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PolitikNahost

Nahost: Schattenkrieg an vielen Fronten

5. August 2021

Die inzwischen beendete Entführung eines Tankers im Golf von Oman und der Raketenbeschuss Israels aus dem Libanon sind die jüngsten Ereignisse eines versteckt geführten Krieges. Der Einsatz ist auf beiden Seiten hoch.

WS Öltanker Mercer Street
Angriffsziel: der Tanker "Mercer Street", Aufnahme vom 3. August 2021Bild: Rula Rouhana/REUTERS

Anschläge, Sabotageakte, Raketenangriffe, gezielte Tötungen: Seit Monaten liefern sich Israel und der Iran einen entschlossenen, wenn auch begrenzten Schlagabtausch. In dieser Woche geriet der Tanker "Asphalt Princess" zwischen die Fronten: Am Dienstag stürmten Bewaffnete das Schiff, als es den Golf von Oman durchkreuzte, und zwangen es zum Kurswechsel in Richtung Iran. Doch am frühen Mittwoch gaben die Entführer das Schiff wieder frei und setzen sich ab. Ebenfalls am Mittwoch wurden aus dem Libanon Raketen auf Israel gefeuert. Zu dem Anschlag bekannte sich niemand. Allerdings wurde Israel bereits wiederholt von der libanesischen, dem Iran engverbundenen Hisbollah attackiert.

Gefährliche Gefilde: Im Golf von Oman nahe dem Emirat Fudschaira (VAE) wurde die "Asphalt Princess" entführt und die "MT Mercer Street" beschossenBild: Jon Gambrell/AP/picture alliance

Auch wer hinter der Entführung der "Asphalt Princess" steht, ist derzeit nicht eindeutig bekannt. Die britische Regierung geht nach Informationen der "Times" aber davon aus, dass der Iran oder mit ihm verbündete Milizen verantwortlich seien. Der Iran bestreitet das: "Diese kontinuierlichen Vorfälle für die Schiffe im Persischen Golf sind äußerst fragwürdig und verdächtig", sagte Außenamtssprecher Said Chatibsadeh der Nachrichtenagentur ISNA zufolge.

Tatsächlich füge sich die Entführung des Schiffes in den anhaltenden Schlagabtausch ein, sagt Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz: "Israel und der Iran führen seit 2019 und verschärft seit März dieses Jahres einen unterschwelligen Krieg. Dabei kam es zu mehreren Angriffen beider Seiten", sagte Meyer der DW.

Eine neue Konfliktdimension

Eine neue Dimension hatten diese Auseinandersetzung in der vergangenen Woche angenommen, als der Öltanker "MT Mercer Street" von einer Drohne angegriffen worden war. Dabei waren ein rumänisches und ein britisches Besatzungsmitglied getötet worden. Die USA und London machten den Iran für den Anschlag verantwortlich.

Der Umstand, dass es internationale Opfer gegeben habe, gebe dem Konflikt eine neue Wendung, sagt Meyer: "Damit haben sich Israels Chancen auf internationalen Beistand erhöht. Und eben das zählt in Jerusalem."

Logik des Schattenkriegs

Bislang hatte sich der Konflikt auf militärische Mittel beschränkt. Dessen Spielregeln kamen beiden Akteuren entgegen. Es sei kein Geheimnis, dass es zwischen Israel und dem Iran einen "verborgenen Schattenkrieg" gebe, zitiert die Nachrichtenagentur DPA den ehemaligen Chef des israelischen Geheimdienstes, Amos Jadlin. Er verwies auf die Bedrohung, der sich Israel durch die Präsenz dem Iran verbundener Milizen im Jemen, im Irak und im Libanon gegenüber sehe.

Verwickelt in den "Schattenkrieg": die libanesische Hisbollah. Parade ihrer Milizen in Baaalbek, November 2019Bild: Getty Images/AFP

Der "Schattenkrieg", erläuterte Jadlin die Logik der neuen Auseinandersetzung, finde an allen Fronten statt: auf dem Wasser, in der Luft, im Internet und bisweilen auch auf dem Boden. Ein solcher Krieg lasse sich auf begrenzter Ebene führen, deutete er an. Zwar attackierten sich beide Seiten, übernähmen dafür jedoch keine Verantwortung. Dies sei Teil des Spiels: "Wer keine Verantwortung übernimmt, zwingt die andere Seite nicht zu einer Reaktion."

Im Mittelpunkt: das iranische Atomprogramm

Dieser Schattenkrieg drehe sich neben den regional begrenzten Konflikten vor allem um das iranische Atomprogramm, sagt Nahost-Forscher Meyer. "Iran treibt sein Programm voran, während Israel es unbedingt verhindern will." Dies gelte umso mehr, als in Wien inzwischen vorbereitende Gespräche zu einer Wiederaufnahme der Atomvereinbarung gelaufen sind." Israel ist davon überzeugt, dass Iran auch an einer militärischen Variante dieses Programms arbeitet, an dessen Ende die Atombombe stehen soll. Dadurch sieht Israel seine Sicherheit existentiell gefährdet. "Darum", so Meyer, "will es eine Vereinbarung unbedingt verhindern."

Diesem Ziel könnte Israel nun durch den tödlichen Ausgang der Attacke auf die "MT Mercer Street" einen Schritt nähergekommen sein. Dass ausgerechnet dieser Tanker attackiert worden war, dürfte kein Zufall sein. Die "MT Mercer Street" fährt zwar unter liberianischer Flagge und gehört einer japanischen Firma, wird aber von dem Unternehmen Zodiac Maritime betrieben. Diesem steht der israelische Geschäftsmann Ejal Ofer vor. US-Angaben zufolge kamen bei dem Angriff Drohnen iranischer Bauart zum Einsatz.

Ringen um die westliche Öffentlichkeit

"Durch den Tod der beiden Besatzungsmitglieder kann Israel nun einen womöglich wesentlich aggressiveren Kurs gegen den Iran rechtfertigen", sagt Meyer. Durch ein härteres Vorgehen könnte Israel einen Gegenschlag provozieren, in dessen Folge - so das mögliche Kalkül in Jerusalem - sich die westliche Öffentlichkeit auf die Seite Israels stellen würde: "Dadurch wäre das Land politisch und diplomatisch gestärkt und könnte auf dieser Grundlage das iranische Atomprogramm umso effektiver durchkreuzen."

Im Mittelpunkt des Konflikts: das iranische Atomprogramm. Die iranische Delegation kurz vor den Verhandlungen in Wien April 2021Bild: Georges Schneider/XinHua/dpa/picture alliance

Bereits am Sonntag hatte der israelische Premier Naftali Bennett den Angriff auf die "MT Mercer Street" verurteilt. Er sprach von einem "aggressiven Vorgehen" Teherans. Dieses gefährde "nicht nur Israel, sondern globale Interessen, die freie Schifffahrt und den internationalen Handel."

Dementi aus Iran

In Teheran hat man offenbar erkannt, wie riskant der Angriff auf den Tanker und die damit verbundenen Toten aus Drittländern politisch war. Nachdem der iranische Staatssender al-Alam zunächst verbreitet hatte, die Attacke sei eine Vergeltung für Angriffe Israels auf iranische Militärstellungen in Syrien, folgte am Montag das Dementi: Iran, so Außenamtssprecher Said Chatibsadeh, habe mit den Angriffen nichts zu tun. Wer erkläre, Belege für die Verantwortung Irans zu haben, solle sie präsentieren. Iran weise alle Anschuldigungen zurück. Für "Unsicherheit, Terror und Gewalt" machte er einen anderen Staat verantwortlich: Israel.

Wie sich die Auseinandersetzung in den kommenden Tagen entwickle, hängt von Israels westlichen Verbündeten, allen voran den USA und Großbritannien ab, ebenso wie von der Regierung des neuen iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi, der diese Woche sein Amt antritt. "In der gegenwärtigen Entwicklung", sagt Günter Meyer, "kommt es kurzfristig auf eine ganze Reihe von Akteuren an."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika