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Streit um Siedlerprodukte

Daniella Cheslow/ kk12. November 2015

Die EU will Produkte aus den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten kennzeichnen. Die Entscheidung sorgt in Israel für Empörung. Ihre Wirkung ist umstritten. Daniella Cheslow berichtet aus dem Westjordanland.

Handel mit Wein aus den besetzten Gebieten, 08.11. 2015 (Foto: Reuters)
Handel mit Wein aus den besetzten GebietenBild: Reuters/B.Ratner

Esther Kluge aus Ulm ist entsetzt. Während ihres Besuchs in Israel und den besetzten Gebieten hörte sie von einer EU-Verordnung, der zufolge Produkte aus den israelischen Siedlungen im Westjordanland als solche kenntlich zu machen sind. Für Kluge hat diese Entscheidung weitreichende Folgen: "Europa schneidet sich selbst vom Segen ab", sagt die Aktivistin vom Verein "Christen an der Seite Israels" im Gespräch mit der DW.

Kluge war auch aus geschäftlichen Gründen in Israel und im Westjordanland. Sie besuchte Weingüter und eine Olivenfarm. Sie suchte Produkte, die sie zur Weihnachtszeit in Deutschland verkaufen könnte.

Sorge um den Absatz

Am Mittwoch dieser Woche verabschiedete die EU-Kommission eine neue Leitlinie. Diese verpflichtet israelische Unternehmer in Siedlungen im Westjordanland, in Ost-Jerusalem und auf den Golanhöhen, die Herkunft ihrer Produkte vor dem Export in die EU zu kennzeichnen.

Israelische Unternehmer im Westjordanland sind besorgt: Sie fürchten, die neue Regelung könnte einen Boykott ihrer Produkte auslösen. Um ihre Umsätze zu halten, wenden sie sich nun an evangelikale Christen und Kunden in Fernost. Beide Kundengruppen, so die Annahme, dürften sich an der Herkunft der Waren nicht stören.

Der Text des EU-Dokuments ist eindeutig: "Da die Golanhöhen und das Westjordanland (einschließlich Ost-Jerusalem) nach internationaler Rechtsprechung nicht Bestandteil des israelischen Territoriums sind, wird die Kennzeichnung "Produkt aus Israel" als falsch und irreführend angesehen." Israelische Produkte aus diesen Gebieten müssen durch den Ausdruck "israelische Siedlung" gekennzeichnet sein.

Empört über die Kennzeichnung: der israelische Premier NetanjahuBild: Getty Images/AFP/B. Smialowski

Scharfe Reaktionen aus Israel

Die Reaktion aus Israel folgte prompt. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verglich die Entscheidung der Europäischen Union mit dem Boykott jüdischer Geschäfte durch die Nazis.

"Die Kennzeichnung der Erzeugnisse des jüdischen Staates durch die Europäische Union bringt dunkle Erinnerungen zurück", sagte er während eines Besuches in Washington.

Der israelische Energieminister Yuval Steinitz erklärte, er könne den Schritt nicht anders denn als "verschleierten Antisemitismus" verstehen.

Hochrangige israelische Beamte sagten, die EU messe mit zweierlei Maß. Sie wiesen darauf hin, dass auch die Produkte anderer besetzter Gebiete - Nord-Zypern, Westsahara oder Tibet - nicht gekennzeichnet werden müssten.

Nach Schätzungen des israelischen Wirtschaftsministeriums könnte die Regelung den Gewinn der in den Siedlungen gelegenen Unternehmen um 47 Millionen Euro schmälern. Das ist rund ein Viertel des Gesamterlöses. Angesichts des im israelisch-europäischen Handel erzielten jährlichen Volumens von rund 30 Milliarden Euro wäre das eine überschaubare Summe.

"Eine schreckliche Entscheidung"

In den schroffen Hügeln östlich von Ramallah produziert der Winzer Yaakov Berg rund 250.000 Flaschen Wein pro Jahr. Er exportiere mehr als zwei Drittel davon, erklärt er. Nach Europa verschicke er jährlich rund 35.000 Flaschen.

"Die Entscheidung ist schrecklich", kommentiert Berg die neue EU-Leitlinie. "Es erinnert an ein Europa, das wir eigentlich vergessen wollten."

Er habe allerdings in eine Initiative investiert, die Produkte aus den Siedlungen und Israel weltweit vermarkten soll. Zwar mache er sich Sorgen, räumt er ein. "Aber ich werde versuchen, die Folgen der Verordnung ins Positive zu wenden. Wir werden sicherstellen, dass der Zweck der Verordnung sich in sein Gegenteil verkehrt."

Auch kennzeichnungspflichtig: Pflegeprodukte vom Toten MeerBild: picture alliance/Nico Tondini/robertharding

Verschiedene Branchen betroffen

Nicht nur Winzer unterliegen der Verordnung. Auch Unternehmen anderer Branchen sind betroffen. So etwa die am Toten Meer gelegene Kosmetik-Firma Ahava. Ebenfalls betroffen sind Produzenten von Olivenöl, Obst- und Gemüsebauern sowie die Dattelzüchter im Jordantal.

Avi Roeh, der Sprecher des Dachverbandes der Siedlergruppe, sagt, seine Organisation habe einen Protestbrief an die EU gerichtet. "Wir betrachten die Verordnung als Beschädigung der Souveränität Israels", erklärt er. Roeh weist darauf hin, dass die Produkte aus den Siedlungen ohnehin bereits zusätzlichen Einfuhrzöllen unterlägen. Von diesen seien innerhalb der israelischen Staatsgrenzen produzierte Artikel befreit.

Die israelische Regierung leiste den in den Siedlungen gelegenen Unternehmen entsprechende Ausgleichzahlungen, erklärt Roeh. Er erwarte nun, dass ähnliche Hilfen auch für die durch die Kennzeichnungsvorschrift entstandenen Schäden greife.

Roeh weist zudem darauf hin, dass in den israelischen Unternehmen in der Westbank rund 80.000 Palästinenser arbeiten. Sie würden die Auswirkungen eines Boykotts als erste spüren.

Palästinenser begrüßen die Entscheidung

Palästinenservertreter bewerten die Entscheidung anders. Mohammed Al-Arqawi, stellvertretender Generalsekretär der palästinensischen Arbeitergewerkschaft, erklärt, seine Organisation begrüße die Kennzeichnung - und zwar ungeachtet möglicher Auswirkungen auf palästinensische Arbeitnehmer.

"Menschen, die sich ernsthaft um palästinensische Arbeiter sorgen, sollten aktiv werden, um die zielgerichtete Zerstörung der palästinensischen Wirtschaft sowie der Ausbeutung und Unterdrückung des palästinensischen Volkes zu beenden", erklärte er.

Er könne noch nicht sagen, ob die EU-Leitlinien Auswirkungen auf seinen 2013 gegründeten Betrieb hätten, erklärt der palästinensische Winzer Canaan Khoury. Er exportiert etwa ein Zehntel seiner jährlich rund 30.000 Flaschen. Die nun geforderte Kennzeichnung der Produkte begrüßt er.

"In der Nähe unseres Dorfes gibt es drei israelische Siedlungen", sagt Khoury. "Sie werden bei der Wasserversorgung bevorzugt behandelt. Entsprechend schwierig ist es für mich, die Weingärten zu bewässern. "

Erweiterung der Siedlung Kirjat Arba im Westjordanland, 23.04. 2012Bild: picture-alliance/dpa/A. Hashlamoun

"Hochwertige koschere Weine"

Die israelische Weinproduktion in der Westbank sei in den letzten 15 dramatisch gestiegen, sagt der israelische Weinexperte Tal Gal Cohen. Dies liege teils an den staatlichen Investitionen in israelische Weingüter, teils an der idealen Höhenlage sowie den scharfen Temperaturunterschieden zwischen Tag und Nacht. Die Weine seien kräftiger und hätten mehr Geschmack und Aroma als die in Galiläa angebauten, erklärt Cohen.

Obwohl einige Winzer einen europäischen Boykott fürchten, bezweifle er, dass die neuen Regelungen größeren Schaden anrichten. "Für die Juden auf der ganzen Welt spielt das keine Rolle", sagte er. "Sie suchen hochwertige koschere Weine."

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