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Politik

Israel und der neue Nahe Osten

15. Oktober 2019

Die Militäraktion der Türkei in Nordsyrien droht die geopolitische Ordnung des gesamten Nahen Ostens zu revolutionieren. Davon wäre auch Israel betroffen. Der jüdische Staat sieht sich neuen Herausforderungen gegenüber.

Israel Regierungsbildung | Benjamin Netanjahu & Reuven Rivlin
Bild: Reuters/R. Zvulun

Was eigentlich hatte Trump für Israel getan, als er zunächst Jerusalem als Hauptstadt des jüdischen Staates und dann, im März dieses Jahres, die Golanhöhen als israelisches Territorium anerkannte? Womöglich nicht allzu viel, deutete der ehemalige israelische Premier Ehud Olmert am Wochenende in einem Interview mit der Zeitung "Jerusalem Post" an.

"Es handelt sich um eine reine Deklaration ohne Substanz. Die Golanhöhen wurden im Dezember 1981 annektiert, vor 38 Jahren", sagte Olmert. Trumps Erklärung habe nur eine umso heftigere Kontroverse um die Golanhöhen ausgelöst - und die Aufmerksamkeit der Welt zu einem Zeitpunkt auf sie gelenkt, als kaum noch jemand über sie sprach.

Trumps Strategie sei es, das amerikanische Engagement außerhalb der USA zu reduzieren: "Warum sollten wir also erstaunt über den Rückzieher aus Syrien sein?" An den Konsequenzen aus den jüngsten Wendungen der US-Politik gebe es allerdings keinen Zweifel, so Olmert weiter: Die Israelis müssten sich auf sich selbst verlassen.

Ernüchterung über Trump

So nüchtern Olmerts Analyse, so sehr spiegelt sie ein in Israel derzeit weit verbreitetes Gefühl der Ernüchterung und Sorge angesichts von Präsident Trumps Nahost-Politik, seit einigen Tagen zusätzlich befeuert durch den Rückzug der US-Truppen aus Nordsyrien.

Einmarsch mit Folgen: Rauch über der syrischen Stadt Ras al-AinBild: Reuters/S. Nenov

"Die Regierung Trump hat einen schwerwiegenden und unbedachten Fehler gemacht, der die Kräfte der Hölle im Nahen Osten und höchstwahrscheinlich darüber hinaus weiter entfesselt und für Hunderttausende Zerstörung und Vertreibung bringt", heißt es in der konservativen Zeitung "The Times of Israel".

Die linksliberale Zeitung Haaretz teilt die Analyse, ohne sich einen Seitenhieb auf die konservative politische Szene des Landes verkneifen zu können. "Angesichts des jüngsten Rückschlags ist es fast amüsant, die schwindende Zahl der Trump-Unterstützer in den Medien zu sehen, die nun einige rhetorische Kunststücke brauchen, um die Handlungen des angeblichen Israel-Liebhabers im Weißen Haus zu rechtfertigen."

Auseinandersetzung mit dem Iran

Für Israel kommt der Rückzug der USA aus Nordsyrien zur Unzeit. Seit Jahren sieht sich das Land der Herausforderung durch den Iran gegenüber. Die Regierung in Teheran hat ihr Engagement an der Seite Baschar al-Assads im Syrienkrieg konsequent dazu genutzt, die Präsenz des Iran dort auszubauen. Die iranischen Elitetruppen, die al-Quds-Brigaden, stehen nun so nah wie nie zuvor an den israelischen Grenzen.

Demonstration gegen Israel: Szene vom so genannten Al-Kuds-Tag im Iran, Oktober 2007Bild: picture-alliance/dpa/A. Taherkenareh

Müssten sie da stehen? Nein, sagt Ehud Olmert im Interview mit der "Jerusalem Post". Israel hätte die Truppen nicht erst angreifen dürfen, als sie bereits in Syrien standen, sondern bereits in dem Moment, in dem sie die Grenze dorthin überschritten. Das hätte ihnen frühzeitig klar gemacht, welchen Preis sie für ihr Vorrücken zu zahlen hätten.

Nun aber stehen die Iraner in Syrien und dürften von dort nicht mehr allzu leicht zu vertreiben sein. Vor allem müssten die Israelis sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass sie dem Iran fortan wohl allein gegenüberstünden, schreibt der Polit-Analyst Eyal Tsir Cohen vom Thinktank "Brookings Institution" in Washington. Bislang hatten sie sich auf die USA als unbedingten Verbündeten verlassen können. Diese Annahme sollten die politischen Entscheidungsträger in Jerusalem angesichts des US-Rückzugs aus Kurdistan noch einmal überdenken.

Verhältnis zu den arabischen Staaten

Auch das bisherige System der Partnerschaften mit arabischen Ländern stehe auf dem Prüfstand, so Cohen. Die noch relativ neue Nähe Israels zu Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, die sich in der Auseinandersetzung mit dem Iran ergeben hat, könnte für die arabische Seite absehbar weniger bedeutsam werden. Auf die mutmaßlich iranischen Angriffe auf saudische Ölfelder hätten die USA vergleichsweise zurückhaltend reagiert.

Neuer saudisch-iranischer Verständigungskanal? Die Straße von HormusBild: picture-alliance/dpa/NASA/The Visible Earth

Das könnte für Saudi-Arabien Anlass sein, über die Beziehung zur Schutzmacht USA nachzudenken. Das könnte auch bedeuten, dass die Regierung in Riad gegenüber dem Iran nicht nur auf militärische Stärke, sondern auch auf Diplomatie setzt. Doch dann entfalle die Notwenigkeit, Rücksicht auf Israel zu nehmen, so Cohen. Im Gegenteil, Saudi-Arabien könnte die neue Nähe zum Iran auch durch neue Distanz zu Israel dokumentieren.

Der neue Einfluss des Iran in der Region dürfte zudem um den Russlands ergänzt werden. Bislang haben sich die Kurden im Kampf gegen die türkische Militäroperation allein an die syrische Armee gewandt. Angesicht deren relativer militärischer Schwäche könnten sie aber auch die Russen um Schutz bitten - eine Anfrage, die sich die Regierung in Moskau, Stichwort Ölvorkommen in Nordsyrien, teuer bezahlen lassen dürfte. Politisch und ökonomisch säße Russland dann auch im Norden des Landes im Sattel - und könnte zudem die dort getätigten US-Investitionen als kostenlosen Mitnahmeeffekt verbuchen.

Für Israel stellt sich die Frage, inwieweit es sich mit Russland als gesamtsyrischer Schutzmacht in der Auseinandersetzung mit dem Iran arrangieren wird. Zwar dürfte Russland den Iran einhegen. Zugleich aber dürfte es Israel zumindest in Teilen daran hindern, sich selbst zu verteidigen. Die Hoheit über das Kräfteverhältnis der beiden Kontrahenten läge dann bei Moskau - ein Umstand, der die russische Regierung in der Region massiv aufwerten dürfte.

Ein böses Omen?

Offen ist, wie die anderen arabischen Staaten auf die neue Konstellation reagieren. Am Montag dieser Woche forderte der Sprecher des jordanischen Parlaments und Präsident der Arabischen Interparlamentarischen Union (APU), Atef Tarawneh, laut einem Bericht der staatlichen jordanischen Nachrichtenagentur "Petra" die Parlamente weltweit dazu auf, sich für eine Beendigung der israelischen Besatzung und ihrer "brutalen Praktiken" in den palästinensischen Gebieten einzusetzen.

Eine solche Aufforderung von jordanischer Seite ist ungewöhnlich - seit Jahren hat sich das haschimitische Königreich als verlässlicher Friedenspartner Israels erwiesen. Der Zeitpunkt des Aufrufes könnte Zufall sein - oder aber einen Vorgeschmack auf kommende Herausforderungen bieten.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika