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Israel-Hamas Krieg: Kann Russland profitieren?

1. November 2023

Russland gibt dem Westen, speziell Washington, die Schuld an der Gewalt in Nahost und sagt, es setze sich für Frieden ein. Aber der Konflikt in Gaza bringe Russland auch Vorteile, sagen Experten.

Menschen stehen in den Trümmern zerbombter Gebäude in Jabaliya im Gazastreifen
Zerstörung im Gazastreifen - aus der Sicht Moskaus sind die USA schuld am Terrorangriff der Hamas und dem daraus resultierenden KonfliktBild: Abed Khaled/AP Photo/picture alliance

Die Amerikaner seien schuld am Terrorangriff der militant-islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Sie seien verantwortlich für die Spannungen im Nahen Osten. Russland dagegen wolle Frieden und tue alles, um den Konflikt zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas zu beenden. Diese Haltung vertritt das offizielle Moskau seit der erneuten Eskalation des Konflikts im Nahen Osten.

Die Wirklichkeit sehe aber anders aus, sagt der russische Nahost-Experte Ruslan Sulejmanow im Gespräch mit der DW. Für Sulejmanow ist klar, dass Russland vom seit fast einem Monat dauernden aktuellen Israel-Hamas-Konflikt profitiere und daran interessiert sei, dass dieser noch lange dauere. Mehr noch, je größer die Gefahr eines Flächenbrandes sei, desto mehr könne das dem Kreml gefallen, denn das würde Russlands eigentlichem Gegner schaden: den USA.

US-Außenminister Antony Blinken setzt sich auch im UN-Sicherheitsrat für Israel einBild: Shannon Stapleton/REUTERS

Für die Amerikaner sei der Konflikt nämlich eine echte Herausforderung, "eine Art Test" des ganzen Systems, das sie im Laufe der vielen Jahre in der Region aufgebaut hätten und in dem sie zwischen Israel und den arabischen Staaten zu balancieren versuchten: "Russland reibt sich jetzt zusammen mit China die Hände und schaut mit Vergnügen auf die ganze Situation", erklärt Sulejmanow. Außerdem würde es dem Kreml recht sein, dass "Amerika und andere westliche Länder ihre Aufmerksamkeit dem Nahen Osten schenken und nicht mehr der Ukraine. Trotz der Ankündigungen Washingtons, den Krieg an zwei Fronten gleichzeitig führen zu können."

Auch der vor kurzem nach Israel ausgewanderte russische Politikwissenschaftler Konstantin Pachaljuk glaubt, dass Moskau sich freue, wenn die Welt nicht mehr von der Ukraine, sondern von Israel spreche, gleichwohl er diese Freude nicht verstehen könne, denn es gehe hier um zwei völlig unterschiedliche Kriege.

"Was habt ihr Russland überhaupt vorzuwerfen?"

Der Deutschen Welle nennt er zwei weitere Argumente, warum seiner Meinung nach der Krieg in Nahost Wladimir Putin in die Hände spielt. Erstens könne vor allem die russische Propaganda damit der eigenen Bevölkerung Schrecken einjagen, nach dem Motto: "Schaut her, alle beschuldigen uns, den Krieg in der Ukraine angefangen zu haben. Wir sind so schlecht. Dabei benimmt sich Israel gerade noch schlechter. Und Amerika kann gar nichts ausrichten. Und bald brennt der ganze Nahe Osten und ihr wisst schon, wie sehr der brennen kann." Es drohe also ein noch größerer Krieg, sei die Botschaft, an dem der Westen schuld sei: "Was habt ihr Russland überhaupt vorzuwerfen? Im moralischen Sinne kann uns niemand etwas vorwerfen", sei die Devise.

Beim Sturm auf den Flughafen Machatschkala in Dagestan riefen Randalierer antisemitische ParolenBild: Ramazan Rashidov/TASS/dpa/picture alliance

Zweitens habe Russland nun die Chance, führt Pachaljuk weiter aus, die Nähe zur islamischen Welt zu demonstrieren. Dabei habe Moskau aber keinen spürbaren Einfluss mehr in der Region: weder in Syrien noch im Ägypten oder Iran. Was bleibe, sei der arabischen Welt zu zeigen, dass in Russland viele Muslime lebten und sie alle Palästinenser unterstützen würden, auch wenn die Hamas, die außer von Israel, auch von den USA, der EU, Deutschland und anderen Staaten als Terrororganisation eingestuft wird, nicht mit den Palästinensern gleichzusetzen sei.

Auswirkungen des Kriegs in Nahost auf die Stabilität in Russland

Ganz anderer Meinung ist der in Norwegen lebende russische Politik- und Wirtschaftswissenschaftler Michail Krutichin. Der Krieg in Nahost würde Russland politisch nur schaden, stellt er im DW-Interview fest. Krutichin argumentiert mit den jüngsten antisemitischen Angriffen in gleich mehreren mehrheitlich von Muslimen bewohnten russischen Regionen, allen voran in Dagestan. In der Hauptstadt Machatschkala hatten Tausende aufgebrachte Männer den Flughafen gestürmt, nachdem dort ein Flugzeug aus Tel Aviv gelandet war. Für Krutichin sei das ein deutliches Signal, dass es für dem Kreml immer schwerer wird, die Sicherheit in den Regionen zu gewährleisten: "Ich denke, dass sich das sehr negativ auf die politische Stabilität innerhalb Russlands auswirkt", so Krutichin. Moskau werde sich nach diesen Vorfällen deutlich vorsichtiger verhalten und die antisemitische Rhetorik zurückfahren müssen, um die eigenen Regionen nicht zu destabilisieren.

Antisemitische Ausschreitungen in Dagestan

02:51

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Übrigens habe Russland weder politischen noch wirtschaftlichen Nutzen vom Krieg in Nahost, sagt Krutichin. Der materielle Nutzen wäre nur da, wenn die Ölpreise signifikant gestiegen wären und damit zusätzliches Geld in den russischen Haushalt gespült hätten. Das passiere aber gerade nicht, im Gegenteil, die Preise würden sogar zeitweise sinken, weil keines der ölproduzierenden Länder bereit sei, auf Seiten der Palästinenser in den Krieg zu ziehen. Das Öl aus dem Persischen Golf fließe also unverändert weiter.

Kann Russland im Friedensprozess vermitteln?

Was Russlands Vermittlerrolle im Nahost-Konflikt angeht, so ist Konstantin Pachaljuk aus Israel sicher, dass der umstrittene und von Israel scharf kritisierte Besuch einer Hamas-Delegation in Moskau vor ein paar Tagen keine Bedeutung für den Friedensprozess hatte.

Der Experte betont, dass es in erster Linie um die Befreiung der russischen Geiseln ging. Ein Thema, das zuerst in Katar besprochen und dann nach Moskau verlagert worden sei, "nicht ohne Grund." Ob Moskau tatsächlich bei der Befreiung der Geiseln helfen könne, sei allerdings fraglich, sagt Ruslan Sulejmanow. Man müsse mit anderen "Spielern" verhandeln. Sulejmanow misst dem Hamas-Besuch in Russland keine große Bedeutung zu: "Die Delegation der Hamas in Moskau stellte nur die politische Führung dar. Die Verhandlungen aber werden zurzeit mit dem Kampfflügel der Hamas geführt. Das sind Menschen, die unmittelbar in Gaza sind und sich in den unterirdischen Tunneln verstecken. Sie halten die Menschen als Geiseln." An den Kampfflügel der Hamas könnten aber laut Sulejmanow nur Katar, Ägypten und eventuell auch die Türkei herankommen: "Russland hat diesen Hebel nicht."

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu galt vor dem Krieg in der Ukraine als Freund PutinsBild: Abir Sultan via REUTERS

Darüber hinaus verfolge der Kreml auch ganz andere, persönliche Ziele bei der demonstrativen Kontaktpflege mit der Hamas, vermutet Sulejmanow: "Das Wichtigste ist, glaube ich, dass Putin sich von Netanjahu [Israels Ministerpräsident – Anm. der Red.] persönlich gekränkt fühlt. Netanjahu galt als Putins Freund, er kam oft nach Moskau, nahm an den Feierlichkeiten zum Tag des Sieges teil und so weiter." Und so habe Putin gehofft, dass Benjamin Netanjahu ihn im Krieg gegen die Ukraine unterstützen würde. Doch der Schulterschluss Israels mit Russland blieb aus.

Im Gegenteil, eine Welle der Sympathie gegenüber der Ukraine sei in Israel von Anfang des Ukraine-Kriegs an zu beobachten. Das habe Putin Netanjahu nicht verziehen und räche sich jetzt an seinem Land, erläutert Sulejmanow. Die russische Staatspropaganda würde das bestätigen: In den Fernseh-Talkshows sei fast schon Schadenfreude über den Krieg in Nahost zu spüren. "Putin will offenbar sagen", so Sulejmanow, "Wenn ihr [Israel, Anm. der Red.)] euch so verhaltet, dann werden wir demonstrativ unsere Beziehungen mit dem Iran vertiefen, eurem Erzfeind. Und mit dem Satelliten des Irans im Nahen Osten, der Hamas."

Diese Haltung könnte aber Moskau vor allem in Israel schaden, stellt der in Israel lebende Politikwissenschaftler Pachaljuk fest: "Zweifelsohne irritiert das die Israelis. Ich möchte daran erinnern, dass fast ein Drittel der Bevölkerung hier russisch spricht und mehr oder weniger aus Russland eingewandert ist oder mit Russland verbunden war." Pachaljuk weist darauf hin, dass es nicht wenige russischsprachige Israelis gab, die selbst nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine Russland positiv gegenüber standen, jetzt aber sich "ernste Gedanken darüber machen".