bösch 19. Juni 2006

Zahlreiche Umfragen belegen, dass der Islam im Westen eher mit negativen Begriffen verbunden wird - etwa mit Terrorismus und Frauenunterdrückung. Das Stichwort Islamophobie macht die Runde, aber hilft der Begriff weiter?

Tag der offenen Moschee in GelsenkirchenBild: AP
Tariq RamadanBild: picture-alliance/dpa

"Islamphobie bedeutet wörtlich Angst vor dem Islam", erklärt Jocelyne Cesari. "Und wenn man in der Psychologie von einer Phobie spricht, dann ist damit eine irrationale Angst vor einer bestimmten Sache, einer bestimmten Gruppe oder Situation gemeint." Cesari forscht an der amerikanischen Harvard University über den Islam. In einer Studie für das europäische Forschungsinstitut "European Policy Centre" (EPC) hat sie sich kritisch mit dem Schlagwort "Islamophobie" auseinandergesetzt. Der vor allem im angelsächsischen Raum gebräuchliche Ausdruck ist zwar äußerst eingängig, gleichzeitig aber - laut Cesari - verallgemeinernd und ungenau.

Instrumentalisierung von Ängsten

Trotzdem hat der Begriff politische Akzeptanz gewonnen. Tariq Ramadan, umstrittener islamischer Reformer und Präsident des "European Muslim Network" (EMN) in Brüssel, bezeichnet Islamophobie als Teil eines politischen Konzepts, das auf Angst basiert - die wiederum durch Anschläge wie die vom 11. September 2001 in den USA oder die vom 7. Juli 2005 in London genährt würden.

Gedenken nach den Anschlägen von LondonBild: AP

"Es gibt eine Entwicklung der Angst in unseren (westlichen) Gesellschaften. Und es gibt auch Leute, die so eine Ideologie der Angst benutzen", sagt Ramadan. "Warum tun sie das? Weil ihnen bisher keine kreative Politik einfällt. Sie wissen nicht, wie man mit einem gesellschaftlichen Mix und mit dem Phänomen sozialer Marginalisierung umgeht." Ramadan ist Enkel des Gründers der radikalen Muslimbrüder in Ägypten, Hassan al-Banna. Er ist in Genf geboren und aufgewachsen, kennt also beide Kulturen. Und deshalb weiß er: Mit der Angst vor dem Fremden lassen sich in Demokratien eben auch Wahlen gewinnen.

Die Falle der Komplexitätsreduktion

Doch nicht nur extrem konservative oder ausgesprochen rechtslastige Parteien instrumentalisieren in westlichen Ländern eine diffuse Angst. Auch Muslime selbst bezögen sich oft auf dieses Raster, sagt Riem Spielhaus von der Islamischen Akademie in Berlin. "Das ist genau der Punkt, zu sagen: 'Ich werde diskriminiert, nicht weil ich Migrant bin oder auf ähnlicher Basis - sondern weil ich Muslim bin.'" Wer sich derart zum Opfer stilisiere, gerate in die gleiche Falle, wie die andere Seite: Die Probleme geraten aus dem Blickfeld. "Der Westen per se als Böses - das ist sozusagen das Gegenstück zur Islamophobie, zur Generalisierung von allen Muslimen als verblendet und rückständig", sagt Spielhaus.

Den Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus hat sich die Europäische Union auf die Fahnen geschrieben. Dort gibt es eine eigene Abteilung, die sich ausschließlich mit Menschenrechten beschäftigt, Islamophobie verurteilt und Direktiven erarbeitet. Aber hat dies auch Erfolg? Die US-Wissenschaftlerin Cesari ist skeptisch: "Ich denke nicht, dass dies auf EU-Level effizient sein kann, wenn es um die gesetzliche Umsetzung geht. Denn die EU hat ja nur eingeschränkte gesetzgeberische Kompetenzen."

Anfassen und riechen

Ganz ähnlich sieht das Spielhaus von der Islamischen Akademie in Berlin. Sie hat nichts gegen Anti-Rassismus-Gesetze. Aber sie kennt zahlreiche Integrationsprojekte vor Ort - und weiß, was dort zählt. "Das einzige, das etwas nutzt, ist dass Menschen sich treffen. Ich muss den anderen anfassen können, ich muss ihn riechen können", sagt sie. Ich muss mit ihm über alles Mögliche reden - nicht nur über seine Religion, sondern auch einfach über Kochrezepte und andere Dinge."

Das mag sich fast zu einfach anhören. Aber die drei Experten sind sich einig in diesem Punkt. Und sie sind sich auch einig darüber, dass es durchaus legitime Ängste gegenüber anderen Religionen, Kulturen und Lebensweisen gibt. Diese müssten durch Kommunikation abgebaut werden. Denn erst wenn man miteinander reden kann, könne man einander vertrauen und Ängste abbauen, so die Experten.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen