Deutsche Nahostpolitik unter Druck
13. Juni 2025
Deutschlands Nahostpolitik ist ohnehin ein Drahtseilakt. Der wird jetzt noch schwieriger. Denn mit dem Angriff Israels auf Ziele im Iran dürften auch die bislang engen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel weiter unter Druck geraten.
Die Sicherheit Israels gehört zur deutschen "Staatsräson". So hatte es schon die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel formuliert. Grundgedanke ist, dass Deutschland wegen seiner Geschichte der millionenfachen Ermordung der Juden während der Zeit des Nationalsozialismus eine besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels hat. Diese "Staatsräson" bekräftigte Merkels Nachfolger Olaf Scholz, nachdem die radikal-islamische Hamas im Oktober 2023 ein Massaker in Israel verübte.
Aber das immer härtere Vorgehen Israels im Gaza-Streifen als Vergeltung für den Hamas-Angriff macht es der Bundesregierung in Berlin zunehmend schwer, sich zu positionieren. Der jetzige Bundeskanzler Friedrich Merz sagte vor einigen Tagen: "Das, was die israelische Armee im Gazastreifen macht, ich verstehe - offen gestanden - nicht mehr, mit welchem Ziel." Die Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft zu nehmen, lasse sich nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen. Folgen blieben aber aus. Deutsche Waffenlieferungen an Israel beispielsweise gehen weiter.
Angst vor einer neuen Eskalation
Israel verteidigt seine jüngsten Angriffe auf den Iran mit einer "unmittelbaren und existenziellen Bedrohung" durch den Iran. Verteidigungsminister Israel Katz sprach von einem "Präventivschlag". Der Iran stand angeblich kurz davor, die Atombombe zu entwickeln. Das habe Israel verhindern wollen.
Die Bundesregierung teilt die Bedenken Israels grundsätzlich. In einer Presseerklärung bekräftigte Bundeskanzler Friedrich Merz am Morgen nach dem Angriff, "dass Israel das Recht hat, seine Existenz und die Sicherheit seiner Bürger zu verteidigen". Er habe mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu telefoniert. Netanjahu habe ihn über die Militäraktionen und deren Ziele informiert.
Weiter heißt es: "Die Bundesregierung hat ihre Sorge über das weit vorangeschrittene iranische Atomwaffenprogramm seit vielen Jahren immer wieder zum Ausdruck gebracht. (...) Dieses Nuklearprogramm verstößt gegen die Bestimmungen des Atomwaffensperrvertrages und ist eine ernsthafte Bedrohung für die gesamte Region, insbesondere für den Staat Israel." Ziel müsse bleiben, "dass der Iran keine Nuklearwaffen entwickelt".
Europa als Zaungast
Die Reaktion der Bundesregierung sei erwartbar gewesen, sagt Hans-Jakob Schindler, Nahostexperte von der internationalen Organisation Counter Extremism Project. Deutschland spiele im Konflikt im Nahen Osten nur eine Nebenrolle und sei nicht in der Lage, aktiv zu vermitteln. "Sicherlich könnte man sich da anbieten. Aber jetzt sind die direkten Verhandlungen der USA mit den Iranern entscheidend", so Schindler im DW-Gespräch. "Das Verhandlungsformat der Vergangenheit, also Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die USA mit den Iranern, ist nicht mehr Teil dieser Formel. Die Europäer sind in diesem Konflikt mittlerweile leider mehr Zaungäste als Akteure."
Schindler glaubt nicht, dass die aktuelle Eskalation etwas an den Leitlinien der deutschen Israel-Politik ändern wird. "Wir sind eben nicht jedes andere Land, sondern wir sind Deutschland mit der Geschichte des Holocaust. Insofern gibt es überhaupt keine andere moralische und ethische Wahl, als sich solidarisch mit Israel zu zeigen." Das heiße jedoch nicht, dass man automatisch jede einzelne Operation der israelischen Armee und jede Entscheidung der israelischen Regierung gutheißen müsse, so Schindler weiter. "Die neue Bundesregierung war da sehr viel mehr bereit zu kritisieren als die Vorgängerregierung."
Zwischen "Staatsräson" und "Zwangssolidarität"
Angesichts des Vorgehens der israelischen Streitkräfte in Gaza waren zuletzt die kritischen Stimmen zur Regierung Netanjahu lauter geworden, auch innerhalb der deutschen Regierungskoalition aus konservativen Unionsparteien CDU und CSU und den Sozialdemokraten.
Manche Mitglieder der Bundesregierung scheinen zu befürchten, von Israel vereinnahmt zu werden. Man lasse sich von Israel nicht unter Druck setzen, sagte Außenminister Johann Wadephul Ende Mai. Man lasse sich nicht "in eine Position bringen, dass wir zu einer Zwangssolidarität gezwungen werden. Die wird es in der Form nicht geben können."
Zum iranischen Vergeltungsschlag auf Israel äußerte sich Wadephul nun bei einem Besuch in Kairo: "Den unterschiedslosen iranischen Angriff auf israelisches Staatsgebiet verurteilen wir auf das Schärfste", sagte der CDU-Politiker. "Zur Stunde greift Iran Israel mit hunderten Drohnen an. Es gibt Berichte über erste Verletzte. Diese Entwicklungen sind mehr als besorgniserregend." Israels Außenminister Gideon Saar habe ihn nach Beginn der Angriffe informiert.
Wie weit reicht das Recht auf Selbstverteidigung?
Nach dem israelischen Angriff hatte der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich im Deutschlandfunk gesagt, Israel habe ein Recht auf Selbstverteidigung. Das sei aber gebunden an eine unmittelbare Gefahr und eine existenzielle Bedrohung. Ob Israel dies habe nutzen können, werde sicher im UN-Sicherheitsrat behandelt. Mützenich unterstrich zugleich die Gefährlichkeit des iranischen Atomprogramms. "Teheran hat immer an dieser Spirale gedreht, unverantwortlich", sagte er.
Die Frage, ob Israels Angriff völkerrechtlich legitim war, wird kontrovers diskutiert. Völkerrechtler weisen darauf hin, dass ein Präventivschlag nur unter sehr engen Voraussetzungen gerechtfertigt sei – etwa bei einer unmittelbar bevorstehenden Bedrohung, die nicht anders abwendbar ist.
"Das ist keine Selbstverteidigung, sondern ein völkerrechtswidriger Angriff", sagt Jan van Aken, Vorsitzender der Partei Die Linke, im DW-Gespräch. "Natürlich dürfen Länder sich selbst verteidigen gegen Angriffe. Aber hier lag kein akuter Angriff mit Atomwaffen vor. Im Gegenteil: dadurch, dass die internationalen Kontrolleure im Iran sind, weiß man, dass der Iran aktuell überhaupt kein hoch angereichertes Uran hat im Bereich von 90%“, was für eine Bombe benötigt werde, so van Aken. Durch den Angriff fielen die Kontrollen weg. Deshalb werde der Iran nun schneller in der Lage sein, eine Bombe zu bauen, "als wenn wir weiter auf kluge Diplomatie gesetzt hätten."
Von der Bundesregierung erwartet van Aken, sich der Forderung nach einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates anzuschließen. "Das ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht, das muss verurteilt werden.“ Die Bundesregierung müsse jetzt alles dafür tun, dass die Verhandlungen um einen neuen Atomdeal mit dem Iran nicht abgebrochen werden. Deutschland habe "eine ganz besondere Verantwortung für Israel, für das Existenzrecht Israels und für die Sicherheit Israels. Das wird niemals zu Ende sein. Aber das darf uns nicht davon abhalten, völkerrechtswidrige Kriegsführung in Gaza oder gegen den Iran zu kritisieren und entsprechende Schritte einzuleiten, wie die Anerkennung des Staates Palästina, wie die Einstellung der Waffenlieferung."
Sicherheit jüdischer Einrichtungen in Deutschland
Unterdessen sehen einige Politiker mit der Eskalation zwischen Israel und dem Iran auch Gefahren für die Sicherheitslage in Deutschland. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) kündigte an, in Absprache mit den Innenministern der Länder, die Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz jüdischer und israelischer Einrichtungen in Deutschland zu verstärken. Damit sei man gewappnet für den Fall, dass sich aus der Situation in Nahost eine mögliche Bedrohungslage in Deutschland entwickeln sollte. Das israelische Außenministerium teilte mit, weltweit alle Konsulate und Botschaften des Landes zu schließen.