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Etgar Keret: "Israels Demokratie in Gefahr"

Uri Schneider
16. März 2023

In Israel reißen die Proteste gegen die von Premier Benjamin Netanjahu geplante Justizreform nicht ab. Kulturschaffende sehen Israels Demokratie in Gefahr. Der Schriftsteller Etgar Keret erklärt warum.

Buchautor Etgar Keret
Der israelische Schriftsteller Etgar Keret 2020 beim Weltliteraturfestival in Zagreb in KroatienBild: Anto Magzan/ZUMAPRESS.com/picture alliance

Keret gehört zu den Superstars der israelischen Literaturszene. Derzeit widmet ihm das Jüdische Museum in Berlin eine eigene Ausstellung. Vorgestellt werden Werk und Leben des 1967 in Israel geborenen Autors. Keret, ein Meister der Kurzgeschichte, hat pointierte politische Ansichten, auch zu den anhaltenden Protesten gegen eine Justizreform in seinem Land.

"Alle Demonstrierenden haben eines gemeinsam", sagte Keret bereits im Februar in einem Interview mit dem aus Israel berichtenden Journalisten Uri Schneider, "sie wollen nicht, dass man ihnen die Demokratie raubt."

Israel: Proteste gegen geplante Justizreform

03:27

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Keret gehört auch zu den Unterzeichnenden eines Schreibens an die Botschafter Deutschlands und Großbritanniens in Israel. Rund 1000 israelische Künstlerinnen, Schriftsteller und Intellektuelle hatten darin die Absage der Antrittsbesuche von Regierungschef Netanjahu in Berlin und London gefordert.

Nach einem Bericht der israelischen Tageszeitung "Haaretz" begründeten die Kulturschaffenden ihren Vorstoß so: Israel befinde sich in der schwersten Krise seiner Geschichte und "auf dem Weg von einer lebendigen Demokratie zu einer theokratischen Diktatur". Neben Keret setzten auch der Schriftsteller David Grossmann und die Bildhauerin Sigalit Landau ihre Namen unter das Papier. Dessen ungeachtet traf Netanjahu an diesem Donnerstag in der deutschen Hauptstadt ein, wo Treffen mit Bundeskanzler Scholz und Bundespräsident Steinmeier auf dem Programm standen.

Israels Premier Netanjahu bei seiner Antrittsvisite in Deutschland, hier bei einem Besuch des Mahnmals "Gleis 17" in Berlin Bild: Matthias Rietschel/REUTERS

Die Kritik der Protestierenden

Mehr Macht für die Regierung, weniger rechtsstaatliche Kontrolle durch eine unabhängige Justiz: Kritiker werfen Netanjahu und seiner rechtsreligiösen Koalition vor, die Judikative zu schwächen und damit die Demokratie zu untergraben. Die seit Dezember amtierende Regierung in Jerusalem will mit der Reform unter anderem ihren Einfluss bei der Auswahl von Richtern stärken. Die Befugnisse des Obersten Gerichtshofs sollen eingeschränkt werden. Sie begründet dies mit dem Vorwurf, Richter hätten sich in die Politik eingemischt. Netanjahu, der mit Ultraorthodoxen und Rechtsextremen koaliert, muss sich derzeit wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht verantworten. "Der ganze Staat", sagt Keret, "ist Geisel dieses Mannes, der sich - wie Nero oder Caligula - für wichtiger als den Staat hält."

Anhaltende Proteste in Israel gegen die geplante JustizreformBild: Tania Krämer/DW

"Diese Protestbewegung braucht keine Schriftsteller, die die Welt erklären", so Keret im Interview. "Jeder liberale Demokrat versteht, dass ein Gerichtshof unter der Kontrolle des Ministerpräsidenten ein schwacher Gerichtshof ist." Gleiches gelte, wenn die Regierung einen "frauenfeindlichen, homophoben Rassisten" im Erziehungsministerium einstelle. "Dann lernt mein Sohn frauenfeindliche und homophobe Einstellungen. Um das zu verstehen, musst Du kein Genie sein. Das kapiert jeder." 

Breite Protestbewegung

Nach Kerets Beobachtung vereint die Protestbewegung die Menschen in Israel, über politische Gräben hinweg: "Ich war mein Lebtag nicht auf Demonstrationen mit so vielen Menschen, mit denen ich fast nichts gemeinsam habe", berichtet der Schriftsteller. "Links von mir sind Hipsters mit einem Joint im Mund, rechts High Tech Unternehmer und hinter mir Kommunisten. Eine Spannbreite von Reichen und Armen, Leuten aus der Armee und Kriegsdienstverweigerern." Allen gemeinsam sei die Furcht vor dem Verlust der Demokratie.

Besonders ältere Menschen gingen auf die Straße. Aus gutem Grund, so Keret, denn Israel sei ein Einwanderungsland. "Ein Großteil der Menschen, die hierhin kamen, taten dies, weil sie zusehen mussten, wie die Demokratien, aus denen sie kamen, zusammenbrachen." Vor allem die Älteren prägten heute das Bild der Demonstrationen: "Sie sind es, die Woche für Woche kommen. Im Regen. In der Kälte. Vielleicht weil sie wissen, welchen Preis wir zahlen werden, wenn diese Pläne der Regierung durchkommen."

Religiöse Fundamentalisten in der Regierung

Der 1948 gegründet Staat Israel definiere sich als jüdisch und demokratisch, so Keret. "Aber eigentlich ist es ein jüdischer Staat, der als Hobby auch demokratisch ist." Wer mit Mitgliedern des religiösen Lagers spreche, bekomme zu hören: "Demokratie ist ein vorübergehendes Phänomen." Das Judentum habe es vorher gegeben und werde es auch nach der Demokratie geben. "Die Schwächung der Demokratie ist ihnen völlig egal, denn am Ende bestimmt ohnehin nur Gott."

Das Interview führte Uri Schneider.