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Ismail Kadare: Wir alle auf dem Balkan brauchen die europäische Aufsicht

24. Juni 2003

– Albanischer Schriftsteller plädiert für unabhängiges Kosovo in einem europäischen Rahmen

Köln, 11.6.2003, DW-radio / Albanisch, Mimoza Cika-Kelmendi

Frage

: Herr Kadare, wie würden Sie die Entwicklung in Kosova vier Jahre nach der Beendigung des Krieges beurteilen?

Antwort

: Man müsste blind sein, eine solch große Entwicklung nicht hoch einzuschätzen. Alle wissen, dass grundlegende Entwicklungen in Kosova staatgefunden haben. Natürlich drängt jedes Volk, das eine solch lange Leidenszeit erlebt hat, darauf, dass die Lage sich rasch normalisiert und ich verstehe es sehr gut, dass die Albaner in Kosova den Anspruch haben, den positiven Ehrgeiz, dass Kosova so schnell wie möglich europäisiert wird, dass die Gesetze funktionieren, dass der Stillstand, von dem in der Presse zu lesen war, vermieden wird, dass einige Phänomene, wie Mafia, Kriminalität, Korruption usw., an denen der gesamte Balkan leidet, beseitigt werden. Dies alles verstehe ich sehr gut. Diese Ungeduld selbst hat auch eine positive Seite. Natürlich darf sie nicht in Unruhen verkehrt werden. Es gab einige Male den Versuch, schwere Zuspitzungen zu provozieren, die der Sache der Albaner und des Kosova schweren Schaden zufügen.

Frage:

Die Institutionen in Kosova, das Parlament, der Präsident, die Regierung, die Politiker im Allgemeinen, sind der Ansicht, dass es an der Zeit ist, dass mehr oder am besten alle Kompetenzen an die Kosovaren übertragen werden. Wie beurteilen Sie, Herr Kadare, diese Forderungen, sind die Bedingungen dafür gegeben, dass Kosova von den Kosovaren regiert wird?

Antwort

: Weil die Institutionen in Kosova beharrlich das fordern, heißt das, dass sie an diese Sache glauben, dass sie glauben fähig zu sein, einen Teil der Kompetenzen zu übernehmen. Hierzu würde ich sagen, dass Kosova, der Balkan, Albanien, dass wir alle einer europäischen Aufsicht bedürfen. Ich würde sogar sagen, dass so etwas nicht die Würde und auch nicht die Autorität dieser Länder verletzt, sondern im Gegenteil, sie hilft ihnen. Ich glaube, dass das alte Konzept überwunden werden muss, als man so etwas Kolonialeinfluss oder Kolonialherrschaft nannte. Europa hat sich geändert. Jetzt wünschen die Länder selbst einen europäischen Einfluss, so zum Beispiel alle Länder, die versuchen, der EU beizutreten, wie etwa die zehn Staaten Osteuropas, die in letzter Zeit diese Hürde genommen haben. Die europäische Aufsicht und die europäische Hilfe sind eng miteinander verbunden. Aus diesem Grund glaube ich, dass das traditionelle Konzept, das wir haben und das wir Fremdherrschaft nennen, geändert werden muss.

Frage:

Reden wir konkret über Kosova.

Antwort:

Ich verstehe es sehr gut, dass es oft Irritationen über die UNMIK-Verwaltung gibt. Das ist unumgänglich. Die UNMIK vertritt eine große Weltorganisation, die UNO. Ein Teil der Mitgliedstaaten sind nicht so weit entwickelt wie Kosova, insbesondere in juristischer Hinsicht oder emanzipatorischer, im Gegenteil. Und natürlich hat diese große Weltorganisation hierhin eine Verwaltung gebracht, deren Bürokratie nie die beste Seite dieser Welt vertreten kann. Deswegen muss an dieser Stelle der Wille für Verständnis vorhanden sein. (...)

Frage

: Nach vier Jahren der Beendigung des Krieges in Kosova, wie sehen Sie die Zukunft von Kosova, welches wird sein endgültiger Status sein?

Antwort:

Für mich als Bürger, als Schriftsteller ist das wie für jeden einfachen Albaner eine Sache, die keinen Zweifel im Raum lässt. Der zukünftige Status des Kosova ist der Status der Freiheit, ist der Status der Unabhängigkeit, es ist der Status der vollen Würde des albanischen Volkes, in Kosova, in der europäischen Familie. Dies ist der Weg und es gibt keinen anderen. Auch hier muss man für die Unabhängigkeit kämpfen. Der Wunsch nach Unabhängigkeit und die Arbeit daran setzen eine große Geduld und Klugheit voraus und man darf nie die Strategie, die Perspektive und das Hauptziel aus den Augen verlieren. Dies ist ein Weg, der nicht in Frage gestellt werden kann. Dies ist ein Ziel, das nicht in Frage gestellt wird. (...)

Frage:

Würde die Beschleunigung dieses Prozesses sich positiv auf den Balkan und die Region auswirken?

Antwort

: Natürlich ist jede gute Sache, die auf dem Balkan geschieht, für alle gut. Der Balkan ist Teil des europäischen Raumes, und dass Kosova zur Zeit der Teil mit der höchsten europäischen Präsenz auf dem Balkan ist, ist eine gute Sache für alle. Das wirkt sich auf alle gut aus und braucht bei den anderen Völkern weder Neid noch Nervosität auszulösen. Im Gegenteil, bei der Aushebung der europäischen Trasse für den westlichen Balkan weiß jeder, dass Europa sich mehr als früher für diesen Teil des Balkans einsetzt, und daran haben wir alle Teil, das heißt Kosova, Albanien, Mazedonien, Montenegro und Serbien. Dies ist eine sehr gute Sache für den Balkan, dass er sozusagen zur Tagesordnung gehört. (...) Alle und insbesondere wir Albaner müssen verstehen, dass dies eine Chance ist, und diese Chance hat zwei Hauptfaktoren: Die Stärkung der Bindung zu der EU einerseits und die Stärkung der Bindung untereinander anderseits, das heißt die Aufhebung der Hindernisse zwischen den einzelnen Ländern, um in dieser Weise den sogenannten europäischen Raum vorzubereiten. Und dies ist, glaube ich, die sicherste Garantie für eine Lösung der Frage der Unabhängigkeit und des Status von Kosova, das heißt, Kosova begibt sich in gleicher Weise auf diese Trasse wie alle anderen Völker auch. (MK)