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Isolation hinter Gittern: Frankreichs radikales Haftregime

Andreas Noll
31. Juli 2025

Mit Gefängnissen, die sich an den restriktivsten Haftmodellen weltweit orientieren, reagiert Frankreich auf die wachsende Gewalt durch Drogenbanden. Ein erstes "Supermax"-Gefängnis wurde gerade eröffnet.

Blick in den Zellentrakt von Vendin-le-Vieil mit den Einzelzellen
Blick in den Zellentrakt von Vendin-le-Vieil mit den EinzelzellenBild: Michel Euler/AP Photo/picture alliance

Meterhohe Mauern, Einzelzellen unter Dauerbeobachtung, Besuch nur durch schusssichere Trennscheiben: In Vendin-le-Vieil, einer Kleinstadt 200 Kilometer nördlich von Paris, hat das erste offiziell ausgewiesene Hochsicherheitsgefängnis Frankreichs vergangene Woche den Betrieb aufgenommen. Sogar die Armee wurde mobilisiert, um einige der besonders gefährlichen Häftlinge in die neuen Zellen zu bringen.

Vendin-le-Vieil: Spezialkräfte sichern den Transfer von Drogenhändlern in das HochsicherheitsgefängnisBild: AFPTV Teams/Lucie Carbajal/Margaux Chauvineau/AFP

Vendin-le-Vieil mit seinen 450 Videokameras soll ein Herzstück im Kampf gegen das organisierte Verbrechen werden und ist Teil einer größeren Reform, mit der der Staat seinen Kampf gegen die Drogenkriminalität verschärft. Ziel ist es, besonders gefährliche Bosse krimineller Netzwerke von jeder Kommunikation mit der Außenwelt abzuschneiden. "Einen radikalen Wandel im Strafvollzug" nennt Justizminister Gérald Darmanin das Projekt.

Frankreich im Anti-Drogen-Krieg

Das Land steht vor einem gravierenden Sicherheitsproblem: In Städten wie Marseille, Toulouse oder in den Banlieues der Pariser Vororte, aber auch in kleinen Dörfern der Provinz eskaliert die Gewalt zwischen Drogenbanden. Staatsanwälte warnen vor einer Entwicklung, die außer Kontrolle zu geraten droht. Zunehmend werden Teenager als Boten oder Auftragsmörder eingesetzt, oft rekrutiert über soziale Netzwerke.

Drogengewalt und Perspektivlosigkeit: Stadttteil Les Flamants im Norden von Marseille (Archiv)Bild: Clement Mahoudeau/AFP

Der Journalist und Buchautor Jean-Marie Magro hat in Marseille zur Präsenz der organisierten Kriminalität recherchiert. "Es gibt Viertel im Norden der Stadt, wo der Drogenkrieg, von dem die Staatsanwaltschaft spricht, ganz real ist", sagt er gegenüber der DW. "Man sieht das etwa an Checkpoints, die von Jugendlichen auf der Straße errichtet werden." Auch die Banalisierung von Gewalt sei dort spürbar. Die Zahlen stützen diese Einschätzung: Im Jahr 2024 wurden landesweit 367 Fälle von Mord oder versuchtem Mord im Drogenmilieu registriert - mit 110 Toten und 341 Verletzten. Rund ein Viertel der Täter war jünger als 20 Jahre.

Unmenschliche Haftbedingungen?

Gleichzeitig stößt das französische Gefängnissystem an seine Grenzen: Frankreich zählt zu den Ländern mit der höchsten Überbelegung in Westeuropa. In manchen der über 180 Haftanstalten liegt die Belegungsquote bei mehr als 150 Prozent. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Paris wiederholt wegen "unmenschlicher Haftbedingungen" verurteilt. Viele Gefängnisse sind nicht nur überbelegt, sondern auch alt und feucht. Schimmel, Ratten und Kakerlaken sind vielfach Dauergäste.

Präsenz zeigen: Ein Polizist der Drogenbekämpfungseinheit auf Streife in ChenôveBild: Arnaud Finistre/AFP

Doch nicht nur aus menschenrechtlicher, sondern auch aus sicherheitspolitischer Sicht gelten die Gefängnisse als Schwachstelle: Anführer krimineller Netzwerke führen ihre Geschäfte auch hinter Gittern weiter - über Mobiltelefone, die per Drohne eingeflogen werden, über Mittelsmänner in der Anwaltschaft oder durch korrumpiertes Personal.

Im Frühjahr 2025 erreichte die Gewalt eine neue Stufe: In mehreren französischen Städten griffen bewaffnete Gruppen mit Sturmgewehren Gefängnisse an - offenbar, um rivalisierende Häftlinge einzuschüchtern und Druck auf das Justizsystem auszuüben.

Vendin-le-Vieil: Gefängnis der maximalen Kontrolle

Die neue Anlage in Vendin-le-Vieil im nördlichen Pas-de-Calais in der Nähe  Belgiens ist auf rund 100 Häftlinge ausgelegt und gilt als derzeit sicherstes Gefängnis Frankreichs. Die Architektur und Organisation orientiert sich an den berüchtigten US-amerikanischen "Supermax"-Gefängnissen und dem italienischen Anti-Mafia-Modell "carcere duro" ("hartes Gefängnis").

Außenansicht des Hochsicherheitsgefängnisses in Vendin-le-Vieil Bild: Michel Euler/AP Photo/picture alliance

Die Insassen sitzen in Einzelzellen, haben täglich nur eine Stunde Hofgang in kleinen Gruppen und unterliegen einer streng kontrollierten Kommunikation: Telefonate nur zweimal wöchentlich für jeweils zwei Stunden, Besuche ausschließlich durch Trennscheiben. Nach jedem Besuch müssen sich die Gefangenen komplett ausziehen, um systematisch durchsucht zu werden. Ziel ist es, jede Form krimineller Steuerung von außen zu unterbinden.

Pläne für Gefängnis im Dschungel

An der Nordküste Südamerikas, im französischen Überseegebiet Guayana, plant Paris ein weiteres Hochsicherheitsgefängnis für bis zu 500 Kriminelle. Der geplante Standort bei Saint-Laurent-du-Maroni liegt im Regenwald, nahe der historischen "Teufelsinsel" - bis 1938 ein berüchtigter Ort des kolonialen Strafvollzugs und weltbekannt durch den Roman "Papillon" von Henri Charrière.

Justizminister Darmanin spricht davon, kriminelle Drahtzieher "dauerhaft vom Mutterland entfernen" zu wollen. Menschenrechtsgruppen und Oppositionelle warnen vor einem "französischen Guantánamo".

Hoher Preis für mehr Sicherheit

Die Gefängnis-Projekte sind kostspielig: Mit rund 250 Aufsehern für 100 Insassen in Vendin-le-Vieil liegen neben den Bau- auch die Betriebskosten deutlich über denen herkömmlicher Haftanstalten. Der Nutzen bleibt umstritten. Kritiker warnen vor psychischen Langzeitschäden durch Isolation und bezeichnen insbesondere die regelmäßigen Nacktdurchsuchungen als unverhältnismäßig. Technische Maßnahmen wie Handy-Störsender, Drohnenabwehrsysteme und häufige Zellenkontrollen gelten vielen als bessere Alternativen.

Der Kokain-Konsum in Frankreich nimmt seit Jahren zuBild: Scott Keeler/Tampa Bay Times/Zuma/picture alliance

Zur Realität gehört aber auch: Das Drogengeschäft floriert. Im Jahr 2024 wurden in Frankreich 47 Tonnen Kokain beschlagnahmt und damit mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr. Während viele Dealer aus sozial benachteiligten Milieus stammen, oft mit Einwanderungsgeschichte, finden sich die Konsumenten in allen gesellschaftlichen Schichten.

Europäischer Sonderweg

Im europäischen Vergleich geht Frankreich mit seinem neuen Hochsicherheitsregime einen Sonderweg. Während etwa Deutschland oder die Niederlande auf Sicherheitszellen und intensive Überwachung setzen, aber den Kontakt zur Außenwelt nicht systematisch kappen, orientiert sich Frankreich nun an den restriktivsten Modellen weltweit. Die Regierung verteidigt den Kurs mit dem Hinweis auf rund 600 identifizierte Extremfälle in der Haft, bei denen herkömmliche Maßnahmen versagt hätten.

Justizminister Gérald Darmanin in Vendin-le-Vieil: Schon als Innenminister setzte der konservative Politiker sehr stark auf das Thema Innere SicherheitBild: Justin Davis/AFP

Die medienwirksame Inszenierung des Projekts fügt sich auch in ein größeres politisches Kalkül: Justizminister Darmanin gilt als möglicher konservativer Kandidat für die Präsidentschaftswahlen 2027. Die Hochsicherheitsgefängnisse sind auch ein Signal an eine wachsende Wählerschicht, die eine entschlossenere Reaktion des Staates gegen Gewalt und organisierte Kriminalität erwartet.

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