1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikNahost

Israel evakuiert jüdische Ukrainer

18. April 2022

Viele ukrainische Juden sind vor dem Horror des Kriegs in die Republik Moldau geflohen. Von hier aus wollen sie weiter nach Israel. Aus Chisinau Tania Krämer.

Moldau Airport Chisinau Jüdische Emmigranten auf Weg nach Israel
Bild: Tania Krämer/DW

Ein paar ältere Eheleute, junge Mütter mit Kindern und wenig Gepäck, einige Katzen und Hunde sind auf den Weg in den ersten Stock der ehemaligen Druckerei, die zu einem Aufnahmezentrum für Flüchtlinge umfunktioniert wurde. Das Gebäude wurde von israelischen Hilfsorganisationen in Chisinau, der Hauptstadt der Republik Moldau, eingerichtet - vor allem für jüdische Flüchtlinge, die möglicherweise 'Aliyah' nach Israel machen wollen - also als Juden nach Israel einwandern möchten.

"Wir haben rund 2500 Leute, neue Immigranten, nach Israel geschickt," sagt Benny Hadad im Gespräch mit der DW. Hadad ist der Leiter der "Aliyah"- Abteilung der Organisation "International Fellowship of Christians and Jews" (IFCJ). Die Hilfsorganisation kümmert sich momentan unter anderem um temporäre Unterkünfte und organisiert Charterflüge nach Israel. "In der Zwischenzeit helfen wir der Gemeinde hier und anderen jüdischen Organisationen in Moldau, dass sie irgendwo unterkommen, dass sie verpflegt werden. Ihre Dokumente werden überprüft, und wenn sie dem Gesetz nach das Recht haben, nach Israel einzuwandern, dann fliegen wir sie nach Israel aus mit unseren Flugzeugen."

Die zwei großen Säle sind ruhig und geschäftig zugleich. In einem abgetrennten Ruhe-Bereich gibt es eine Ecke mit Steckdosen zum Aufladen der Mobiltelefone, Tee, Kaffee und koscheres Essen. Einige ruhen sich auf improvisierten Betten aus. Andere warten mit Akten in der Hand auf eine Überprüfung ihrer Dokumente im Eingangsbereich.

Iryna Yefimova und ihre Mutter möchten gern nach Israel einwandernBild: Tania Krämer/DW

Iryna Yefimova und ihre Mutter sitzen erschöpft auf einer Bank, neben ihnen die Transportbox mit Katze Yumi. Daneben stapeln sich Koffer und ein paar Taschen, wenige Habseligkeiten aus dem früheren Leben. "Wir hatten jeder einen Koffer - und die Katze. Wir waren jetzt zwei Tage unterwegs. Es war sehr schwierig. Die Straßen rund um Kiew sind beschädigt, wir wären fast von einer Brücke gefallen," sagt Yefimova mit einem erschöpften Lächeln. Nachdem ihre Heimatstadt Charkiw bombardiert wurde, flohen sie zunächst nach Kiew. Iryna hofft, zu ihrer Tochter, die bereits in Israel lebt, reisen zu können. "Wir hatten bereits Pläne, irgendwann nach Israel zu ziehen, der Krieg hat dies nun im Grunde beschleunigt." Ihr Ehemann musste vorerst in Kiew bleiben, da Männer unter 60 Jahren die Ukraine nicht verlassen dürfen.

Bürokratie und Sicherheit

In einer Ecke im Saal prüfen israelische Konsularbeamte Pässe, Geburtsurkunden und andere Dokumente, um festzustellen, wer die Voraussetzungen für eine israelische Staatsbürgerschaft erfüllt und direkt evakuiert werden kann. Das israelische 'Rückkehrgesetz' sieht vor, dass Personen, die mindestens einen jüdischen Großvater nachweisen können, nach Israel einwandern können, auch "Aliyah machen" genannt. Gadi Teichman Dan, der auch beim IFCJ arbeitet, kümmert sich und hört zu, inmitten all der Bürokratie. "Das wichtigste ist, das wir vermitteln, dass sich jemand um sie kümmert. Sie haben alles innerhalb weniger Stunden verloren, und plötzliche sitzen sie als Flüchtling in einem fremden Land," sagt Teichman Dan. "Wir wollen ihnen ein Stück Sicherheit geben."

Gadi Teichman Dan (rechts) will Jüdinnen und Juden bei der Einwanderung nach Israel helfenBild: Tania Krämer/DW

Yulia, eine junge Ingenieurin aus der Region Luhansk ist hier alleine angekommen, mit wenig Gepäck und einem dicken Ordner mit Dokumenten. Auch ihr Ehemann musste in Kiew zurückbleiben, wo beide zunächst Zuflucht gesucht haben. "Es ist das zweite Mal, das wir vor einem Krieg flüchten. Und in all den Jahren haben wir gedacht, jetzt leben wir endlich in Frieden und haben all das Schlimme zurückgelassen," sagt sie im Gespräch mit der DW. Ihr Großvater war jüdisch, sagt sie. Aber sie ist nicht sicher, alle Dokumente zur Hand zu haben um die Erlaubnis zu bekommen, Aliyah nach Israel zu machen. Bereits 2014 musste sie nach dem Krieg im Donbass fliehen. "Ich möchte einfach nur ein normales Leben führen, ich möchte Familie, Kinder, und an einem friedlichen Ort leben, in einem friedlichen Land, unter einem friedlichen Himmel. Ich möchte nicht noch einmal fliehen müssen vor einem Krieg, zum zweiten, dritten, oder fünften Mal," sagt Yulia, und kann dabei kaum ihre Tränen zurückhalten. Nach Israel hat sie es bislang allerdings nicht geschafft, schreibt sie ein paar Tage später in einer Nachricht an die DW.

Einsatz in den Nachbarländern der Ukraine

Seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine sind die Jewish Agency, die bei der Einwanderung nach Israel behilflich ist, sowie andere israelische Organisationen in Polen, Rumänien, Ungarn und der Republik Moldau im Einsatz, um jüdischen Flüchtlingen und Israelis zu helfen.

Einige der Flüchtlinge bleiben in den an die Ukraine angrenzenden Ländern, andere versuchen, nach Israel zu emigrieren. Die große Einwanderungswelle aus der Ukraine, die von einigen israelischen Politikern zu Beginn des Krieges vorhergesagt wurde, hat sich bislang aber nicht gezeigt.

Die Republik Moldau gilt als eines der ärmsten Länder in Europa, hat aber im Vergleich zu seiner Bevölkerung von rund 2,6 Millionen die meisten Flüchtlinge aufgenommen. Von den rund 400.000 Flüchtlingen, die in die Republik Moldau geflohen sind, sind etwa 100.000 noch im Land. Viele finden Hilfe und Unterstützung bei moldawischen Familien. 

Synagoge hat ihre Tür geöffnet

Auch die lokale jüdische Gemeinde und Hilfsorganisationen helfen denen, die länger in der Republik Moldau bleiben und nicht nach Israel einwandern. Die Chabad Synagoge, die derzeit renoviert wird, hat seit Beginn des Krieges ihre Türen für Flüchtlinge geöffnet. Unter anderem gibt es koscheres Essen, und Hilfe bei der temporären Unterbringung. Auch nicht-jüdische Flüchtlinge sind willkommen. 

Temporäre Unterkunft gibt es hier in einer DruckereiBild: Tania Krämer/DW

"Die ersten Wochen waren verrückt, es ist schwer zu beschreiben. Jetzt haben wir nur spezifische Fälle, die wir und andere Organisationen betreuen, all die, für die es schwerer ist, zu fliehen," Rabbi Mandy Gotzel, der seit fünf Jahren in der Republik Moldau ist. "Die Leute kommen hier mit einem Kriegstrauma an, sie haben alles gesehen, sie sind im Auto unter Bomben und Angriffen geflohen," sagt er. "Gott sei Dank haben wir hier einige israelische Ärzte, die auch psychologische Unterstützung geben. Die Leute, die ankommen sind oft durcheinander, es ist ja nicht so, dass sie eine Reise hierher geplant hätten und wissen, wohin sie gehen werden." 

Nebenan, in der (Suppen-) Küche der Synagoge ist Natali Daicon dabei, einen großen Topf Suppe abzuschmecken. Ein Backblech mit Fisch und Kartoffeln gart im großen Ofen. Eine gute Mahlzeit kann Menschen in Krisenzeiten helfen, glaubt Daicon. "Am Anfang hatten wir bis zu 500 Leute am Tag, jetzt sind es eher 100 oder 150," sagt sie. "Wir kochen sehr viel Suppe, Linsensuppe, Borschtsch, Salate und all diese Dinge - um ihnen Freude und Kraft zu geben."

Am nächsten Morgen am Flughafen in Chisinau: 80 Personen und ein paar Haustiere kommen diesmal mit auf den Charterflug nach Tel Aviv. "Es ist schwierig, alles zurückzulassen, Arbeit, Freunde, das Leben das man aufgebaut hat," sagt Iryna Yefimova. Gleichzeitig aber ist die Erleichterung groß, nun endlich an einen sicheren Ort zu gelangen.

"Unsere Vorfahren weinen in ihren Gräbern"

02:24

This browser does not support the video element.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen