Israel und der Arabische Frühling
2. Juli 2012Als die staatliche ägyptische Erdgasgesellschaft Ende April den Liefervertrag mit Israel aufkündigte, sorgte das dort für besorgte Mienen. Und nicht nur, weil Israel rund 40 Prozent seines Bedarfs über Gasleitungen aus dem Sinai bezieht, sondern weil die Gaslieferungen einer der zentralen wirtschaftspolitischen Bestandteile des 1979 mit Ägypten abgeschlossenen Friedensvertrages sind. Nach außen gab sich Premierminister Benjamin Netanjahu kühl und unbeeindruckt: "Es handelt sich um einen geschäftlichen Konflikt zwischen zwei Unternehmen - zwischen einer privaten israelischen Gesellschaft und dem ägyptischen Gaskonsortium." Die israelische Regierung stehe in ständigem Kontakt mit der ägyptischen Führung und er könne sagen, dass es hier nicht um Politik gehe, diktierte Netanjahu in die Mikrophone der Journalisten. Israel werde darauf bestehen, dass die Lieferverpflichtungen eingehalten werden - notfalls mit einer Klage vor internationalen Gerichten.
Der Streit um das Gas, das der frühere ägyptische Präsident Hosni Mubarak Israel zu Vorzugspreisen liefern ließ, ist nur ein Beispiel dafür, dass die Spannungen zwischen Israel und seinen Nachbarn zunehmen.
Israelische Befürchtungen
Marc Berthold von der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv glaubt trotzdem nicht, dass Israel durch den Arabischen Frühling stärker isoliert ist als vor dem Beginn der politischen Umwälzungen im Nahen Osten. "Die Bedrohungslage und Wahrnehmung hat sich in Israel aber natürlich geändert. Denn die Befürchtungen, die Israel von Anfang an hatte, während Europa sehr euphorisch war, scheinen sich - besonders mit Blick auf Ägypten und Syrien - ja eher zu bestätigen."
Während es noch völlig offen ist, wie es in Ägypten weitergehen wird und ob sich der wachsende Einfluss der Islamisten auch außenpolitisch bemerkbar macht, verfolgen die Entscheidungsträger in Israel vor allem die Entwicklung in Syrien mit Argusaugen, meint Berthold gegenüber der DW: "Das Chaos in Syrien ist vor allem eine Katastrophe für die Menschen dort, doch es könnte auch in Zukunft Auswirkungen auf Israel haben.“
Den Israelis seien allerdings die Hände gebunden: Jede Unterstützung der Opposition in Syrien - selbst verbal - würde die Regimegegner in der arabischen Welt unmöglich machen. Für Oppositionelle im Nahen und Mittleren Osten ist schon der Vorwurf, Berührungspunkte mit Israel zu haben, die reinste Horrorvision. "Die Israelis können sich gar nicht lautstark zu Wort melden, denn die Opposition würde eher unterminiert, wenn der Vorwurf gemacht werden könnte, dass sie von außen und von Israel gesteuert wird", erklärt Marc Berthold die Zurückhaltung der israelischen Regierung, wenn es um den Konflikt in Syrien geht. Die Israelis könnten nur beobachten, was sich an den Grenzen tut: ob sich der Konflikt weiter in den Libanon ausdehnt oder ob Assad sogar als Ablenkungsmanöver einen Konflikt mit Israel heraufbeschwört.
Der ehemalige Botschafter Israels in Deutschland, Avi Primor, bringt es im Gespräch mit der Deutschen Welle auf den Punkt: "Israel muss immer auf alle Möglichkeiten vorbereitet sein - ganz egal wie es in Syrien weitergeht." Und solange es rein theoretisch möglich ist, dass Assad den innersyrischen Konflikt für sich entscheidet, müssten Israels Regierung und Armee auch für diesen Fall gerüstet sein.
Eiszeit zwischen Ankara und Jerusalem
Lange Jahre hatte das enge türkisch-israelische Verhältnis die Position Israels in der Region gestärkt. Die Türkei vermittelte sogar Friedensgespräche zwischen Israel und Syrien. Doch die aktuelle Krise in den Beziehungen zur Türkei, dem früher wichtigsten Partner Israels in der islamischen Welt, hat nichts mit dem Arabischen Frühling zu tun, sondern mit dem Nahostkonflikt.
Nach der Erstürmung der türkischen Gaza-Hilfsflotte durch israelische Sicherheitskräfte am 31. Mai 2010, bei der neun Aktivisten ums Leben kamen, hatten sich die traditionell guten Beziehungen zur Türkei bereits merklich abgekühlt. Nach der Veröffentlichung des Untersuchungsberichts der Vereinten Nationen über den "Flotillen-Zwischenfall" aber fielen sie auf einen neuen Tiefpunkt. Israel wurde in dem UN-Papier das Recht zur Durchsetzung der See-Blockade gegen den von der radikal-islamischen Hamas regierten Gaza-Streifen zugesprochen. Lediglich der Schusswaffeneinsatz gegen die Aktivisten wurde als unverhältnismäßig eingestuft.
Die türkische Regierung reagierte empört und wies am 2. September 2011 den israelischen Botschafter aus. Die intensive militärische Zusammenarbeit mit dem engen US-Verbündeten Israel hatte das NATO-Mitglied Türkei bereits vorher auf Eis gelegt. Die türkische Regierung fordert neben Entschädigungszahlungen für die Familien der Opfer nach wie vor eine offizielle Entschuldigung Israels - bis heute wartet sie vergeblich.
Dass die Beziehungen zur Türkei auf unbegrenzte Zeit gestört sein werden, glaubt Marc Berthold allerdings nicht. Vieles an der martialischen Rhetorik von Ministerpräsident Erdogan und anderer Regierungsmitglieder in Ankara sei ohnehin innenpolitisch motiviert.
Streit um Gasvorkommen
Viel schwerwiegender als das Säbelrasseln im Nachspiel der Gaza-Flotillen-Affäre könnten künftig andere Interessenskonflikte sein, wie etwa der Anspruch der Türkei und Israels auf riesige Rohstoffvorkommen im Mittelmeer. Schon jetzt deuten sich vor allem im Seegebiet zwischen Zypern, dessen Nordteil türkisch besetzt ist, und Israel diese künftigen Konfliktlinien an. Israel und Zypern haben sich im Dezember 2011 bereits über den Verlauf ihrer gemeinsamen Seegrenze und damit über die Nutzung der Bodenschätze im östlichen Mittelmeer geeinigt. Für die Türkei war das ein Affront: Der türkische EU-Minister Egemen Bagis drohte dem EU-Mitglied Zypern sogar mit einer Intervention der türkischen Marine im Streit um die Gasvorkommen.
Ansprüche auf die riesigen Gasfelder erhebt auch der Libanon. Selbst vor der Küste des Gaza-Streifens gibt es Erdgas-Vorkommen, deren Ausbeutung durch die Hamas-geführte Regierung Israel um jeden Preis verhindern will. Syrien als weiterer Anrainer-Staat hat unterdessen andere Sorgen.
Solange nicht klar ist, wohin genau die politische Reise in den Ländern des Arabischen Frühlings geht, übt sich Israel im gewohnten "Wait and See"-Modus: Abwarten und beobachten. Und so bleibt bis auf weiteres für die Israelis der Iran mit seinem Atom-Programm die größte existenzielle Bedrohung - davon ist auch Marc Berthold überzeugt.