Israel-Iran-Krieg: "Erhebliche Zweifel" an Rechtmäßigkeit
6. Juli 2025
Der Iran steht schon seit langem im Verdacht, in seinen Atomanlagen Uran hoch anzureichern, um damit eine Atombombe zu bauen. Nach Angaben der israelischen Regierung war das Mullah-Regime in Teheran kurz davor, ausreichend Material für einen Nuklearsprengstoff zusammenzubekommen.
Israel startete deshalb die Militäroperation "Rising Lion": In den frühen Morgenstunden des 13. Juni griff die israelische Luftwaffe Atomanlagen im Iran an und tötete in den darauffolgenden Tagen hochrangige iranische Militärs, Nuklearwissenschaftler und - als Kollateralschaden - Zivilisten. Aus Sicht der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ein Akt der Selbstverteidigung.
Am 22. Juni griffen auch die Vereinigten Staaten in den Konflikt ein: Die US-Streitkräfte feuerten auf Befehl von Präsident Donald Trump mit bunkerbrechenden Waffen auf Irans unterirdische Atomanlagen.
Ob das Völkerrecht die israelisch-amerikanischen Angriffe auf den Iran erlaubt, ist nach Einschätzung vieler Experten aber fraglich. Nun hat der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages dazu ein Gutachten erstellt, das der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vorliegt. Die Experten in Deutschlands Hauptstadt Berlin äußern darin "erhebliche Zweifel" an der Rechtmäßigkeit der Iran-Attacken Israels und der USA.
Die "ganz überwiegende Zahl der Völkerrechtler" sehe die Kriterien für eine "Selbstverteidigungslage" Israels nach Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen nicht als erfüllt an, heißt es in der 54-seitigen Expertise, die vom Abgeordneten Ulrich Thoden von der Partei Die Linke in Auftrag gegeben wurde.
Urteil der Völkerrechtslehre "nahezu einhellig"
Israel hätte nach Ansicht der Wissenschaftler beweisen müssen, dass der Iran unmittelbar vor dem Bau einer Atomwaffe stand. "Die Herstellung von ausreichend spaltbarem Material im Rahmen des iranischen Atomprogramms ist dabei nur ein notwendiger Zwischenschritt", zitiert dpa aus dem Gutachten.
Außerdem hätte dargelegt werden müssen, dass der Iran die feste Absicht hatte, eine solche Waffe gegen Israel einzusetzen und dass die Militäroperation "Rising Lion" wirklich die letzte Gelegenheit war, den Bau der Atombombe zu verhindern. All dies sei "nach dem nahezu einhelligen Urteil der Völkerrechtslehre" nicht hinreichend geschehen.
Zwar sei es nicht ausgeschlossen, dass Geheimdienste noch über Informationen verfügten, die noch nicht öffentlich kommuniziert worden seien und die Faktenlage noch ändern könnten. "Gleichwohl steht Israel jetzt in der Pflicht, sein militärisches Handeln gegen den Iran jetzt rechtlich zu begründen", so der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages.
Zweifel auch am "Rechtfertigungsnarrativ" der USA
Auch das Eingreifen der USA in den Krieg wäre nach Ansicht der Bundestagswissenschaftler nur vom Völkerrecht gedeckt, wenn die israelischen Angriffe völkerrechtskonform wären, woran es "erhebliche Zweifel" gebe. Deswegen lasse sich die US-Militäroperation "entgegen dem amerikanischen Rechtfertigungsnarrativ" nicht auf das Recht auf kollektive Selbstverteidigung stützen, heißt es in dem Gutachten.
Nach dem Start der israelischen Militäroperation "Rising Lion" griff auch der Iran Ziele in Israel an - mit Drohnen und Raketen. Dabei wurden auch dort Wohngebiete und sogar Krankenhäuser getroffen - ob die iranischen Truppen mit Absicht oder versehentlich dorthin zielten, ist unklar. Wie im Iran kamen auch in Israel in den elf Tagen des Konflikts zahlreiche Zivilisten ums Leben. Am 25. Juni trat eine Waffenruhe in Kraft, auf die sich Israel und der Iran geeinigt hatten.
Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags erstellen im Auftrag einzelner Abgeordneter oder Parlamentsgremien Expertisen. Es gibt acht thematisch spezialisierte Fachbereiche sowie den Fachbereich Europa. Sie sollen mit ihrer Expertise die Arbeit des Parlaments unterstützen. "Sie sind ein wichtiges Informationszentrum des Deutschen Bundestages, das die Abgeordneten bei der Ausübung ihres Mandates unterstützt", heißt es auf der Internetseite des Parlaments in Berlin.
In dem aktuellen Gutachten, das vom 3. Juli datiert, warnen die Autoren davor, das Selbstverteidigungsrecht zur Durchsetzung sicherheitspolitischer Interessen zu missbrauchen. Es würden gute Gründe dafür sprechen, völkerrechtliche Normen "nicht über Gebühr zu strapazieren und zu überdehnen und das Gewaltverbot dadurch auszuhöhlen", heißt es in dem Bericht. Gemeint sind damit Regelungen im Völkerrecht, die trotz des Verbots die Anwendung von Gewalt rechtfertigen - also zum Beispiel das Selbstverteidigungsrecht.
Linken-Politiker: Ohrfeige für Schwarz-Rot
Der Linken-Politiker Thoden sieht die These der Völkerrechtswidrigkeit der Angriffe durch das Gutachten belegt. Es sei daher "auch eine Ohrfeige für die Bundesregierung", sagte er der dpa. "Die Duldung bis Unterstützung der Bundesregierung der Angriffe Israels und der USA war somit auch ein Rechtsbruch und leistet der weiteren Erodierung des Völkerrechts Vorschub."
Die Bundesregierung hat sich bisher nicht zu der Frage geäußert, ob die Angriffe Israels und der USA auf den Iran aus ihrer Sicht völkerrechtswidrig sind. Bundeskanzler Friedrich Merz hat sich aber klar hinter die Militäroperationen gestellt.
Kurz nach dem Kriegseintritt der USA sagte der deutsche Regierungschef: "Es gibt für uns und auch für mich persönlich keinen Grund, das zu kritisieren, was Israel vor einer Woche begonnen hat, und keinen Grund, das zu kritisieren, was Amerika am vergangenen Wochenende getan hat. Es ist nicht ohne Risiko. Aber es so zu belassen, wie es war, war auch keine Option."
AR/wa/pgr (dpa)
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