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KonflikteIsrael

Israel und Hamas: Was wissen wir über die Waffenruhe?

16. Januar 2025

Nach mehr als 15 Monaten zeichnet sich eine Waffenruhe in Nahost ab. Israel und Hamas haben sich auf einen mehrstufigen Plan geeinigt. Was sieht der vor, wer hat ihn verhandelt und woran könnte er noch scheitern?

Gazastreifen Deir al-Balah 2025 | Mehrere Kinder, eine Frau und ein Mann jubeln zwischen weiteren Menschen
Menschen im Gazastreifen feiern die Nachricht über eine Waffenruhe zwischen Israel und HamasBild: Youssef Alzanoun/Middle East Images/AFP/Getty Images

Vor 467 Tagen drangen mehrere Tausend islamistische Kämpfer unter dem Kommando der Hamas vom Gazastreifen aus nach Israel ein, ermordeten rund 1200 Menschen und nahmen mehr als 250 Geiseln. 

In den folgenden rund 15 Monaten bombardierten die Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) weite Teile des palästinensischen Gebiets und besetzten es. Die Hamas bekämpfte die israelische Armee und beschoss Israel ihrerseits mit Raketen. Die Hamas wird von Israel, seinen westlichen Verbündeten sowie einigen arabischen Staaten als Terrororganisation eingestuft.

Nach verschiedenen Schätzungen sind den Kämpfen zwischen Israel und Hamas mehrere Zehntausend palästinensische Kämpfer und Zivilisten zum Opfer gefallen. Hilfsorganisationen zufolge starben weitere Menschen an den Folgen der Kämpfe: Nach UN-Angaben wurde nahezu die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens aus ihren Häusern vertrieben. Israel beklagt mehrere Hundert gefallene Soldaten und andere Sicherheitskräfte.

Waffenruhe für Gaza stimmt Menschen hoffnungsvoll

01:53

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An diesem Mittwoch (15. Januar 2025) hat Katar einen Durchbruch bei den Verhandlungen über ein Ende des kriegerischen Konflikts zwischen Israel und der Hamas verkündet. In dem Emirat hatten Vertreter beider Seiten unter Vermittlung der USA, Katars, Ägyptens sowie der Türkei monatelang verhandelt, ohne direkt miteinander zu sprechen. Nun steht der Plan für eine sechswöchige Waffenruhe.

Was sieht das Gaza-Abkommen vor?

Wenn der Deal zustande kommt, sollen ab kommendem Sonntag (19. Januar 2025) um 12.15 Uhr Ortszeit die Waffen zunächst sechs Wochen lang schweigen. Israel soll mit dem Rückzug seiner Truppen aus dem Gazastreifen beginnen. Außerdem sollen beide Seiten Gefangene freilassen. Für Hilfsorganisationen sollen derzeit gesperrte Nothilfekorridore in den Gazastreifen geöffnet werden.

Wie viele Gefangene und Geiseln sollen ausgetauscht werden?

In der ersten Phase der Waffenruhe, die 42 Tage dauern soll, soll die Hamas dem Abkommen zufolge 33 Geiseln an Israel übergeben: zunächst alle verbleibenden Kinder und Frauen, dann Männer über 50 Jahren. Bereits am Sonntag sollen die ersten drei Geiseln freigelassen werden. 

Zum jetzigen Zeitpunkt sind noch 98 der mehr als 250 entführten Geiseln in der Gewalt der Hamas. Wie viele von ihnen noch leben, ist indes unklar. Bisher wurden 36 von ihnen für tot erklärt; mehr als 110 sind bisher lebend befreit oder freigelassen worden. 

In Israel forderten Demonstranten noch am Mittwochabend die Freilassung aller Hamas-GeiselnBild: JACK GUEZ/AFP

Im Gegenzug soll Israel palästinensische Gefangene freilassen: 30 für jede zivile Geisel, 50 für jede Soldatin. Unter den palästinensischen Häftlingen, die freigelassen werden, sollen sich auch Hamas-Kämpfer befinden, allerdings keine, die an dem Terrorangriff am 7. Oktober 2023 mitgewirkt haben.

Aus welchen Gebieten soll sich Israel zurückziehen, aus welchen nicht?

Aus welchen Gebieten die israelische Armee abzieht, ist noch nicht ganz klar. Dem Vernehmen nach soll sie vor allem dicht besiedelte Gebieten des Gazastreifens verlassen. Auch der Nezarim-Korridor, der den Gazastreifen südlich von Gaza-Stadt in eine Nord- und eine Südhälfte unterteilt, soll schrittweise freigegeben werden. Dies würde aus dem Norden Vertriebenen erlauben, in ihre Wohnungen zurückzukehren, beziehungsweise in das, was davon übrig ist. Es würde aber auch den Transport von Hilfsgütern innerhalb des Gebietes deutlich erleichtern.

Im Mai 2024 meldete die israelische Armee die Einnahme des Grenzübergangs Rafah zwischen dem Gazastreifen und Ägypten. In der ersten Phase will Israel ihn nicht räumen, aber öffnen. Bild: Israeli Army/AFP

Den sogenannten Philadelphi-Korridor, einen Grenzstreifen zwischen Ägypten und Gaza, werden die IDF wohl erst in der zweiten Phase freigeben. Er gilt als eines der Nadelöhre für humanitäre Hilfe. Offenbar ist aber geplant, den Grenzübergang Rafah zu öffnen. Hier und auch an anderen Punkten sollen dann deutlich mehr Lebensmittel, Medikamente und andere Hilfsgüter als bisher in das Palästinensergebiet gebracht werden können.

Was geschieht nach der ersten Phase der Waffenruhe?

Was nach den 42 Tagen der ersten Phase geschehen soll, ist noch nicht ausgehandelt. Zur Verhandlung steht neben der Fortführung der Feuerpause, ein weiterer Abzug israelischer Truppen aus dem Gazastreifen sowie ein weiterer Austausch von Geiseln und Gefangenen. Scheitern die Verhandlungen, ist wahrscheinlich, dass die Kämpfe fortgesetzt werden.

Wer darf den Israel-Hamas-Deal für sich beanspruchen: Joe Biden oder Donald Trump?

Als Vermittler zwischen der israelischen Regierung und der Hamas-Führung haben neben dem Gastgeber Katar, Vertreter aus Ägypten, der Türkei und den USA gewirkt. Angesichts des bevorstehenden Machtwechsels in den Vereinigten Staaten beanspruchen beide Präsidenten den Verhandlungserfolg für sich: der scheidende Joe Biden und der kommende Donald Trump.

Enge Verbündete: Im Juli 2024 empfing der mittlerweile gewählte US-Präsident Donald Trump (l.) den israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu in seinem Privatanwesen Mar-a-LagoBild: Amos Ben Gershom/IMAGO/ZUMA Press Wire

Der Politikwissenschaftler Johannes Thimm von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sprach im WDR5-Radio von einem "geteilten Erfolg": Klar sei, dass das Team des noch amtierenden Präsidenten Joe Biden in den monatelangen Verhandlungen in Katar für die USA "die Hauptarbeit" gemacht habe. "Wahrscheinlich könnte aber auch die Drohkulisse, die Trump jetzt aufgebaut hat, eine Rolle gespielt haben", so Thimm. Ein weiterer wichtiger Faktor sei wohl auch, dass Israel viele seiner militärischen Ziele habe umsetzen können.

Eine Woche zuvor hatte Donald Trump der Hamas gedroht: "Wenn diese Geiseln bis zu meinem Amtsantritt nicht zurück sind, wird die Hölle über den Nahen Osten hereinbrechen. Und das wird nicht gut für die Hamas sein, und es wird für niemanden gut sein."

Woran könnte das Abkommen noch scheitern? 

Bevor das Abkommen in Kraft treten kann, muss das israelische Kabinett zustimmen. Dies sollte bereits an diesem Donnerstagvormittag geschehen, die Sitzung wurde jedoch verschoben. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu warf der Hamas vor, Teilen des Abkommens noch nicht zugestimmt zu haben, um "in letzter Minute Zugeständnisse zu erpressen". Ein Sprecher der palästinensischen Seite wies den Vorwurf zurück. 

 

Der israelische Sender Kan berichtet von Unstimmigkeiten innerhalb der Netanjahu-Regierung. Einige rechtsextreme Minister, so scheint es, könnten sich gegen das Abkommen stellen oder zumindest aus Protest dagegen zurücktreten. Einer von ihnen, Finanzminister Bezalel Smotrich, erklärte am Mittwoch über X (ehemals Twitter), dass er seinen Verbleib in der Regierung von einer "absoluten Garantie" abhängig mache, dass Israel die Kämpfe nach der ersten Phase der Waffenruhe fortsetze. Würden Netanjahus rechtsextreme Koalitionspartner die Regierung verlassen, hätte er keine Mehrheit mehr im israelischen Parlament, der Knesset. 

Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.