1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikIsrael

Israel-Hamas-Konflikt: Wie Israel den Häuserkampf trainiert

17. Oktober 2023

Israels Armee zählt zu den am besten ausgebildeten Streitkräften im Häuserkampf. Doch das beste Training kann nur im Ansatz auf diese Art der Kriegführung vorbereiten, die jetzt in Gaza bevorsteht.

Eine gruppe israelischer Soldaten gibt einer Vorhut Deckung: Häuserkampf-Manöver auf dem Militärübungsgelände UWTC (Urban Warfare Training Centre) in der Negev-Wüste.
Häuserkampf-Manöver auf dem Militärübungsgelände UWTC (Urban Warfare Training Centre) in der Negev-WüsteBild: Jack Guez/AFP/Getty Images

Eine Autostunde vom Gazastreifen entfernt trainiert die israelische Armee schon seit zwei Jahrzehnten den Häuserkampf: Zum Militärstützpunkt beim Kibbuz Tse'elim in der Negev-Wüste gehört die künstliche Manöver-Stadt "Baladia City". Auf Fotos und Satellitenaufnahmen sind weiße Häuserklötze zu sehen, ähnlich wie im Gazastreifen, das Gelände ist dicht an dicht bebaut.

Ein Moscheebau gehört dazu, ein Krankenhaus und voll eingerichtete Wohnungen. An den Wänden: anti-israelische Graffiti. Unter den westlichen Streitkräften zählen die Israelis zu den im Häuserkampf am besten ausgebildeten Armeen.

"Das sind sehr gut vorbereitete israelische Streitkräfte, die besten der Welt für so etwas", sagt Frank Ledwidge, Experte für Militärstrategie an der britischen Universität Portsmouth im DW-Interview. 

In der Manöver-Stadt "Baladia City" in der Negev-Wüste trainiert die israelische Armee den Häuserkampf Bild: Jack Guez/AFP/Getty Images

Doch jede Vorbereitung sei nur eine Annäherung an die Wirklichkeit, der Israel jetzt im nördlichen Gazastreifen gegenüberstehe, ist der deutsche Sicherheitsexperte Christian Mölling in einem Gespräch mit der DW überzeugt.

"Man kann das üben, ja, aber das bedeutet ja nicht, dass man damit alle Verluste auf der eigenen Seite und auf der Gegenseite ausschließen kann. Ich glaube, man lernt eher dabei, dass genau das nicht möglich ist", sagt der Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). In Gaza seien Hamas-Kämpfer kaum von Unbeteiligten zu unterscheiden.

Auch Bundeswehr-Soldaten in "Baladia City"

Israel hat die Trainingsstadt in der Wüste mit ihren weißen Formbeton-Häusern 2004 mit Hilfe der US-Armee gebaut. US-Marines und UN-Blauhelme wurden hier ausgebildet. Auch die deutsche Bundeswehr hat hierhin seit 2015 Krisenreaktionskräfte und Gebirgsjäger für das Training im Häuserkampf  entsandt. 

Im Gazastreifen kommt auch noch erschwerend das fast flächendeckende Tunnelsystem der Hamas hinzu. Die militant-islamistische Organisation wird von den USA und der Europäischen Union, darunter auch Deutschland, als Terrororganisation eingestuft.

Raketenwerfer aus dem geheimen Tunnel-Zugang

Während der vergangenen zwei Jahrzehnte haben die Hamas-Terroristen das verzweigte Tunnelsystem immer weiter auf heute 500 Kilometer Länge ausgebaut. Es liegt teilweise 30 Meter tief und soll an manchen Stellen von Autos befahrbar sein.

Die israelische Armee hat dort Falltüren entdeckt, durch welche die Hamas Raketenwerfer schnell an die Oberfläche bringen kann, um sie nach dem Abschuss wieder verschwinden zu lassen.

Tunnelbauer in Gaza: Hier ein Schmugglertunnel in Rafah im Süden des Gazastreifens 2010Bild: picture alliance/landov

Auch die Terroristen können im Häuserkampf auftauchen und gleich wieder verschwinden. Die hochmoderne Elektronik der Israelis zur Aufklärung ist im Untergrund weitgehend wertlos. Es sei denn, es gelingt, die Tunnel mit winzigen High-Tech-Drohnen auszuspionieren.

Schwierige Suche nach Hamas-Führungspersonal

"Die israelische Armee wird versuchen, so viel Infrastruktur der Hamas zu lokalisieren wie irgendwie möglich, also Stützpunkte in ihrem Tunnelsystem und auch Führungspersonal", analysiert DGAP-Forscher Mölling.

Doch die Terrororganisation habe in den vergangenen Jahren "sehr erfolgreich" ihr Führungspersonal abschirmen können. Möglich sei es jedoch, dass die Israelis Tipps von Agenten aus dem Gazastreifen erhielten.

"Die Hamas hat eine riesige Sicherheitslücke genutzt. Das müssen die Israelis jetzt stoppen" - Christian MöllingBild: DGAP

"Aber dann kommen wir wieder zurück zum Problem Nummer eins: Zu wissen, wo jemand ist, bedeutet noch nicht, dass man ihn oder sie dann zu fassen bekommt, wenn man sich quasi durch eine riesige Ansammlung von menschlichen Schutzschilden durcharbeiten muss und nicht einfach auf die Menschen schießen kann", so Mölling.

Zivilisten sind der Gewalt schutzlos ausgeliefert

Der Häuserkampf gelte eben "seit jeher als der gefährlichste und verlustreichste Einsatz im Krieg". Hunderttausende Zivilisten seien der Gewalt schutzlos ausgeliefert. Denn, so der deutsche Sicherheitsexperte: "Soldaten müssen Entscheidungen innerhalb von Sekunden oder sogar Millisekunden treffen. Und dabei machen sie Fehler. Das lässt sich nicht vermeiden."

Humanitäre Situation in Gaza spitzt sich immer mehr zu

02:34

This browser does not support the video element.

Der US-amerikanische Häuserkampf-Experte John Spencer verweist auf die politischen Folgen, die eine Bodenoffensive mit Häuserkampf für Israel haben könnte. "Die menschlichen Schutzschilde und Geiseln machen das Vorgehen sehr schwierig", sagt Spencer, der an der US-Militärakademie Westpoint lehrt, in einem Interview mit dem deutschen Nachrichtenportal Spiegel.

"Ihr Schicksal hat starken Einfluss darauf, wie die internationale Gemeinschaft auf die Operation blickt", so der ehemalige Major der US-Armee. 

Vergleiche zu Mariupol und Mossul

Spencer geht von einem "Kampf Block um Block, Haus um Haus, Tunnel um Tunnel" aus. Er könne sich an keinen Krieg erinnern, "in dem so viele Geiseln als Schutzschilde, als Verhandlungsmasse, oder als taktisches Mittel benutzt wurden".

Der Krieg, der jetzt in Gaza über Monate drohe, sei am ehesten mit den Kämpfen in der südukrainischen Stadt Mariupol vergangenes Jahr oder mit der Schlacht um Mossul der irakischen Streitkräfte gegen den Islamischen Staat 2016 und 2017 zu vergleichen.

In Gaza schließe sich an die eigentlichen Gefechte der Kampf um die Bilder an: Wie sehr kann Israel den Tod Unschuldiger vermeiden, nicht zuletzt auch den der offenbar fast 200 israelischen und internationalen Geiseln in den Händen der Hamas?

Der britische Militäranalyst Frank Ledwidge: "Israels Armee ist auf den Häuserkampf vorbereitet" Bild: DW

"Israel wird den taktischen Kampf gewinnen", ist Frank Ledwidge aus Portsmouth im DW-Interview mit Blick auf die kommenden Monate überzeugt: "Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Armee den Gazastreifen einnehmen und die Hamas am Boden und wahrscheinlich auch unter der Erde besiegen wird."

Entscheidend sei dabei die nachrichtendienstliche Aufklärung des Kampfgebietes, die parallel laufe. "Was Sie auf Ihren Bildschirmen sehen, ist nur die Vorderseite dessen, was vor sich geht", so Ledwidge.