Israel und Libanon: Hoffen auf dauerhaften Waffenstillstand
22. Januar 2025Wie geht es weiter im südlichen Libanon? Ende November vergangenen Jahres hatten Israel und die radikale Schiiten-Miliz Hisbollah nach 13 Monaten teils heftiger Kämpfe einen 60-tägigen Waffenstillstand vereinbart. Der läuft in wenigen Tagen - am 26./27. Januar - formell aus.
Ausgebrochen war die Gewalt zwischen Israel und der Hisbollah, nachdem diese bereits kurz nach dem Terrorangriff der radikal-islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 begonnen hatte, Israel nahezu täglich militärisch zu attackieren.
Der im November vereinbarte Waffenstillstand sieht unter anderem vor, dass sich Israel bis zum Stichtag 26./27. Januar aus dem südlichen Libanon vollkommen zurückzieht. Umgekehrt muss die Hisbollah ihre Präsenz südlich des Litani-Flusses beenden, der in knapp 30 Kilometern parallel zur israelischen Grenze fließt.
Zwar wurde das Abkommen bisher von beiden Seiten nicht durchweg respektiert. So wendete Israel auf der Suche nach versteckten Waffendepots der radikalschiitischen Miliz in Ortschaften des südlichen Libanon Gewalt an. Umgekehrt sollen Medienberichten zufolge immer noch einige Hisbollah-Einheiten vor Ort sein. Allerdings hätten beide Seiten, Israel wie Hisbollah - und neben ihr gerade auch der in einer Dauerkrise befindliche libanesische Staat - prinzipiell ein Interesse, den Waffenstillstand zu halten, meint Merin Abbass, Leiter des Libanon-Projekts der Friedrich-Ebert-Stiftung in Beirut.
Hisbollah massiv geschwächt
Klar ist auch, dass viele Bürger auf beiden Seiten auf eine Fortsetzung der bisher im Großen und Ganzen haltenden Waffenruhe hoffen. "Die Hisbollah wäre derzeit auch gar nicht in der Lage, den Kampf mit Israel wieder aufzunehmen", so Abbass im DW-Gespräch: "Sie hat in den vergangenen Monaten rund 2500 Kämpfer verloren." Selbst Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah wurde bei einem israelischen Angriff getötet.
Zudem habe Israel "sehr gezielt das Waffenarsenal der Organisation angegriffen", so Abbass. Hinzu komme, dass der Fall des Assad-Regimes in Syrien der Hisbollah eine wichtige Versorgungsquelle für Waffen, Munition, Geld genommen und sogar die Bewegungsmöglichkeiten von Kämpfern zwischen Iran und Syrien über den Irak massiv eingeschränkt habe. "Das schwächt die Organisation sehr", resümiert der Libanon-Experte.
Eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung spielt neben der Hisbollah auch der libanesische Staat. Dessen Aufgabe ist unter anderem, bis zum Auslaufen des Abkommens die von der Hisbollah geräumten Stellungen durch die libanesische Armee zu besetzen und ein Machtvakuum im südlichen Libanon zu verhindern.
Aus diesem Grund setzte der Libanon auch ein weiteres Element des Abkommens, die Wahl eines neuen Präsidenten, sehr zügig um. Im Zuge dieser Wahlen kam zudem ein neuer Ministerpräsident ins Amt. Die beiden neuen Amtsinhaber, Präsident Joseph Aoun und Premier Nawaf Salam, stehen zeitlich erheblich unter Druck. Denn noch hat der Libanon bislang kein vom Parlament akzeptiertes neues Regierungskabinett.
Umso größer sei nun der Druck, umgehend eine neue Regierung zu bilden, heißt es in einem Hintergrundbericht der französischsprachigen libanesischen Zeitung "L'Orient-Le jour". Zwar bestünden wenig Chancen, dass eine solche Regierung bis zum Ablauf der im Waffenstillstand-Abkommen vorgesehenen Frist vom Parlament abgesegnet oder gar bereits im Amt sein könne. Aber sollte es zumindest eine politische Einigung auf ein Kabinett geben, wäre zumindest "diese Aufgabe dann bereits erledigt", heißt es in dem Bericht. Die Bildung einer Regierung sei formell vorgesehen, um das Abkommen ordnungsgemäß umzusetzen.
Israelische Sicherheitsinteressen
Umgekehrt müsste Israel seine Truppen binnen weniger Tagen aus dem südlichen Libanon abgezogen haben. Ob es dazu kommt, ist fraglich. Der aus Katar finanzierten Zeitung "The New Arab" zufolge soll sich die israelische Armee erst aus zwei Ortschaften zurückgezogen haben. In 60 weiteren sei sie weiter präsent. Libanons Behörden hätten rund 470 Verletzungen des Abkommens seitens Israel registriert. 32 Personen seien zu Tode gekommen, weitere 39 verletzt worden.
Regionalen Medienberichten zufolge hat Israel erklärt, es müsse 30 weitere Tage im südlichen Libanon bleiben. Der Zeitung "The Jerusalem Post" zufolge ist dies in dem Umstand begründet, dass die nationale Armee des Libanon, die die Stellungen der Hisbollah übernehmen soll, nur langsam vorrücke. Solange sie nicht überall präsent sei, müsse Israel dafür sorgen, dass die zurückgelassenen Waffen nicht in falsche Hände fielen, so die israelische Zeitung.
Waffen der Hisbollah sind im südlichen Libanon offenbar weiterhin in großer Zahl vorhanden - und bedrohen Israel. Als UN-Generalsekretär Antonio Guterres vor wenigen Tagen den Libanon besuchte, erklärte er, UN-Truppen hätten dort über 100 Waffenlager der Schiiten-Miliz gefunden.
Israel wiederum hat zwar grundsätzlich Interesse an Stabilität und Sicherheit in der Grenzregion - hadert aber seinerseits mit den eigenen Verpflichtungen aus dem Abkommen. So wird in dem Land die Frage diskutiert, inwiefern die eigene Armee nach einem kompletten Abzug aus dem Nachbarland in der Lage sei, gegen mögliche Verstöße der Hisbollah gegen das Abkommen - insbesondere Rückkehr ihrer Kämpfer und Waffen - vorzugehen. Zwar könnte Israel auch dann noch weiter auf Drohnenangriffe und begrenzte Attacken reagieren, heißt es in der "Jerusalem Post". "Allerdings kann man ohne Bodentruppen nur begrenzt antworten. Die Hisbollah wird Zeit und Möglichkeiten haben, um Wege zu finden, ihre Streitkräfte wieder in den Südlibanon zu schleusen."
Um die Präsenz der Hisbollah dort dauerhaft zu verhindern, wollen die USA die libanesische Armee einem Bericht der "Times of Israel" zufolge mit 170 Millionen Dollar unterstützen.
Wiederaufbau ohne Hisbollah möglich?
Für den Libanon komme es perspektivisch zudem darauf an, dass das Land - insbesondere dessen Süden - rasch wieder aufgebaut werde, sagt Experte Merin Abbass. "Wichtig ist zum einen, dass die aus dem Süden vertriebenen Schiiten wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Und zum anderen, dass der libanesische Staat den Wiederaufbau leistet - und nicht die Hisbollah. Bislang hatte die Hisbollah eine Art paralleler sozialer Infrastruktur errichtet, etwa, indem sie eigene Krankenhäuser betrieb. Dieses System muss enden. Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass es der Staat ist, der sich um ihre Belange kümmert", so der Experte der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Allerdings fehlten dem libanesischen Staat die Mittel für den Wiederaufbau. Umso mehr komme es darauf an, dass sich die internationale Gemeinschaft an der Aufgabe beteilige, insbesondere die USA und Saudi-Arabien.