Deutschland stoppt Waffenlieferungen nach Israel teilweise
Veröffentlicht 8. August 2025Zuletzt aktualisiert 8. August 2025
Angesichts der Entwicklung im Gazastreifen hat die deutsche Bundesregierung gegen Israel einen teilweisen Exportstopp bei Rüstungsgütern verhängt. Deutschland werde "bis auf Weiteres keine Ausfuhren von Rüstungsgütern" genehmigen, "die im Gazastreifen zum Einsatz kommen können", erklärte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Freitag in Berlin. Er begründete die Entscheidung mit dem in der vergangenen Nacht "vom israelischen Kabinett beschlossenen, noch härteren militärischen Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen".
Das israelische Sicherheitskabinett hatte in der Nacht zum Freitag einen von Regierungschef Benjamin Netanjahu vorgelegten Plan gebilligt, um die islamistische Terrororganisation Hamas im Gazastreifen zu besiegen. Der Plan sieht vor, dass die israelische Armee die Kontrolle über die Stadt Gaza übernimmt, wie Netanjahus Büro mitteilte. Gleichzeitig soll humanitäre Hilfe an die Zivilbevölkerung außerhalb der Kampfgebiete geliefert werden.
Bundesregierung "zutiefst besorgt"
"Israel hat das Recht, sich gegen den Terror der Hamas zu verteidigen", erklärte Merz. "Die Freilassung der Geiseln und zielstrebige Verhandlungen über einen Waffenstillstand haben für uns oberste Priorität." Die Entwaffnung der Hamas sei unerlässlich. "Die Hamas darf in der Zukunft von Gaza keine Rolle spielen." Das nun beschlossene militärische Vorgehen lasse "aus Sicht der Bundesregierung immer weniger erkennen, wie diese Ziele erreicht werden sollen", erklärte der Kanzler.
Die Bundesregierung bleibe zutiefst besorgt "über das fortdauernde Leid der Zivilbevölkerung im Gazastreifen", betonte Merz. "Mit der geplanten Offensive trägt die israelische Regierung noch stärker als bisher Verantwortung für deren Versorgung. Sie muss einen umfassenden Zugang für Hilfslieferungen ermöglichen, auch für UN-Organisationen und andere nicht-staatliche Institutionen."
Israel müsse "nach den richtigen Schritten der letzten Tage die humanitäre Lage in Gaza weiter umfassend und nachhaltig verbessern", fuhr der Kanzler fort. Er forderte die israelische Regierung zudem "dringend auf, keine weiteren Schritte hin zu einer Annexion des (besetzten) Westjordanlands zu unternehmen".
In der Nacht zu Freitag hatte das israelische Sicherheitskabinett außerdem fünf Leitprinzipien zur Beendigung des Kriegs verabschiedet. Dazu zählen auch eine vollständige Entwaffnung der islamistischen Hamas sowie die Entmilitarisierung des gesamten Küstengebiets am Mittelmeer. Perspektivisch soll eine alternative Zivilverwaltung etabliert werden.
Netanjahu: Keine dauerhafte Besatzung
Die neue Militäroperation soll sich laut dem israelischen Fernsehsender "N12" vorerst auf Gaza-Stadt im Norden konzentrieren. Ziel sei die Evakuierung der dortigen Bevölkerung in zentrale Flüchtlingslager - ein Prozess, der bis Anfang Oktober abgeschlossen sein solle. Offizielle Bestätigungen dazu lagen zunächst nicht vor.
In einem Interview des US-Senders "Fox News" betonte Netanjahu, Israel wolle den Gazastreifen nicht dauerhaft besetzen, aber militärisch kontrollieren. Nach der Zerschlagung der Hamas solle das Gebiet an "arabische Kräfte" übergeben werden, die Israels Existenzrecht anerkennen. "Wir wollen ihn nicht behalten. Wir wollen ihn nicht regieren", erklärte Netanjahu.
Hamas warnt vor Konsequenzen
Die Hamas drohte derweil mit Konsequenzen für den Fall einer weiteren Eskalation. Die israelische Armee werde dafür einen "hohen Preis" zahlen, hieß es in einer Stellungnahme der militant islamistischen Gruppe. Details wurden nicht genannt. Die Hamas wird von zahlreichen Staaten weltweit als Terrororganisation eingestuft.
Derzeit kontrolliert Israel laut Medienberichten rund drei Viertel des zerstörten Gazastreifens, in dem etwa zwei Millionen Menschen leben. Spekulationen über eine vollständige Besetzung kursierten bereits seit Anfang der Woche. Die nun verkündeten Maßnahmen gehen offiziellen Angaben zufolge jedoch nicht so weit.
Festgefahrene Verhandlungen mit der Hamas
Die Entscheidung des Sicherheitskabinetts erfolgt vor dem Hintergrund festgefahrener Verhandlungen mit der Hamas über eine Waffenruhe und die Freilassung der verbliebenen Geiseln. "Ich verstehe genau, was die Hamas will. Sie will keinen Deal", sagte Netanjahu kürzlich in einer Videobotschaft. Er sei entschlossener denn je, die Geiseln zu befreien und die Hamas zu vernichten.
Gleichzeitig vermuten Beobachter, die Ankündigung einer Offensive könne Teil einer Verhandlungstaktik sein, um die Hamas unter Druck zu setzen. Medienberichten zufolge versuchen Vermittlerstaaten wie Katar und Ägypten, die Gespräche wieder in Gang zu bringen.
Lapid: "Eine Katastrophe"
Scharfe Kritik kommt von Israels Oppositionsführer Jair Lapid. Auf der Plattform X nannte er die geplante Einnahme Gaza-Stadts eine "Katastrophe", die viele weitere nach sich ziehen werde. Die Offensive gefährde das Leben der Geiseln ebenso wie das der israelischen Soldaten. Lapid warf Netanjahu vor, sich von seinen rechtsextremen Koalitionspartnern Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich treiben zu lassen. Beide gelten als Befürworter einer vollständigen Besetzung des Gazastreifens und der Vertreibung seiner Bewohner.
Auch innerhalb der Armee soll es Vorbehalte gegen eine Komplett-Offensive geben. Die Militärführung äußerte laut Medienberichten bereits zuvor Bedenken - insbesondere wegen der Geiseln. Nach israelischer Einschätzung befinden sich aktuell noch rund 50 Menschen in der Gewalt der Hamas, etwa 20 von ihnen sollen noch am Leben sein.
Landesweite Demonstrationen für Geiseldeal
In mehreren israelischen Städten protestierten am Donnerstagabend Tausende Menschen gegen die Ausweitung der Kämpfe. In Jerusalem versammelten sich Demonstranten vor dem Amtssitz Netanjahus. Viele Angehörige der Geiseln forderten ein umfassendes Abkommen zur Freilassung der Entführten.
"Die Regierung muss ein Abkommen auf den Tisch legen, das alle 50 Geiseln nach Hause bringt, um den Krieg im Austausch für die letzte Geisel zu beenden", zitierte das Nachrichtenportal "ynet" die Mutter eines Entführten. Eine andere Demonstrantin sagte in Richtung der Regierung: "Eine Ausweitung der Kämpfe ist eine tödliche Gefahr - schaut uns in die Augen, wenn ihr die Geiseln opfert."
Mehrere Angehörige ketteten sich vor Netanjahus Amtssitz aneinander, wie auf Videoaufnehmen zu sehen war. Andere Demonstrierende versammelten sich um eine große, entfaltete israelische Flagge, auf der Bilder der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln aufgedruckt waren. Die Polizei versuchte in einigen Fällen, die Proteste mit Wasserwerfern aufzulösen. Medien berichten von mindestens fünf Festnahmen.
Entscheidung löst international Kritik aus
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forderte von Israel, die Entscheidung zu überdenken. Sie bekräftigte auf X, humanitäre Hilfen für die Palästinenser müssten sofort ermöglicht werden. Auch eine Feuerpause müsse sofort umgesetzt werden. Zum wiederholten Male appellierte von der Leyen an die Hamas, sofort alle israelischen Geiseln freizulassen.
Großbritanniens Premierminister Keir Starmer kritisierte den Plan Israels als "falsch". "Diese Maßnahme wird weder zur Beendigung des Konflikts noch zur Freilassung der Geiseln beitragen", sagte er. Starmer warnte, das Vorhaben Israels werde "nur zu weiterem Blutvergießen" führen.
Auch UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk forderte einen "sofortigen" Stopp des israelischen Vorhabens. "Der Plan der israelischen Regierung für eine vollständige militärische Übernahme" des Palästinensergebiets stehe "im Widerspruch zum Urteil des Internationalen Gerichtshofs, wonach Israel seine Besatzung so schnell wie möglich beenden muss", erklärte Türk.
Der Krieg im Gazastreifen war durch den Terrorangriff der Hamas und verbündeter militanter Gruppen am 7. Oktober 2023 ausgelöst worden. Damals töteten die Angreifer rund 1200 Menschen in Israel und verschleppten mehr als 250 in den Gazastreifen. Beim anschließenden Militäreinsatz der israelischen Armee wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 61.000 Menschen in dem Küstengebiet getötet. Die Zahl lässt sich nicht unabhängig überprüfen, gilt aber als glaubwürdig.
pgr/se/wa (dpa, afp, kna, rtr)
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